Regelmäßig besucht Taiwans Präsidentin Tsai Militärbasen. Damit will sie Peking signalisieren, dass man den Drohgebärden nicht tatenlos zusieht.

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Bereits vor rund zwei Jahren hat das Magazin The Economist Taiwan als "gefährlichsten Ort der Welt" beschrieben. Denn der Konflikt um die kleine Insel in Südostasien könnte einen Krieg zwischen China und den USA auslösen. Wie gefährlich die Krise tatsächlich ist, wird hitzig diskutiert. Doch worum geht es in dem Konflikt eigentlich? Was haben die USA damit zu tun? Und warum verhärten sich die Fronten?

Frage: Was ist bei den jüngsten Militärübungen rund um Taiwan passiert?

Antwort: Am vergangenen Wochenende führte China eine dreitägige Militärübung rund um Taiwan durch, bei der Teile einer Blockade der Insel geübt wurden. Erstmals nahm auch ein Flugzeugträger an einer derartigen Übung teil. Peking reagierte damit auf ein öffentliches Treffen zwischen Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen mit dem Sprecher des US-Repräsentantenhauses in Kalifornien. Solche Kontakte zwischen hochrangigen Vertretern der USA und Taiwans sieht China als Provokation, denn aus Pekings Perspektive ist Taiwan ein abtrünniges Territorium der Volksrepublik, das früher oder später dem Festland eingegliedert werden muss.

In der taiwanesischen Stadt Taichung hielten unter der Woche über 1000 Freiwillige Zivilschutzübungen ab.
DER STANDARD

Frage: Warum beansprucht die Volksrepublik Taiwan überhaupt für sich?

Antwort: Um den Konflikt zwischen Taiwan und China zu verstehen, muss man in die Geschichte zurückblicken. 1911 wurde in China das Qing-Kaiserreich gestürzt. In der Folge stritten sich verschiedene revolutionäre Kräfte über die Herrschaft in dem neuen Staat. Mehrere Jahre bekämpften einander die Kommunisten unter Mao Tse-tung und die Nationalisten, auch Kuomintang genannt, unter Chiang Kai-shek. 1949 ging Mao siegreich aus den Kämpfen hervor, Chiang musste nach Taiwan fliehen. Von dort aus – das war immer der Plan – wollte die Kuomintang (KMT) die Rückeroberung Chinas starten, wenn die Zeit günstig ist. So standen einander Kommunisten und Nationalisten seit Jahrzehnten gegenüber, im Kern waren sie sich aber über eine Sache einig: Es gibt nur ein China. Wer der legitime Regierende ist, war der Streitpunkt.

Frage: War solch eine Rückeroberung vom kleinen Taiwan aus jemals realistisch?

Antwort: Die KMT auf Taiwan war deshalb selbstbewusst, weil sie von den USA unterstützt wurden. Im damaligen Versuch, global gegen den Kommunismus vorzugehen, fand Washington mit Chiang einen wichtigen regionalen Partner. Daher war es auch die "Republik China", wie sich die Insel nennt, die bei der Uno den Sitz für China innehatte. Erst rund zwanzig Jahre später, 1971, ging dieser an Peking über. Auch die USA lösten 1979, nach der US-China-Annäherung, ihre diplomatischen Beziehungen zu Taipeh auf und wechselten zu Peking. Gleichzeitig verpflichteten sich die USA dazu, die Insel militärisch auszustatten.

Frage: Und wie ging Taiwan mit diesen Veränderungen um?

Antwort: Auf Taiwan selbst ging Chiangs Militärdiktatur 1987 zu Ende, unter anderem durch US-Druck. Die KMT wurde aber durch Wahlen als Regierung bestätigt. 1992 einigten sich Peking und Taipeh auf einen Konsens, in dem festgehalten wurde, dass es nur ein China gebe. In den darauffolgenden Jahren kam aber eine andere Partei an die Macht: die Demokratische Fortschrittspartei (DPP), die zwar auch festhält, dass man den "Status quo" nicht verändern wolle, aber nicht so vehement an dem Konsens von 1992 festhält. Die DPP, der auch die aktuelle Präsidentin Tsai Ing-wen angehört, steht für eine China-skeptischere Politik, die gerade bei der jüngeren Generation punkten kann. Diese ist mit einer stärkeren Taiwan-Identität aufgewachsen, eine Zwei-Staaten-Lösung ist für viele in dieser Generation alles andere als ein Tabu.

Frage: Warum wird der Konflikt gerade jetzt wieder heißer?

Antwort: Dafür gibt es mehrere Faktoren. Zum einen ist da der chinesische Präsident Xi Jinping, der China seit 2012 mit harter Hand regiert. Er nennt die Wiedervereinigung mit Taiwan immer wieder als wichtiges Ziel, das zur Not mit Gewalt erreicht werden müsse. Gleichzeitig stehen einander die USA und China global immer stärker als Konkurrenten gegenüber. Vor allem Donald Trump intensivierte die Rhetorik und Politik gegen China. Sein Nachfolger Joe Biden entschärfte zwar den Ton, geht aber in der Sache ebenso aktiv gegen China vor. In den jeweiligen Beziehungen zu Taipeh lässt sich somit auch die aktuelle Hitze der US-China-Beziehungen ablesen.

Frage: Wie passt da Nancy Pelosis umstrittener Besuch im Sommer 2022 hinein?

Antwort: Im vergangenen Sommer führte der Besuch der damaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi in Taiwan zu den bis dato größten und umfangreichsten chinesischen Militärmanövern rund um Taiwan. Pelosi war ihr Politleben lang für ihre kritische China-Politik bekannt. In Taipeh empfand man den Preis für ihren Besuch rückblickend aber als zu hoch. Das führte dazu, dass man sich mit ihrem Nachfolger McCarthy auf ein Treffen mit Tsai in den USA und nicht in Taiwan einigte.

Frage: Auch das passte Peking nicht. Warum nicht?

Antwort: Egal, wo und wer: Jedes Treffen zwischen offiziellen Vertretern Taiwans und der USA wird in Peking als Infragestellen der Ein-China-Politik gesehen. Allerdings sind manche Zusammenkünfte konfrontativer als andere. So war Pekings aktuelle Reaktion laut Beobachtern durchaus gemäßigt. Ja, Peking muss in irgendeiner Form reagieren, aber auch Peking hat sich diesmal zurückgehalten, heißt es etwa von der International Crisis Group. So muss auch Peking zeigen, dass man anerkennt, wenn Kompromisse gefunden werden. Sonst könnte man in Washington oder Taipeh erst recht denken: Es bringt nichts, auf Chinas Bedürfnisse einzugehen, denn Peking macht ohnehin, was es will.

Frage: Warum streitet man sich überhaupt über eine kleine Insel wie Taiwan?

Antwort: Für Peking geht es einerseits ums Prinzip: Taiwan ist in Pekings Augen chinesisches Territorium. Abgesehen davon findet in Taiwan aber ein Großteil der globalen Chip-Produktion statt. 92 Prozent aller High-End-Chips kommen von einem Unternehmen auf Taiwan. Außerdem nimmt Taiwan eine wichtige geostrategische Position ein. Ein Großteil der weltweiten Schifffahrt kommt an der Insel vorbei, sie ist außerdem wichtig im Zugang zum umstrittenen Südchinesischen Meer. Wer hier die Oberhand hat, hat wiederum Vorteile im gesamten Indopazifik.

Frage: Was hat der Indopazifik damit zu tun?

Antwort: In den vergangenen Jahren hört man immer öfter den Begriff "Indopazifik". Vor allem die USA pushen die Idee unter demokratischen Ländern, sich im Indopazifik zu verbünden. Dabei geht es oft darum, ein Gegengewicht zu China herzustellen, zum Beispiel mit Bündnissen wie der Quad (Japan, Indien, USA und Australien) oder dem Aukus-Pakt (Großbritannien, Australien und USA). Aber auch mit den Philippinen arbeiten die USA wieder enger zusammen. Dabei geht es auch darum, regional um Taiwan Kapazitäten aufzubauen.

Frage: Wie positioniert sich Europa?

Antwort: Auch in Europa wurde in den vergangenen Jahren der Blick auf China kritischer. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen trat bei ihrem China-Besuch dafür ein, die Abhängigkeiten von der Volksrepublik zu verringern. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bezeichnete erst am Freitag im Zuge ihres China-Besuchs einen möglichen militärischen Konflikt um Taiwan als "Horrorszenario", eine Wiedervereinigung mit Gewalt wäre für Europa "inakzeptabel". Kurz zuvor ließ allerdings Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach seinem Treffen mit Xi in Peking mit einer China-freundlicheren Rhetorik aufhorchen. Europa dürfe in der Taiwan-Frage kein "Mitläufer" werden.

In Bezug auf Taiwan selbst beobachtet man seit Monaten eine verstärkte Reisediplomatie, wobei mehr Delegationen aus europäischen Ländern denn je die Insel besuchen. Das kleine Litauen hat im Herbst sogar ein neues Büro Taiwans im Land eröffnet. Global gesehen ist Taiwan aber weiter diplomatisch isoliert. Nur noch 13 Länder pflegen offizielle diplomatische Beziehungen zu Taipeh. (Anna Sawerthal, 15.4.2023)