Evidenz werde nicht erst seit der Pandemie beiseitegeschoben, schreibt der ehemalige Bildungsminister Heinz Faßmann in seinem Gastkommentar. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften, deren Präsident er nun ist, "und viele andere Forschungseinrichtungen des Landes nehmen diese Erosion des Vertrauens in die Wissenschaft aber nicht achselzuckend zur Kenntnis".

Forschung sichert unsere Zukunft – das ist nicht nur eine platte PR-Formulierung, sondern empirisches Faktum. Unser zukünftiger Wohlstand wird nur durch exportfähige Produkte und Dienstleistungen gesichert, die attraktiv sind und Forschungsergebnisse umsetzen. Unsere gewonnenen Lebensjahre werden nur dann lebenswert sein, wenn Krankheiten so lang wie möglich von uns ferngehalten werden. Und eine lebenswerte Umwelt wird nur dann gesichert sein, wenn durch Forschung die Transformation der Energiesysteme tatsächlich gelingt. Die Wissenschaften sind in all diesen Bereichen höchst aktiv, und mit einer Forschungsquote in Österreich von aktuell fast 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – ein globaler Spitzenwert – ist das auch möglich. Und der Nobelpreis für Physik an Anton Zeilinger ist ein sichtbares Zeichen, dass wissenschaftliche Spitzenleistungen in Österreich machbar sind, auch wenn der Preis selbstverständlich die Person auszeichnet.

Mit der Pandemie wurde der Aluhut auch zu einem Accessoire des Corona-Protests. Im Bild eine derart behütete Demonstrantin 2021 in Wien.
Foto: Christian Fischer

Ein Teil der Bevölkerung sieht diese Situation aber anders, insbesondere hinsichtlich des Vertrauens in die Wissenschaft. Daten des ÖAW-Wissenschaftsbarometers, das 2022 erstmals für Österreich durchgeführt wurde, zeigen, dass rund ein Drittel der Wissenschaft wenig oder gar nicht vertraut. 42 Prozent meinen, die Wirklichkeit schaue anders aus als von der Wissenschaft erklärt, 37 Prozent fordern, man solle sich lieber auf den gesunden Menschenverstand verlassen als auf wissenschaftliche Studien, und 31 Prozent unterstützen das Statement, wonach das Volk Einfluss auf die Arbeit der Wissenschaft haben soll. 56 Prozent nehmen die Wissenschaft als einen Teil der Eliten wahr, die in großer Distanz zur Bevölkerung steht, sich von oben herab ein Erklärungsmonopol anmaßt und an den Sorgen der Menschen vorbei als Selbstzweck vor sich hin forscht.

Fundamente erodieren

Die Bevölkerungsgruppen, die sich von Wissenschaft und Forschung entfernt haben, verfügen über weniger Bildung, haben eine gewisse Vorliebe für den sogenannten "starken Mann", sind parteipolitisch eher rechts oder lehnen Parteien grundsätzlich ab. Gerade Letzteres erfüllt mich mit Sorge, denn die generelle Ablehnung aller Parteien führt auch zu einer Erosion unserer gesellschaftlichen Fundamente. Wenn die Repräsentation durch Parteien infrage gestellt wird, die Geringschätzung auch der Wissenschaft gegenüber zu einem allgemeinen kulturellen Habitus wird und sich alle ihre eigenen Wirklichkeiten erzeugen, dann ist die gesellschaftliche Mitte in Gefahr.

Die Österreichische Akademie der Wissenschaften und viele andere Forschungseinrichtungen des Landes nehmen diese Erosion des Vertrauens in die Wissenschaft aber nicht achselzuckend zur Kenntnis. "Ist eh nicht so schlimm, und das Misstrauen der Bevölkerung der Politik gegenüber ist noch größer", das mag ein populäres Erklärmuster sein, hilft aber nicht weiter. Die Einrichtungen sehen den empirischen Befund über die Wissenschaftsskepsis daher auch als Auftrag. Und der Auftrag lautet: Es muss noch besser gelingen, das überholte Bild des Forschenden im Elfenbeinturm durch ein neues Narrativ zu ersetzen. Wissenschaft hilft bei der Bewältigung anstehender Herausforderungen, sie dient dem Gemeinwohl, Forschungsergebnisse sind niemals endgültig, sondern werden immer wieder erneuert, und die Kommunikation mit der "Außenwelt" wurde zu einem wichtigen Teil der Arbeit der Forschenden.

42 Prozent der Bevölkerung meinen, die Wirklichkeit sei anders als von der Wissenschaft erklärt.

Die Wissenschaft benötigt zur Interaktion mit dieser "Außenwelt" nicht nur eine gesicherte und ausreichende Finanzierung, sondern auch ein grundsätzlich wissenschaftsfreundliches Umfeld, welches bereit ist, zuzuhören und die Qualität wissenschaftlichen Wissens auch zu akzeptieren. Gesichertes Wissen, das Forschende nach genauer Prüfung der Allgemeinheit zur Verfügung stellen, besitzt eben eine besondere Qualität. Die Erde ist rund, Hygiene im Kreißsaal ist wichtig, und unser Planet dreht sich um die Sonne. Niemand würde heute diese ursprünglich umstrittenen Erkenntnisse infrage stellen.

Im Zusammenhang mit der Sars-CoV-2-Impfung war und ist das aber der Fall. Das vertretbare Unbehagen mit einer Impfpflicht wurde zur generellen und politisierten Kritik an der Forschung über Impfstoffe und der Überprüfung durch klinische Tests. Aus einer wissenschaftlichen Frage wurde eine parteipolitische. Anders ist das Ende der Werbung für die Sars-CoV-2-Impfung im Arbeitsübereinkommen der Landesregierung in Niederösterreich, eigentlich ein gesetzlich verankerter Gesundheitsauftrag der öffentlichen Hand, nicht erklärbar.

Salonfähiger Protest

Wissenschaftsskepsis begegnet uns aber auch bei einem ganz anderen Thema. Viele, die herablassend oder verärgert in Richtung der Impfgegner blicken und die während der Pandemie die Politik aufforderten, auf die Wissenschaft zu hören, verlassen den Boden der wissenschaftlichen Evidenz, wenn es um Gentechnik geht. Gegen Gentechnik zu sein ist in Österreich salonfähig, auch gegen die neuen von Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna in Wien entwickelten Verfahren, die eine präzise und kalkulierbare Genom-Editierung ("Gen-Schere") ermöglichen. Beide erhielten 2020 dafür den Nobelpreis für Chemie. Gerade weil es darum geht, die Folgen der Klimakrise zu bewältigen, wäre die Forschung zur Züchtung von Pflanzen, die an veränderte Umweltbedingungen angepasst sind, zu fördern und nicht über Gebühr zu erschweren. Das Muster ist jedenfalls das gleiche wie bei der Impfdiskussion: Es werden Ängste geschürt, graue Zukunftsbilder entworfen und die Wissenschaft zur Seite geschoben.

Ich bleibe dennoch optimistisch. Wissenschaftlicher Fortschritt hat sich noch immer durchgesetzt – manchmal schneller, manchmal langsamer. Und ich vertraue auch auf die Qualitätssicherung und die internen Kontrollmechanismen in der Wissenschaft. Nicht alles, was möglich ist, kann und wird auch realisiert. Und was die neue Gentechnik betrifft, kann die Forschung in Österreich zumindest auf die derzeit stattfindende Überarbeitung der entsprechenden EU-Richtlinie hoffen, denn die Zustimmung aus der Wissenschaft ist eindeutig und überwältigend. (Heinz Faßmann, 15.4.2023)