Nicht nur Schuhhändler räumen reihenweise das Feld. Österreichs Einzelhandel ist im Umbruch.

Foto: Reuters

Franz Holzer will Corona nicht die Schuld am Scheitern seiner Geschäfte geben. Doch die drei Jahre im Krisenmodus hätten kleine Händler wie ihn an ihre Grenzen gebracht. "Man hat uns im Regen stehen lassen." Sieben Jahre ist es her, dass sich Holzer mit der Marke Dominici im Schuhgeschäft selbstständig machte. Im April rutschte sein Betrieb in die Insolvenz. In den nächsten Wochen sperrt die letzte seiner einst drei Wiener Filialen zu.

Einen Standort verlor er im Zuge des Umbaus der Ringstraßen-Galerien. Der Stammsitz in der Singerstraße ging zurück in die Hand der Eigentümerfamilie des Handelskonzerns Leder & Schuh, die zuvor die Miete drastisch erhöht habe, erzählt Holzer. Die verbliebene Filiale in der Spiegelgasse "ist zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel".

Mithilfe des Onlinehandels will er Dominici sanieren und über Wasser halten, in der Hoffnung, sich in nicht allzu langer Zukunft ein neues Geschäftslokal leisten zu können.

"Zum Fraß vorgeworfen"

Angesprochen auf Hilfen der Regierung winkt Holzer ab. Die Schließungstage während der Lockdowns hätten ihn ein Vermögen gekostet. Langjährige Beziehungen zu Lieferanten seien infrage gestellt geworden. Bestellt wird im Modehandel ein halbes Jahr im Voraus, was bei wenig Geld in der Kasse und fehlender Planungssicherheit fatale Folgen haben kann. "Wir können nicht wie Gastronomen aufsperren und zuvor im Metro einkaufen."

Bis heute habe er keinen Verlustersatz III erhalten, sagt Holzer. Andere Förderungen blieben ihm versagt, weil er statt 50 nur 44 Prozent an Umsatz eingebüßt habe. Bei Banken gelte Ware wie Schuhe wenig und werde laufend abgewertet. Zugleich fütterten Investoren Onlineriesen, die stationäre Händler durch Rabatte schwächten, unablässig mit frischem Kapital. Es fühle sich an, sagt Holzer, als ob man dem System "zum Fraß vorgeworfen wird".

Ins Straucheln geraten nicht nur Einzelkämpfer wie Dominci. In weiten Teilen des Einzelhandels werden angesichts sinkenden Konsums und steigender Kosten die Karten neu gemischt. Noch mehr, seit ein Konkurs nach dem anderen aufschlägt.

Am Donnerstag erwischte es Reno Österreich. Findet sich für die Schuhhandelskette kein Investor, stehen 29 Filialen hierzulande vor dem Aus. Zwei Wochen zuvor meldete der Mutterkonzern in Deutschland Insolvenz an. Zahlungsunfähig ist zudem der frühere Reno-Eigentümer, die Osnabrücker HR Group.

Tief in den roten Zahlen

Salamander versucht, sich über ein Schutzschirmverfahren zu sanieren; in Österreich gibt der Schuhhändler zentrale Standorte auf. Vor einem Monat schloss auch Bally ihre Filiale am Wiener Graben. Von der Hälfte ihrer 160 Geschäfte trennte sich Görtz im Zuge eines Insolvenzverfahrens. Die Turbulenzen gehen freilich weit über die von Vorerkrankungen belastete Branche hinaus.

In Deutschland wurde der Textilkonzern Peek & Cloppenburg zum Sanierungsfall. Takko, der mehr als 100 Filialen in Österreich betreibt, muss angesichts hoher Schulden restrukturieren. Drei Hedgefonds als Anleihegläubiger übernahmen die Mehrheit am Diskonter.

Tief in den roten Zahlen steckt Wolford: 2022 summierten sich die Verluste des Vorarlberger Wäscheherstellers auf 35 Millionen Euro bei Umsätzen von knapp 126 Millionen. Auch Modeketten wie Esprit arbeiten weit abseits der Gewinnzone.

Verlorene Handelsfläche

In Summe verschwanden in Österreich 2022 in wichtigen Einkaufsstraßen 1600 Quadratmeter an Handelsfläche, erhob der Berater Standort+Markt. Allein in der Modebranche gingen innerhalb der vergangenen neun Jahre 86.000 Quadratmeter an Verkaufsfläche verloren.

Stephan Mayer-Heinisch, Präsident des Handelsverbands, beobachtet eine starke Verschiebung hin zu Diskontern und handelsfremder Nutzung. "Das ist meist mit Downgrading verbunden." Sorge bereitet ihm das seit Jahren anhaltende leise Sterben der Stadt- und Ortskerne. Der Verlust des stationären Handels koste Lebensqualität und beschleunige die Landflucht. "Stadtpolitiker werden sich mehr denn je um Händler bemühen müssen."

Weniger Leerstand

Hannes Lindner, Chef von Standort+Markt, zieht weniger pessimistische Schlüsse. Kaufkraft wolle gebunden werden, auch wenn sich der Handel bereinige. "Das gibt Betrieben mit längerem Atem mehr Kraft, die Krise zu durchtauchen."

Städte wie Bratislava bewiesen, dass es nicht per se Händler brauche, um Leben in sie zu bringen, ist er sich sicher. Wichtiger sei ein Mix der Funktionen, von Wohnungen und Büros bis zu Gastronomie und Kultur, die dafür sorgten, dass Häuser nicht zu Bruchbuden verfielen.

Die Leerstandsquote hat sich im Vorjahr in Österreichs Einkaufsstraßen leicht reduziert. Arztpraxen und Gesundheitsinstitute mieten sich in Erdgeschoßlagen ein, bringen Frequenz, was wiederum neue Nahversorger für kurzfristigen Bedarf anzieht, gibt Lindner zu bedenken.

"Spiegel der Gesellschaft"

Rasant neues Terrain sichern sich Billigketten wie Tedi, Action, Pepco und Thomas Philipps. Ihr jüngster Rivale ist der französische Diskontriese Gifi, der sein Glück mit Waren rund um Haus, Heim und Familie für unter zehn Euro sucht. Den Fuß in der Tür hat Gifi durch Standorte in Gerasdorf und Hartberg. Weitere mehr als 1000 Quadratmeter große Märkte sind in Arbeit.

Für den Schuhhändler Holzer ist die Handelslandschaft ein Spiegel der Gesellschaft. "Diese ändert sich gerade gravierend." (Verena Kainrath, 15.4.2023)