Eugen A. Russ (62) führt seit 40 Jahren die den Vorarlberger Medienmarkt dominierende, inzwischen digital auch stark international tätige Russmedia-Gruppe im Familien(stiftungs)besitz. Zur Gruppe gehören "Vorarlberger Nachrichten" und "Neue Vorarlberger Tageszeitung", vol.at, Vienna.at, Antenne Vorarlberg, Ländle TV, Wochenzeitungen und internationale Marktplatzportale sowie eine Beteiligung an Radio Arabella in Österreich.

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ORF.at ist Österreichs meistgenutzte Newsseite. Private Medienunternehmen sehen die Onlineaktivitäten des gebührenfinanzierten ORF als Hindernis etwa für Paid-Modelle, um Journalismus marktwirtschaftlich zu finanzieren.

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Kommende Woche verhandeln ÖVP und Grüne noch weiter am neuen ORF-Gesetz mit einer Haushaltsabgabe für alle, das auch mehr Möglichkeiten für den ORF online bringen soll. Der Vorarlberger Verleger Eugen A. Russ, dessen Familie das international tätige Medienhaus Russmedia mit "Vorarlberger Nachrichten" und "Neue Vorarlberger Tageszeitung" herausgibt, sieht mit dem Gesetz " eine Katastrophe auf uns zukommen" und die private Medienbranche "existenziell gefährdet".

STANDARD: Die Koalition verhandelt gerade auf Hochtouren das neue ORF-Gesetz mit einer Haushaltsabgabe für alle statt der GIS und einer Digitalnovelle. Was erwarten Sie?

Russ: Da kommt eine Katastrophe auf uns zu.

STANDARD: Inwiefern?

Russ: Wir haben schon einen unglaublich schwierigen Medienmarkt. Was andere Länder in Form von verlässlichen Medienförderungen in Qualitätsmedien investieren, wird bei uns über Inserate von öffentlichen Stellen nach Gutsherrenart verteilt. Das führt zu Abhängigkeiten und zu Unterstellungen von Abhängigkeit, die wir alle nicht haben wollen. Solche Fälle werden gerade aufgearbeitet.

STANDARD: Sie sprechen von den Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen die Herausgeber von "Kronen Zeitung", "Heute" und "Österreich" wegen des Verdachts der Inseratenkorruption. Die Regierung hat aber auch neue formelle Medienförderungen beschlossen oder ist gerade dabei.

Russ: Bei den öffentlichen Inseraten sprechen wir von einem Volumen von 250 bis 300 Millionen Euro. An dem Volumen dürfte sich auch mit der Novelle des Medientransparenzgesetzes wenig ändern – öffentliche Stellen müssen nun nur alle Buchungen melden und größere Kampagnen auf ihrer Website begründen. Die neuen Medienförderungen machen regulär pro Jahr zweimal 20 Millionen Euro aus. Auf der anderen Seite haben wir einen ORF, der schon heute Markführer ist dank 700 Millionen Euro oder künftig mehr öffentlichen Förderungen.

STANDARD: 700 Millionen Euro aus der Haushaltsabgabe für den ORF ab 2024, die die GIS-Gebühren ablösen soll und auch Streaminghaushalte zahlungspflichtig macht.

Russ: Die Haushaltsabgabe bringt noch einmal eine Ausweitung der öffentlichen Mittel für den ORF. Und über eine sogenannte Digitalnovelle soll der ORF noch mehr Rechte bekommen. Damit ist der private österreichische Medienmarkt nicht nur gefährdet, sondern existenziell gefährdet.

STANDARD: Was soll der ORF nach Ihren Erwartungen mehr dürfen?

Russ: Der ORF ist heute schon Marktführer mit der "blauen Seite" ORF.at. Diese blaue Seite hat heute zeitungsähnliche Inhalte – die das ORF-Gesetz eigentlich schon jetzt verbietet. Wenn dazu noch die Möglichkeit kommt, Audio- und Videoinhalte für online zu produzieren, dann gibt es neben diesem Riesen keinen Markt mehr für private Medien. Damit potenziert sich die Wettbewerbsverzerrung durch Steuergelder. Die blaue Seite muss daher massiv eingeschränkt werden.

STANDARD: Warum sehen Sie dann keinen privaten Markt mehr?

Russ: Private Medienangebote müssen sich auf ein neues Geschäftsmodell einstellen: Leserinnen und Leser müssen den Großteil der redaktionellen Kosten eines Medienunternehmens tragen. Bisher war das ein kleiner Bruchteil, weil Werbung, Stellen- und Immobilienanzeigen einen großen Teil des Aufwands finanzierte, die aber heute großteils bei Google, Facebook und Co landen. Aber wenn wir nachhaltig wirtschaften wollen, müssen die Leserinnen und Leser einen überwiegenden Teil übernehmen. Dieses Geschäftsmodell entwickelt sich international sehr gut – in den USA, in Skandinavien, aber etwa auch in Deutschland. Diese nachhaltige und gesunde Entwicklung werden wir nicht mitmachen können.

STANDARD: Warum nicht?

Russ: Wir haben zwei große Hindernisse. Das liegt einerseits am ORF und seiner den Markt dominierenden Onlinepräsenz, die er mit verpflichtenden Beiträgen aller Menschen in Österreich finanzieren kann. Eine Art von Steuer. Und andererseits am retardierenden Moment der öffentlichen Inseratenförderung. Mit 250 bis 300 Millionen Euro öffentlicher Werbung im Markt – sie bewahrt das alte, werbefinanzierte Geschäftsmodell. Es gibt Medienunternehmen, bei denen öffentliche Werbebuchungen 30, 40, 50 Prozent der Umsatzes ausmachen. Sie hindern andere Medienhäuser – öffentlich finanziert – auf dem Weg zu dem international mittlerweile dominierenden Geschäftsmodell der Userfinanzierung.

Bei der Gelegenheit: Ich wundere mich immer wieder, dass vor allem die Inserate der Bundesregierung auf Notwendigkeit hinterfragt werden. Wie steht es denn mit der Stadt Wien? Würden die Wienerinnen und Wiener glatt vergessen, dass sie über U-Bahnen und Müllabfuhr verfügen, würden sie nicht wöchentlich in ganzseitigen Anzeigen in Gratistageszeitungen daran erinnert werden?

STANDARD: Der ORF kann mit der Haushaltsabgabe auf verpflichtende Userbeiträge bauen.

Russ: Zu dieser verpflichtenden Haushaltsabgabe sollen nun mehr Möglichkeiten online kommen. Und man darf angesichts der Marktdominanz des ORF nicht die massiven Werbemöglichkeiten des ORF in den eigenen Programmen vergessen: Wenn im ORF Armin Wolf ein paar Sekunden Tiktok-Tanz vorführt, hat der ORF mit einem Schlag mehr Tiktok-Abonnenten als jedes private österreichische Medienhaus in Monaten schafft. Da ist einfach ein Ungleichgewicht. Oder anders formiert: Eine unerträgliche Wettbewerbsverzerrung.

STANDARD: Der ORF will seine Produktionen auch auf Social Media ausspielen – wie ARD und ZDF mit Funk für ein junges Publikum.

Russ: Der ORF argumentiert, dass er Reichweite braucht bei jungem Publikum. Er will diese Reichweite bei Tiktok und Instagram erzielen. Das bedeutet aber: Der ORF will mit öffentlichem Geld, mit den Beiträgen der Österreicherinnen und Österreicher, internationale Plattformen fördern – die mit den öffentlich finanzierten ORF-Inhalten ja Werbeeinnahmen erzielen. Da werden etwa Meta und die chinesischen Eigentümer von Tiktok direkt gefördert.

"Diese weitere Wettbewerbsverzerrung muss verhindert werden."

STANDARD: Was schlagen Sie vor?

Russ: Wenn der ORF schon Inhalte für andere Kanäle produzieren will, dann wäre es doch nur fair, wenn er die Inhalte nicht nur Mark Zuckerberg und China zur Verfügung stellt, sondern auch seinen österreichischen Mitbewerbern. Warum soll der ORF nicht die Inhalte, die er auf Social Media stellt, auch uns zur Verfügung stellen – mit dem gleichen Aufwand der Bearbeitung auch für unsere Plattformen, mit der gleichen Aktualität. Es ist nicht einzusehen, dass er den Aufwand nur für Social Media treibt. Die Reichweite können wir den ORF-Inhalten auch schaffen. Alleine im ORF-Landesstudio Vorarlberg sind nach eigenen Angaben 13 Mitarbeiter mit der Bespielung der internationalen Plattformen beschäftigt.

STANDARD: Was wäre eine Lösung?

Russ: Die Lösung muss sein, dass das verhindert wird.

STANDARD: Was verhindert?

Russ: Dass diese Digitalnovelle in Kraft tritt. Diese weitere Wettbewerbsverzerrung muss verhindert werden. Die private Medienlandschaft ist dadurch existenziell gefährdet. (fid, 15.4.2023)