Von Pater Magnus ist man bereits so einiges gewohnt. Zum Beispiel, dass er keine Scheu vor ungewöhnlichen Mitbewohnern hat. Seine Unterkunft im barocken Benediktinerkloster Ottobeuren in Bayern hat der Mönch schon einmal mit einer Boa und einer Python geteilt. Was der 54-Jährige nun vorhat, ist dagegen harmlos. Für Pater-Magnus-Verhältnisse zumindest. Für andere in der katholischen Kirche ist es ein Aufreger.

Samstagmittag, Stephansplatz 6: Pater Magnus steht in einem Veranstaltungszentrum gleich neben dem Dommuseum und schaut Papierbögen mit Wörtern in kunstvoll geschwungener Schrift durch. Er trägt seinen Arbeitshabit – ein Gewand mit Kapuze, das im Unterschied zur eigentlichen, bodenlangen Ordenstracht nur bis zu den Oberschenkeln reicht. "Mein Kleines Schwarzes", witzelt der Geistliche.

Französische Nachrichtenagentur, deutsches Privatfernsehen: Manche Tattoo-Willige haben mehr Angst vor den Fragen der Presse als vor dem Stechen.
Foto: Christian Fischer

Hier haben die Ordensgemeinschaften Österreich, das ist die Interessensvertretung der katholischen Männer- und Frauenorden im Land, ihren Sitz. Das Zentrum ist außerordentlich gut besucht: Mehrere Menschengruppen stehen im Erdgeschoß herum, auf der Galerie steigen Kameraleute und Journalisten einander auf die Füße. Die französische Nachrichtenagentur ist da, das deutsche Privatfernsehen auch.

Die Plakate an den Wänden verraten den Grund. Es ist "Free Tattoo Walk-In", mit Tätowierer Silas Becks. Im ersten Stock surrt bereits die Tattoomaschine des Stuttgarter Künstlers und Unternehmers: Mit höhenverstellbaren Hockern, Lampen und einem Rollwagerl hat er ein mobiles Tattoostudio eingerichtet, um Gläubigen gratis christliche Begriffe und Symbole auf die Haut zu stechen.

Schock für die Mönchsmama

Pater Magnus hat sich entschieden. Ein Christusmonogramm, also die beiden übereinander geschriebenen griechischen Buchstaben X und P, sollen es werden. Am liebsten am Daumenballen. So, wie er das bei zwei Klosterbewohnern aus Eritrea mit kleinen Kreuzen gesehen hat. "Das ist eine coole Sache." Tätowierer Becks legt allerdings ein Veto ein: Die Arminnenseite sei die bessere Stelle für das Motiv, rät er, dort verändere sich die Haut weniger. Der Pater gibt seinen Segen.

Tattookünstler Silas Becks aus Stuttgart hat Motive auf Spezialpapier vorbereitet. Damit können sie rasch auf die Haut übertragen werden.
Foto: Christian Fischer

Mit seinem Orden hat der Mönch seinen neuen Körperschmuck vorab nicht abgesprochen. Sorge, dass die Mitbrüder negativ reagieren könnten, hat er nicht. Gedanken mache ihm da eher seine Mutter: "Die wird vermutlich nicht so amused sein." Sein Begleiter, der 23-jährige Ignatius vom Deutschen Orden, war vorsichtiger: Er hat seinem Mentor angekündigt, an der Aktion teilzunehmen. Keine Einwände.

Ignatius' Umsichtigkeit kommt nicht von ungefähr. So Mainstream Tätowierungen in weiten Teilen der Gesellschaft mittlerweile sind, so umstritten sind sie innerhalb katholischen Kirche. Manche wollen aus dem Alten Testament gar ein Tattoo-Verbot herauslesen. Christopher Paul Campbell, Schriftsteller, Theologe und Initiator der Aktion, bekommt daher auch Widerstand zu spüren.

Christopher Paul Campbell ist Schriftsteller, Theologe und Initiator der Gratis-Tattoo-Aktionen.

Seit 2020 hat bereits vier Walk-Ins organisiert: erst zwei in Frankfurt, dann einen in Dornbirn und nun jenen in Wien. Bei der Premiere sei sogar in einer Kirche tätowiert worden. Demos, Exorzismus-Drohungen und ein böser Brief aus dem Vatikan seien die Folge all dieser Veranstaltungen gewesen, erzählt Campbell dem STANDARD.

"Spirituelle Erfahrung" als Ziel

Dabei hätten Tätowierungen im Christentum über die Jahrhunderte eine lange Tradition als Zeichen des Glaubens oder krönender Abschluss einer Pilgerreise – oder beides. Für Campbell sind christliche Tattoos gelebte Frömmigkeit. "Glaube ist expressiv, er formt uns und prägt uns", sagt der 41-Jährige. Genauso präge sich ein Tattoo ein.

Auslöser für sein Engagement für Tattoos im Katholizismus war ein zufälliger Kontakt mit einer Gruppe von Tätowierern im Jahr 2017 im deutschen Limburg. Diese besuchte das dortige Diözesanmuseum, wo Campbell damals arbeitete. Man kam ins Gespräch, über christliche Ikonografie. Daraus entstanden Interesse, ein Buch, Vorträge in Tattoo-Studios, der Kontakt zu Becks – und schließlich die Walk-Ins.

"Wenn jemand eine Kreuz-Kette um den Hals tragen kann, warum nicht auch ein Tattoo?", fragt Tätowierer Silas Becks.
Foto: Christian Fischer

Diese zielten natürlich ein wenig auf Rummel und PR ab, räumt Campbell ein. Hauptanliegen sei aber die Verkündigung, also die Weitergabe des Glaubens, denn darum gehen es letztlich. "Wir betten das in ein spirituelles Erlebnis ein."

Pater Magnus hält sich tapfer. "Das ist wie Blutabnehmen", sagt er und grinst in die Handykamera seines Begleiters. Ignatius wird die Bilder sogleich in einer Studierenden-Whatsapp-Gruppe teilen: Die beiden haben im Stift Heiligenkreuz Katholische Fachtheologie belegt. Die dortige Hochschule ist nach Papst Benedikt XVI. benannt. "Den mochte ich", erzählt Tätowierer Becks. Joseph Ratzingers Konterfei habe er zwar noch nie jemandem gestochen, dafür aber jenes von Papst Johannes Paul II.

Tattoo statt Kreuz-Ketterl

Becks Spezialgebiet sind Schriftzüge, er bezeichnet sich selbst als Kalligrafen – und als "gläubigen Katholiken". Neben der Freiheitsstatue oder dem Yankees-Logo zieren seine Haut auch christliche Motive, etwa eine Bibel mit Kreuz direkt unter dem Hals. Für ihn sind derartige Tattoos Glaubensbekenntnisse, die Respekt verdienen. "Jesus hat gesagt: Erkennt euch untereinander", zitiert Becks und führt die Tattoomaschine über die Haut. "Wenn jemand eine Kreuz-Kette um den Hals tragen kann, warum nicht auch ein Tattoo?"

Die Mönche Ignatius und Magnus nach der Erlösung – und mit Christusmonogramm.
Foto: Stefanie Rachbauer

So offen war der Deutsche nicht immer. Früher habe er die Straßenseite gewechselt, wenn er einem Tätowierten begegnet sei. "Ich wurde sehr konservativ erzogen und hatte Angst", sagt er ein wenig kryptisch. Mittlerweile hat er in Deutschland sogar einen eigenen Berufsverband für katholische Tätowierer gegründet. Er heißt Societas Indelebilis, also die unauslöschliche Gesellschaft.

Das Los entschied

Für den Walk-In am Stephansplatz haben 400 Menschen alleine bei der Ordensgemeinschaft Interesse bekundet, noch einmal 300 bei Becks über Instagram. Darunter: Ordensleute, in der Kirche Engagierte und einfache Gläubige. Die rund 50 Slots mussten verlost werden.

Silas Becks hat selbst christliche Tattoos, etwa eine Bibel mit Kreuz unter dem Hals. Für ihn ist das ein Glaubensbekenntnis.
Foto: Christian Fischer

Am häufigsten steche er "Faith", "Lord abide with me", "Blessed", sowie "Hope", sagt Becks. Und eben Pater Magnus' Christusmonogramm. Am Samstag ebenfalls dabei: "In God's hands", filigrane Kreuze sowie eine Silhouette des Stephansdoms. Und ein auf den ersten Blick wenig christlich anmutendes Motiv: "Wien". Ausgesucht hat es sich eine junge Frau, die nach Pater Magnus an der Reihe ist. Das sei eine Referenz zum Buch Exodus, sagt sie: "Wien ist eben mein gelobtes Land. " (Stefanie Rachbauer, 15.4.2023)