Jewgeni Prigoschin schreibt gern sarkastisch, ironisch und phrasenreich. Das hat offenbar für Verwirrung gesorgt.

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Wagner-Chef Jewgeni Prigoshin hat angeblich ein Ende der russischen "Spezialoperation" in der Ukraine gefordert. Das jedenfalls berichteten am Sonntag mehrere Medien. Unter anderem gehen diese Berichte auf eine Meldung der Agentur dpa vom Sonntag zurück, die auch die österreichische APA übernommen hat. Getitelt ist die Meldung mit "Wagner-Chef: Text über mögliches Kriegsende" – und wer sie liest, kann gut zum Schluss kommen, der Chef der russischen Söldnertruppe habe tatsächlich ein Ende der Spezialoperation und ein Einfrieren der aktuellen russischen Gebietsgewinne gefordert.

Allerdings ist dem Agenturbericht auch Widersprüchliches zu entnehmen: "Entgegen seiner vorherigen Worte schrieb er außerdem, dass die Kämpfe weitergehen müssten -und drohte der ukrainischen Armee: Wir sehen uns in Bachmut", heißt es am Ende der Meldung über Prigoschin.

Ein Argument als Strohmann

Fordert der als Hardliner bekannte Ex-Cateringunternehmer also tatsächlich ein Ende des Krieges? DER STANDARD hat sich Prigoschins Essay und auch die Meinungen von Fachleuten dazu angesehen. Der Sukkus: Die Sache ist ein wenig kompliziert. Dass Prigoschins Forderung aber tatsächlich so gelautet hat, und vor allem, dass sie auch so gemeint war, ist aber ziemlich unwahrscheinlich.

Zwar fallen in dem Text die Worte "Die ideale Variante wäre, das Ende der militärischen Spezial-Operation zu verkünden und zu erklären, dass Russland alle seine geplanten Ziele erreicht hat – und in gewisser Hinsicht haben wir sie ja auch wirklich erreicht." Auch schreibt der Wagner-Chef: "Für Russland besteht immer das Risiko, dass die Situation an der Front sich nach dem Beginn der (ukrainischen) Gegenoffensive verschlechtern kann."

Allerdings: Prigoschin dürfte in dem Text dieses Argument vor allem deshalb vorgebracht haben, um es anschließend als sogenannten Strohmann zu nutzen – also als Argumentationsfigur, die er sarkastisch seinen politischen Gegnern zuschreibt, und gegen die er in Folge auch argumentiert. Zu diesem Schluss kommt auch das "Institute for the Study of War" in einer Samstag veröffentlichten Analyse. In der Übersetzung von Prigoschins Schreibstil gehe oft viel Inhalt verloren, er neige zu Sarkasmus, Aphorismen, und einem ironischen Slang. Eine vollständige Lektüre des Textes würde sich aber keinesfalls für die "begründbare Interpretation" eignen, Prigoschin habe ein Ende des Militäreinsatzes gefordert.

Leak "kein Schaden" für Ukraine

Konkret gehe es ihm in dem Text vielmehr darum, eine baldige Entscheidungsschlacht zu erhoffen und zu empfehlen, deren Ende abzuwarten. Ganz besonders argumentiert er dabei gegen Verhandlungen mit Kiew. Nach der kommenden Frühjahrsoffensive der Ukraine werde es zwei Möglichkeiten geben: Deren Scheitern, das Russland die Möglichkeit zu weiteren Eroberungen böte. Oder einen ukrainischen Sieg, der in Russland einen nationalen "Reinigungsprozess" schaffe. Der Titel des Werkes legt ebenfalls nicht nahe, dass es sich zum ein Friedenspamphlet handelt. Er lautet: "Nur ein ehrlicher Kampf, keine Verhandlungen".

Zu dieser Interpretation passt auch eine spätere Mitteilung des von Prigoschin genutzten Pressedienstes. Die Hauptaussage des Artikels sei gewesen, dass es einen "ehrlichen Kampf" geben müsse, betonte dieser.

Interessant ist allerdings, was Prigoschin zu den jüngsten Leaks von US- Geheimdienstinformationen sagt. Diese würden keinerlei taktische Informationen verraten, für die Ukraine sei die Veröffentlichung daher nicht mit einer Bedrohung verbunden. Überhaupt gibt er sich zum Wahrheitsgehalt der Informationen skeptisch: Dass es solche Leaks gebe, würde der Ukraine dabei helfen, die, so Prigoschin, ohnehin geplante Verschiebung ihrer Offensive zu begründen. "Wäre der Leak nicht passiert, hätte man ihn sicherlich am nächsten Tag erfunden", schreibt er. (mesc, 16.4.2023)