Hier ist eine Römertragödie im Entstehen, die ihresgleichen sucht: Dorothee Hartinger, Birgit Minichmayr und Sabine Haupt (v. li.) beim Brainstormen. Im Hintergrund: Annemarie Fischer als Souffleuse.

Foto: Marcella Ruiz Cruz

Familie Gollwitz bietet zuhause unfreiwillig viel Theater auf: Papagei (Annemarie Fischer), Professor (Sabine Haupt), dessen Schwiegersohn (Lukas Vogelsang) und Tochter (Stefanie Dvorak).

Foto: Marcella Ruiz Cruz

Eine Ehepaar, das mehr Gemeinsamkeiten hat, als es weiß: Friederike (Dietmar König) und Jörg Gollwitz (Sabine Haupt).

Foto: Marceall Ruiz Cruz

Der Schwank Der Raub der Sabinerinnen von Franz und Paul von Schönthan, 1884 uraufgeführt, erweist sich am Akademietheater als ideales Stück zum Pandemie-Kehraus. Ein Theaterdirektor (Birgit Minichmayr) und sein unfreiwilliger Autor (Sabine Haupt) kämpfen voller Hingabe und gegen sämtliche Widrigkeiten für die Erstaufführung einer Römertragödie. Es ist das Jugendstück des Gymnasialprofessors Gollwitz, das dieser aus Angst vor Schmach bisher in der Schublade verwahrte.

Burgtheater Wien

Als möchte das Theater all den Unkenrufen noch einmal die lange Nase drehen, lässt Regisseurin Anita Vulesica eine gehörige Burleske vom Stapel, die am Ende viele heiße Ohren verspricht. Das Burgtheaterensemble fährt seine Komödienpranke aus; auf geschliffene Hochgeschwindigkeitskomik wie diese trifft man nicht alle Tage!

Mitglied in der Striese & Striese Company möchte man freilich nicht sein, denn deren Direktor Emanuel Striese pflegt in seiner Realisierungskunst erschaudernd niedrige Standards, von denen es vielsagende Kostproben gibt. So lässt beispielsweise der großspurig mit Broadway-Lichtern beworbene Dauerbrenner namens "The Empress her Daughthers" (auf gut Österreichisch: "Der Kaiserinnen ihre Töchter") schon alle Alarmglocken schrillen.

Fassbinder-Verschnitt

Theaterabende, die die eigene Zunft auf die Schaufel nehmen, finden meist bereitwillig Anklang, da sich in der Fallhöhe zwischen ernstem Anliegen und wegwischender Leichtigkeit ein ganzes Theateruniversum auftut. Allen voran bei Birgit Minichmayr, die in der Rolle des Direktor Striese als Rainer-Werner-Fassbinder-Verschnitt mit Lederjacke auftritt und in bayerisch-nestroyhaftem Sprachduktus von Shakespeares Maria Stuart schwärmt, die sie, Minichmayr, seit Samstag erste Shakespeare-Preisträgerin, selbst am Burgtheater mit tragödischer Schwere verkörpert.

Familie Gollwitz bietet zuhause unfreiwillig viel Theater auf: Papagei (Annemarie Fischer), Professor (Sabine Haupt), dessen Schwiegersohn (Lukas Vogelsang) und Tochter (Stefanie Dvorak).
Foto: Marcella Ruiz Cruz

Als Reminiszenz an die Illusionskunst stülpen Vulesica und Bühnenbildnerin Henrike Engel die knarzende Bühnenmaschine nach außen und über den Schauplatz im biederen Wohnzimmer der Familie Gollwitz, die von den Premierenplänen ihres Professorenvaters nichts wissen darf. Pappkulissen, Transportkisten, Scheinwerfer und Seilzüge umzingeln den Wohnsalon, der durch eine mittige Schwingtür zugleich auch ein Saloon ist. Für haarsträubende Theaterdeals wie diesen ist ein Wild-West-Anklang nicht verkehrt. Hat hier René Pollesch Nestroy inszeniert?

Affen als Kunstrichter

Zwischen den muffigen Tapeten liefert sich der verzagte Stückautor Gollwitz (Haupt) dem zünftigen Company-Leiter (Minichmayr) aus, der alles zu Theater verwurstet, was ihm in die Hände fällt. Er ist ein umgekehrter Theatermacher Bernhards, der in künstlerischen Fragen nicht lange fackelt. Pinienwald? Die Oleanderbüsche von der Kegelbahn genügen! Römerheer? "Wir leichen uns Uniformen der hiesigen Feierwehr"! Über alldem thront Gabriel von Max’ Gemälde Affen als Kunstrichter (1889), eine Satire auf den Kunstbetrieb, die dieses Treiben noch einmal verrückter wirken lässt.

Eine Ehepaar, das mehr Gemeinsamkeiten hat, als es weiß: Friederike (Dietmar König) und Jörg Gollwitz (Sabine Haupt).
Foto: Marceall Ruiz Cruz

Sie finden hier alle ihren Platz: Die theaterverliebte und ungeniert in viel zu kurzem Rock freudig japsende Haushälterin Rosa (umwerfend in ihrer Nonchalance-Komik: Dorothee Hartinger); Gollwitz-Gattin Friederike (eine Wucht in aller Zurückhaltung: Dietmar König), die selbst gern eine Hollywooddiva wäre und sich das Leben mit Fehlinterpretationen ihrer Umwelt interessanter macht.

Korrigierender Papagei

Weiters die Gollwitz-Töchter, in zweierlei Deprimiertheitsvarianten hinreißend interpretiert von Stefanie Dvorak. Lukas Vogelsang kann sich als Gollwitz-Schwiegersohn vor Unterstellungen kaum erwehren. Rainer Galke schneit als prächtige Berliner Weinhändlerin in heiratspolitischer Absicht für ihren Sohn (Julian von Hansemann) in die Szene. Und die Souffleuse (Annemarie Fischer) – was wäre eine Theaterhommage ohne eine solche! – thront als Papagei im Käfig und muss strengen Blickes übertriebene Geldsummen ständig nach unten korrigieren.

Bemerkenswert machen diese Burgtheaterfassung von Svenja Viola Bungarten und Vulesica die vielen kleinen komödiantischen Schaltstellen, die den Blutkreislauf der Inszenierung auf Trab halten. Von den Verballhornungen ("der weiße Rüssel vom Wolfgang") über die ausgekosteten, vielsagenden Sprechhänger bis hin zum herzhaften Ineinandersetzen von Bürgersalon und Theaterbühne. Dass sich Striese schließlich das Gummigemächt aus der Hose reißt und wie ein Lasso schwingt, scheint nur noch: logisch! (Margarete Affenzeller, 17.4.2023)