Österreich fehlt es an Strategie. Das führt zu Problemen, die im Rückblick vermeidbar gewesen wären. Die Antwort ist Jammerei, welche zeitweise in Larmoyanz abdriftet. Mit einer gewissen Regelmäßigkeit geschehen neue Malheure. Gerade ist es der Fach- und Arbeitskräftemangel, der – so der Diskurs – Fortschritt, Wachstum und überhaupt alles zu verhindern scheint.
Die Situation ist komplexer, als sie in der öffentlichen Debatte dargestellt wird. Einige Bereiche hat der demografische Wandel "erwischt". Dass in manchen Regionen in wenigen Jahren ein Großteil der Polizisten in Pension gehen wird, hätte man voraussehen können. Ähnlich verhält es sich mit dem Lehrermangel, den einige Spitzenbeamte schon vor Jahren prognostiziert haben. Doch ihre Warnungen wurden ignoriert.
Dass sich nur wenige für einen der wichtigsten Berufe des Landes, nämlich für den der Kindergartenpädagogik, interessieren, liegt eher an schlechter Bezahlung und Berufsbild. Dass für die Ausbildung eine Prüfung der "körperlichen Gewandtheit und Belastbarkeit" erforderlich ist (ein Relikt aus der Nazizeit), ist wohl nicht besonders förderlich. Ukrainische Kindergärtnerinnen, die in unserem Land Aufnahme gefunden haben, scheitern wiederum am Unterrichtsministerium, das ihre Abschlüsse pedantisch prüft.
Eltern, die ihren Kindern drohen
Der Fachkräftemangel hat die Industrie kalt erwischt. Dabei hätten wir voraussehen können, dass uns die stiefmütterliche curriculare Verankerung von Mint-Fächern in der Schule irgendwann auf den Kopf fallen wird. Stattdessen produzieren wir eine Menge Akademikerinnen und Akademiker. Eltern, die ihren Kindern drohen: "Wenn du nichts lernst, machst du eine Lehre", tragen eine Mitschuld an dieser Misere. Zum Unterschied handwerklicher und technischer Fähigkeiten werden Titel aller Art – und wehe, man vergisst einen – überbewertet.
Wir müssen uns auch nicht wundern, dass qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland sich schwertun, zu uns zu kommen, insbesondere wenn wir mit Abschiebungen, wie zuletzt in Haslach, auch international Schlagzeilen machen. Indische Programmierer ziehen dann lieber nach Kanada oder Australien.
Pauschal unqualifiziert
Und wer im Land ist, dem machen die Behörden, wie zum Beispiel die berüchtigte MA 35 in Wien, das Leben schwer oder zumindest "kafkaesk". Asylwerbende, die in den Arbeitsmarkt integriert werden sollten, werden pauschal als unqualifiziert abgetan. Es stimmt schon, dass zum Beispiel viele afghanische Geflüchtete über wenig Schulbildung verfügen. Doch könnte der Staat, wenn er wollte, ja über angepasste Lernpfade und Intensivschulungen viele von ihnen in Mangelberufe bringen.
Leider sehe ich die jungen Burschen aus dem Asylwohnheim in unserem niederösterreichischen Heimatort oft nur herumhängen. Das gibt dem neuen Landeshauptfrau-Stellvertreter Udo Landbauer (FPÖ) – ironischerweise ein Beispiel für "gelungene" Integration – wieder Argumente für Schuldzuweisungen und Jammerei.
Womit wir wieder bei einer Lieblingsbeschäftigung der Österreicherinnen und Österreicher angelangt wären. Warum nach Lösungen suchen? Da würden uns ja glatt die Probleme abhandenkommen! (Philippe Narval, 17.4.2023)