Kaum ein Tag vergeht, an dem kein neues Tool vorgestellt wird, das mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) unseren Alltag vereinfachen soll. ChatGPT schreibt Texte, Hausübungen und ganze Abschlussarbeiten, Midjourney generiert innerhalb von Sekunden realistisch anmutende Bilder von jeder erdenklichen Szene. In Medizin und Forschung hat spezialisierte KI-Software schon lange Einzug gehalten. In der Hitze des KI-Hypes stellt sich eine alte Menschheitsfrage neu: Wird die Maschine bald klüger sein als wir?
Darüber diskutierte eine Runde aus Fachleuten bei der Veranstaltungsreihe "Europa im Diskurs", die DER STANDARD gemeinsam mit dem Wiener Burgtheater, der Erste-Stiftung und dem Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) am Sonntag veranstaltete. Die stellvertretende STANDARD-Chefredakteurin Petra Stuiber moderierte.
Nicht klüger, aber intelligenter
Schon der Begriff "künstliche Intelligenz" an sich ist unscharf. Er wurde in den 1950er-Jahren geprägt – heute würde er so wahrscheinlich nicht mehr gewählt werden, glaubt Helga Nowotny. "Die Verwechslung zwischen menschlicher Intelligenz und dem, was die Maschine macht, wäre zu groß", sagt die emeritierte Professorin für Sozialwissenschaftliche Studien und ehemalige Präsidentin des Europäischen Forschungsrats. Denn viel gemeinsam haben die beiden Dinge eigentlich nicht.
Das weiß auch die Philosophin Lisz Hirn. Klugheit sei nicht so einfach ausrechenbar, weil sie immer auch die Erfahrungen als leibliches, verletzliches Wesen einbezieht. Ausgehend von diesem Begriff werden Maschinen niemals klüger sein als wir, sagt Hirn. "Aber man kann annehmen, dass sie schon jetzt intelligenter sind."
Auch an der Kreativität hapert es derzeit noch. Der Schriftsteller, Künstler und Informatiker Jörg Piringer experimentiert schon seit Jahren mit künstlicher Intelligenz. So generierte er etwa innerhalb kürzester Zeit 80 Gedichte, die seinem Verlag aber dann doch nicht originell genug waren. Also probierte er weiter – und gab insgesamt 5,60 Euro für das KI-Modell GPT-3 aus. Günstige Intelligenz nennt sich das literarische Endprodukt, das es schließlich doch in die Buchläden schaffte.
"Bioliteratur" für Reiche
Für Kulturschaffende könnte sich die Situation in Zukunft aber verschärfen, glaubt Piringer. Einige "künstlerische Nebenjobs" würden wohl wegfallen – einfache Übersetzungen etwa, Drehbücher für KI-generierte Videos oder das Verfassen von Trivialliteratur. "Ich habe die Befürchtung, dass es sich aufspaltet: Bioliteratur von echten Menschen, für die, die es sich leisten können – und Industrieliteratur für 90 Cent im E-Book-Format", prophezeit Piringer.
Auch wenn die KI noch lange nicht menschlich ist, ist sie gut darin, menschliches Verhalten zu interpretieren. Die KI-Unternehmerin Maya Pindeus arbeitet etwa an einer Software, die bewertet, wie wahrscheinlich es ist, dass zu Fuß Gehende plötzlich die Straße betreten.
Diese Daten werden bereits in der Autoindustrie eingesetzt – um die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen, sagt Pindeus. Sie hält es für wichtig, dass öffentlich intensiv über KI diskutiert wird. Nur so könnten wir die Gefahren und Möglichkeiten der KI verstehen.
Dieser öffentliche Diskurs wurde kürzlich durch einen offenen Brief angefacht, in dem hunderte, teils prominente Fach- und Geschäftsleute einen KI-Entwicklungsstopp fordern. Lisz Hirn hält es für sehr unrealistisch, dass die aktuellen Entwicklungen in der künstlichen Intelligenz aufhaltbar ist. "So funktioniert Wissenschaft einfach nicht", sagt Hirn. Der offene Brief könnte den KI-Hype sogar noch befeuert haben – sowohl was Faszination als auch was Ängste betrifft.
Hype und Ideologie
Dem stimmt auch Peter Knees, Professor an der Informatik-Fakultät der TU Wien, zu. "Das Angstmachen vor der KI ist Ideologie", sagt er. Damit würde der KI ein gesellschaftlicher Stellenwert eingeräumt, den sie aus technischer Sicht so vielleicht gar nicht verdient hätte. Als Teil der Bewegung des Digitalen Humanismus fordert er, dass bei der KI-Entwicklung humanistische Werte miteinbezogen werden. Europa könnte bei der Regulierung ein weltweites Vorbild sein, wie es bereits bei der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der Fall war. Sie gilt als Schablone für ähnliche Gesetze weltweit.
Die Debatte sei derzeit aber stark von den Vorstellungen der Tech-CEOs geprägt, vor allem was die angeblich universell einsetzbare "allgemeine KI" betrifft. "Das ist ein Ablenkungsmanöver", sagt Nowotny. Denn die Möglichkeiten, die KI für das Bildungs- oder Gesundheitssystem biete, würden so unter den Tisch fallen.
Zurück ins Real Life
Im Vordergrund steht aber oft die dunkle Seite von KI – etwa Deepfakes in Bild-, Video- oder Audioform. Technisch könnte man das Problem mithilfe von Wasserzeichen lösen. "Doch das wahre Problem ist die Fragilität unserer demokratischen Institutionen", sagt Nowotny – und will diese stärken.
Lisz Hirn kann sich gut vorstellen, dass in einer künftigen digitalen Welt, in der Wahrheit von Fake kaum mehr zu unterscheiden ist, Treffen im echten Leben wieder wichtiger werden. "Diese leibliche Gegenüberstellung von Angesicht zu Angesicht ist die einzige Garantie, dass es wirklich passiert", sagt die Philosophin. (Philip Pramer, 16.4.2023)