Auf den Pisten des Skigebiets Ischgl-Samnaun ist viel Geld unterwegs. Es steckt nicht nur in pelzgekrönten Designeroveralls und bissigen Renn-Ski, sondern immer wieder auch verborgen in Rucksäcken. Die Skischaukel, die sich über 239 Pistenkilometer erstreckt, reicht nämlich vom Tiroler Nobelskiort Ischgl bis ins schweizerische Samnaun, einer zollfreien Enklave. Dort locken – wie man es von Flughäfen kennt – über 40 Duty-free-Läden mit Preisen, die um 15 bis 20 Prozent günstiger sind als in der EU.

Lea Mark ist in der Außenstelle Ischgl als Zollbeamtin im Einsatz.
Carlos Blanchard

Liegt der Gesamtwert des dort getätigten Einkaufs über 300 Euro, muss bei der Einreise in die Europäische Union Zoll gezahlt werden. Für manche Artikel wie Alkohol oder Zigaretten gelten Freimengen: So dürfen maximal ein Liter Hochprozentiges oder 200 Stück Zigaretten eingeführt werden.

Es wird immer mehr geschmuggelt

Daran halten sich offenbar nicht alle. "Es wird wieder mehr geschmuggelt – sowohl die Menge als auch der Wert der Waren steigt", stellt Johann Walzthöni fest. Er muss es wissen. Der Tiroler arbeitet seit 1980 für den österreichischen Zoll.

Seit mehr als 20 Jahren verrichtet er seinen Dienst auch in der Außenstelle Ischgl. An solchen Tagen trägt Walzthöni Funktionswäsche, Gletscherbrille, Helm und Ski. Denn dann finden die Kontrollen nicht an der Straße, sondern auf der Piste statt. DER STANDARD hat ihn und seine junge Kollegin Lea Mark an einem Montag Mitte März bei der Arbeit begleitet.

Nach der Morgenbesprechung gondeln die beiden in Richtung Staatsgrenze. Wie sie die Kontrollen anlegen, wo sie sich positionieren und worauf sie einen Schwerpunkt legen, liegt in ihrer Hand. Er habe viel erlebt in all den Jahren, erzählt Walzthöni – "viel lustiges und viel absurdes". So viel, dass man ein ganzes Buch füllen könne. Man sieht ihm an, dass er schon immer viel am Berg unterwegs war. Sein Gesicht ist wettergegerbt, er steht sicher auf den Skiern, akkurat malt er seine Schwünge in den Frühlingsschnee. Zu Beginn fallen seien Antworten kurz aus, im Laufe der Zeit verfällt er in einen Plauderton – mit starkem dialektalem Einschlag.

Ausschau halten auf 2.800 Metern

Walzthöni und Mark dürfen im gesamten Skigebiet Zollkontrollen durchführen – allerdings natürlich nur auf der österreichischen Seite. Es gebe drei Grenzübergänge im Skigebiet, erklärt Walzthöni: das Viderjoch, die Greitspitz und den Flimsattel. Meist stünden sie an Letzterem.

Dort, auf fast 2.800 Metern, endet ein aus der Schweiz kommende Sessellift und spuckt die Skifahrenden quasi direkt in die Arme der Kontrollierenden. Die Checks erfolgen stichprobenartig, vor allem hielten sie aber Ausschau nach eleganter, teurer Kleidung und großen Rucksäcken, sagen die beiden. Mit der Zeit entwickle man ein Gespür dafür, wer etwas zu verbergen haben könnte.

Es sei auch möglich, in Gondeln und Sesselliften und ganz ohne sportliche Betätigung von Ischgl nach Samnaun zu gelangen, lässt Walzthöni wissen. Das sei in eineinhalb Stunden schaffbar, "wenn man sich gut auskennt und genau weiß, was man will". Über die Greitspitz käme indes nur, wer "wirklich gut auf den Skiern steht".

Walzthöni und Mark vor dem Zollcontainer am Flimsattel. Auf rund 2.800 Metern fahren ihnen die Skifahrenden vom Sessellift quasi direkt in die Arme.
Carlos Blanchard

Ein Rucksack voller Luxusuhren

Am Flimsattel, direkt neben einem großen Schild, das die Grenze ausweist, schmiegt sich – unauffällig in Weiß gehalten – ein kleiner Container in die schneebedeckte Landschaft. Dort machen sich Walzthöni und Mark bereit für die ersten Kontrollen. Am Schreibtisch liegt der Laptop des Beamten, daneben ein Stapel Formulare, ein Kartenterminal, Dienstmarke, Helm, zwei Walkie-Talkies.

Walzthöni und Mark bereiten sich auf ihren Einsatz vor.
Carlos Blanchard

Erst kürzlich wurde ein Mann beim Versuch, drei Luxusuhren im Wert von rund 60.000 Euro in die EU zu schmuggeln, erwischt. Auch im vergangenen Winter gelang an einem kalten Februartag der Truppe "Reiseverkehr und mobile Kontrolle", zu denen auch Walzthöni und Mark gehören, ein beachtlicher Erfolg. Ein Skifahrer führte in seinem Rucksack acht Luxusuhren im Gesamtwert von rund 36.000 Euro mit sich. Wer beim Schmuggeln auf der Piste erwischt wird, zahlt doppelte Abgaben. Im Falle des frechen Skifahrers wurden Abgaben und Strafen in der Höhe von knapp 14.000 Euro fällig. Manchmal werde das Schmugglergut auch beschlagnahmt, lässt Walzthöni wissen.

Walzthöni zeigt ein Foto eines größeren Aufgriffs. Darauf sind wertvolle Luxusuhren zu sehen.
Carlos Blanchard

2022 führte der Zoll 330.000 Grenzkontrollen in Österreich durch. Solche großen Erfolge seien zwar selten, doch man werde fast täglich fündig, sagt Mark. Es seien vor allem Gäste, die versuchten, Waren über die Piste von der Schweiz nach Österreich zu bringen. Die Zollbeamtin ist knapp zwei Jahre im Dienst. "Es ist sicherlich nicht jedermanns Sache", räumt sie ein. Auf dem Sattel bläst oft ein schneidend kalter Wind, nicht immer reagieren die Wintersportler freundlich und verständnisvoll.

Zielstrebig und routiniert steuert Mark auf eine Gruppe zu, die gerade aus dem Sessellift steigt. "Zollkontrolle. Öffnen Sie bitte Ihren Rucksack." Mark lässt sich den Inhalt der Rucksäcke zeigen, kontrolliert die Belege. Alles in Ordnung. Nach wenigen Minuten fährt die Gruppe weiter.

Mark bei der Zollkontrolle einer Snowboarderin. Sie kontrolliert den Inhalt des Rucksacks, Belege und Rechnungen.
Carlos Blanchard

Der Großteil verhält sich gesetzeskonform

"Die meisten halten sich an das Gesetz, kommen zu uns und verzollen ihre Waren", ist sich Walzthöni sicher. In Zeiten der Krise würden sich die Menschen wieder mehr Gedanken über Wertanlagen machen, mutmaßt er. So verzeichneten sie nicht nur mehr illegale Aufgriffe, sondern auch um ein Vielfaches mehr an deklarierten Einkäufen.

Historische Schmugglerpfade

Weniger eine Wertanlage, aber schier lebensnotwendig war das Schmugglergeschäft einst für das kleine Bergdorf Ischgl. Landwirtschaftliche Erzeugnisse wurden in der Schweiz gegen Kaffee, Zucker, Gewürze und Tabak getauscht. DER STANDARD konnte keine Zeitzeugen mehr auftreiben, die sich zu einem Gespräch mit der Presse bereiterklärten. Viele seien in den vergangenen Jahren verstorben, berichtet auch Walzthöni.

Die Grenze zur Schweiz läuft durch die Skischaukel Ischgl-Samnaun.
Carlos Blanchard

Doch es gibt Videos solcher Gespräche, etwa auf der Webseite des Tourismusverbands Ischgl. Dort ist ein Herr namens Emil Zangerl zu sehen, wie er im Sessellift sitzt und von alten Zeiten berichtet. Nylonstrümpfe habe man damals für die Damen besorgt – "die mit der schwarzen Naht und der schwarzen Ferse". Die Strümpfe wurden zu festlichen Anlässen getragen, etwa zum Sonntagsgottesdienst. In der Kirche zeigte sich, wer mit dem Schmuggeln zu tun habe, erzählt er schelmisch schmunzelnd.

Natürlich wird der historische Kontext auch heute noch vermarktet: Heute können Gäste auf drei "Schmugglerrunden" wedeln.
Carlos Blanchard

Erwischt hätten ihn die Zollbeamten auf ihren Holzski damals nie, fügt er stolz hinzu. Jenen, die nicht entwischen konnten, drohten – abgesehen von der Konfiszierung der Ware – damals übrigens noch keine weiteren Konsequenzen.

Samnaun profitiert seit 1862 vom zollfreien Status. Damals war der Ort nur über einen schmalen Weg von Tirol aus zu erreichen. Um die Siedler im Tal zu halten, wurde der Ort bis zum Bau der ersten Straße in die Schweiz zur Freihandelszone erklärt. Besagte Straße gibt es zwar schon seit 1913, die Freihandelszone aber blieb.

Heute zeugt noch eine touristische Attraktion von der Schmugglervergangenheit: Wintersportler können drei "Schmugglerrunden" bestreiten: Gold, Silber oder Bronze. Erstere ist laut dem Tourismusverband Ischgl eine der längsten Skirunden weltweit. (Maria Retter, 18.4.2023)