Wurden Johanna Mikl-Leitner und Udo Landbauer gültig zu Landeshauptfrau und Landeshauptfrau-Stellvertreter gewählt? Eindeutig ist die Rechtslage dazu nicht, sagt Verfassungsjurist Karl Stöger.

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St. Pölten – Politisch war die Wahl Johanna Mikl-Leitners zur Landeshauptfrau im März immer schon umstritten – nun könnte das Prozedere im Landtag auch juristisch angefochten werden. Der Verfassungsjurist Karl Stöger von der Uni Wien weist darauf hin, dass es rechtlich unklar sei, ob die gültigen Stimmen für die ÖVP-Politikerin tatsächlich ausgereicht hätten. "Das wäre eine Frage, die der Verfassungsgerichtshof klären müsste", sagt Stöger zum STANDARD.

Es geht um das Manöver der FPÖ-Abgeordneten: Die Freiheitlichen hatten im Vorfeld der konstituierenden Landtagssitzung im März mehrfach versprochen, Mikl-Leitner nicht zur Landeshauptfrau zu wählen. Um ihr den Posten im Rahmen der schwarz-blauen Koalition im Land dennoch zu ermöglichen, stimmten die Blauen weiß und damit ungültig. Damit reichten die Stimmen der ÖVP, um eine Mehrheit unter den gültigen abgegebenen Stimmen zu erhalten.

Passus nur bei Landesräten

Stöger argumentiert nun, dass dies für die Landeshauptfrau nicht ausgereicht haben könnte: "Die Landesverfassung sieht bei der Wahl der Landesräte vor, dass leere Stimmzettel 'außer Betracht' bleiben. Bei der Wahl zur Landeshauptfrau und ihren Stellvertretern fehlt diese Anordnung", sagt Stöger.

In Niederösterreichs Landesverfassung wird streng zwischen Landesrätinnen und -räten, der Landeshauptfrau und ihren zwei Stellvertretern getrennt. Gemeinsam bilden sie die Landesregierung, es gibt für die unterschiedlichen Positionen aber auch unterschiedliche Wahlmodi. Bei der Wahl der Landesräte ist das Proporzsystem zu beachten, weshalb diese nach anderen Bestimmungen geregelt wird als die der Landeshauptfrau und ihrer Stellvertreter.

Zwei Lesarten

Wobei eben unklar sei, wie genau diese Mehrheit auszusehen hat, sagt Stöger. Zwei Lesarten seien möglich: Wenn die Verfassung die ungültigen Stimmzettel bei den Landesräten ausschließt, könnte man das auch auf die Wahl der höhergestellten Regierungsmitglieder ausweiten, weil dort nichts Näheres bestimmt ist. Die zweite Lesart: Weil die Verfassung diese Regelung nur bei den Landesräten explizit vorsieht, gilt sie bei der Landeshauptfrau gerade deswegen nicht.

Eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde der Opposition hätte drastische Folgen für die niederösterreichische Landespolitik: Sobald ein entsprechendes Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs verlautbart wird, verliert Mikl-Leitner ihren Job. Dasselbe würde im Übrigen auf Landeshauptfrau-Stellvertreter Udo Landbauer zutreffen, der ebenfalls nur dank ungültiger Stimmen in diese Position gewählt wurde. Sollten Mikl-Leitner und Landbauer tatsächlich aus dem Amt scheiden, müsste der Landtagspräsident sofort für eine neue Wahl der Landesregierung sorgen.

ÖVP: "Eindeutig"

Aus der Landtagsdirektion heißt es auf STANDARD-Anfrage dazu: "Artikel 35 der NÖ Landesverfassung 1979 regelt die grundsätzlichen Wahlmodi (Mehrheitswahl, Verhältniswahl) für die Wahlen von Landeshauptfrau, Landeshauptfrau-Stellvertretern und Landesräten." Für Details sei "die Geschäftsordnung des Landtages heranzuziehen. Diese bestimmt für alle Wahlen im Landtag, dass sie durch einfache Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen entschieden werden, und dass leere Stimmzettel ungültig sind (§ 67 Abs. 2 und 5 LGO 2001)."

Stöger sieht das auf Rückfrage aber nicht als entscheidend an, da der entsprechende Passus in der Geschäftsordnung nur dann greift, wenn nichts anderes bestimmt ist. Das wäre aber durch die Verfassungsbestimmung möglicherweise der Fall.

"Die Rechtslage und die Auslegung der Landtagsdirektion sind in dieser Frage völlig eindeutig", heißt es knapp auf Anfrage aus dem ÖVP-Klub. "Die Wahl wurde von mir sowohl rechtlich als auch organisatorisch nach den Bestimmungen unserer Landesverfassung und Landtagsgeschäftsordnung vorbereitet und durchgeführt", hielt Landtagspräsident Karl Wilfing (ÖVP) in einer Aussendung fest. "Das Wahlprozedere wurde einvernehmlich in der Präsidialkonferenz mit den Vertretern der Parteien vorbereitet und besprochen", betonte er. Es habe dabei weder organisatorische noch rechtliche Kritik am Wahlprozedere gegeben.

Opposition übt Kritik

"Wir haben immer gesagt: Wenn eine Koalition mit einem Wortbruch beginnt, dann wird sie nicht gut enden. Der Pakt aus ÖVP und FPÖ steht in jeder Hinsicht auf wackeligen Beinen", sagte der Landesgeschäftsführer der SPÖ Niederösterreich, Wolfgang Zwander zur Austria Presse Agentur. "Solche Diskussionen entstehen aufgrund des undurchsichtigen Proporzsystems in Niederösterreich", heißt es von den Grünen. Und die Neos würden es begrüßen, wenn der VfGH tätig würde: "Ein Rechtsstaat profitiert von Klarheit, die es bei der Wahl der Landeshauptfrau aber nicht gegeben hat", sagt Landessprecherin Indra Collini. (Sebastian Fellner, 17.4.2023)