Der Oppositionelle Wladimir Kara-Mursa bezeichnete die russische Regierung als ein "Regime von Mördern".

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Moskau – Der prominente russische Kremlgegner Wladimir Kara-Mursa ist in Moskau wegen Hochverrats zu 25 Jahren Haft im Straflager verurteilt worden. Das Stadtgericht verhängte das umstrittene Urteil am Montag gegen den Oppositionellen. Es ist die höchste Strafe, die bisher gegen einen Oppositionellen in Russland verhängt wurde. Der 41-Jährige, der zwei Giftanschläge überlebt hat, gilt als einer der schärfsten Kritiker von Präsident Wladimir Putin.

Im April 2022 verhaftet

Kara-Mursa war im April 2022 verhaftet worden, nachdem er den russischen Einmarsch in der Ukraine kritisiert hatte. Er soll in einer Rede vor US-Abgeordneten aus dem Bundesstaat Arizona falsche Informationen über die russische Armee verbreitet haben. Im August 2022 wurde er beschuldigt, mit einer "unerwünschten Organisation" in Verbindung zu stehen – zuvor hatte er an einer Konferenz zur Unterstützung politischer Gefangener teilgenommen.

Im Oktober wurde er dann wegen Kreml-kritischer Äußerungen bei drei öffentlichen Veranstaltungen im Ausland wegen Hochverrats angeklagt, wie die staatliche Nachrichtenagentur Tass berichtete. In einem wenige Stunden vor seiner Festnahme auf dem US-Nachrichtensender CNN ausgestrahlten Interview hatte er gesagt, Russland werde von "einem Regime von Mördern" regiert.

Kara-Mursa ist wegen "Hochverrats" und "Verbreitung von Falschinformationen" über die russische Armee in Russland verurteilt worden.
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Der ehemalige Journalist mit russischem und britischem Pass erschien am Montag in Handschellen in einem abgetrennten Glasraum vor Gericht. Er nahm das Urteil mit einem Lächeln auf und forderte seine Unterstützer durch Gesten auf, ihm ins Gefängnis zu schreiben. "Russland wird frei sein", sagte Kara-Mursa nach dem Urteil und zitierte damit einen bekannten Leitspruch der russischen Opposition.

Wie die Anwältin Maria Eismont erklärte, will der Verurteilte Berufung einlegen. Er habe während des Prozesses "grobe Verfahrensverstöße" beanstandet, sagte sie. Außerdem ist der Politiker laut Eismont gesundheitlich schwer angeschlagen. Sie sagte zuletzt, dass ihr Mandant in Untersuchungshaft 17 Kilogramm an Gewicht verloren habe.

Urteil sorgt für Empörung im Ausland

Der inhaftierte Kreml-Kritiker Alexej Nawalny reagierte "zutiefst empört" auf die Verurteilung Kara-Mursas. Das Urteil sei "rechtswidrig, schamlos und einfach faschistisch", sagte Nawalny in einer am Montag durch sein Team in Onlinediensten veröffentlichten Sprachmitteilung. "Ich glaube, dass Wladimir Kara-Mursa aus politischen Gründen verfolgt wurde", hieß es weiter.

Auch im Ausland wurde das Urteil mit Empörung aufgenommen. Der Uno-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, forderte die "unverzügliche" Freilassung Kara-Mursas: "Niemand sollte seiner Freiheit beraubt werden, weil er seine Menschenrechte ausübt, und ich fordere die russischen Behörden auf, ihn unverzüglich freizulassen", erklärte der Österreicher.

Das Außenministerium in Wien zeigte sich auf Twitter "zutiefst beunruhigt über die sich verschlechternde Menschenrechtslage in Russland". Es verurteilte die "politisch motivierte 25-jährige Haftstrafe" gegen Kara-Mursa "auf das Schärfste" und forderte seine sofortige und bedingungslose Freilassung.

Großbritannien bestellte den russischen Botschafter ein und bezeichnete das Urteil als "politisch motiviert". Auch die deutsche Regierung verurteilte das Urteil "auf das Schärfste". Das US-Außenministerium in Washington bezeichnete das Urteil als "politisch motiviert". "Kara-Mursa ist ein weiteres Ziel der eskalierenden Kampagne der Unterdrückung seitens der russischen Regierung." Das US-Außenministerium erneuerte seinen Aufruf zur Freilassung des 41-Jährigen sowie grundsätzlich zur Freilassung der "mehr als 400 politischen Gefangenen" in Russland.

"Die ungeheuerlich harte Gerichtsentscheidung zeigt einmal mehr, dass die Justiz politisch missbraucht wird, um Aktivisten, Menschenrechtsverteidiger und alle Stimmen, die sich gegen den unrechtmäßigen russischen Aggressionskrieg gegen die Ukraine aussprechen, unter Druck zu setzen", sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Aus Sicht der EU hat das Verfahren auch nicht den internationalen Standards für ein faires und öffentliches Verfahren vor einem zuständigen, unparteiischen und unabhängigen Gericht entsprochen.

"Jegliche Opposition wird in Russland im Keim erstickt. Dass sämtliche Putin-Widersacher – von Nawalny angefangen bis hin zu Kara-Mursa – auch mit Pseudo-Strafprozessen verfolgt und in Strafhaft mundtot gemacht werden, hat bereits System. Kara-Mursa und sämtliche politische Gefangene sind umgehend freizulassen", fordert die Außenpolitik-Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic.

Vergleich mit Stalin-Schauprozessen

In seiner letzten Rede in dem Gerichtsverfahren verglich Kara-Mursa seinen Prozess mit einem von Josef Stalins Schauprozessen in den 1930er-Jahren. Er lehnte es ab, das Gericht um einen Freispruch zu bitten. Er stehe zu allem, was er gesagt habe, und sei stolz darauf. "Verbrecher sollten für ihre Taten büßen. Ich hingegen sitze wegen meiner politischen Ansichten im Gefängnis. Ich weiß auch, dass der Tag kommen wird, an dem sich die Dunkelheit über unserem Land verziehen wird", sagte er.

Zweimal hat der prominente Putin-Gegner rätselhafte Vergiftungen nur knapp überlebt. 2015 und 2017 war er mit Vergiftungssymptomen zusammengebrochen. Seither leidet er nach Angaben seines Anwalts an einer Nervenkrankheit. Kara-Mursa und seine Unterstützer erklären, er sei Opfer von Anschlägen geworden. Die russischen Behörden streiten jede Beteiligung an den mutmaßlichen Attentaten ab. Recherchen der Investigativgruppe Bellingcat zufolge wurde Kara-Mursa von denselben Agenten des Inlandsgeheimdienstes FSB verfolgt, die auch in den Giftanschlag auf den Oppositionellen Alexej Nawalny verwickelt gewesen sein sollen.

Der Politiker Kara-Mursa war im vergangenen Jahr mit dem prestigeträchtigen Václav-Havel-Preis des Europarats ausgezeichnet worden. Es erfordere unglaublichen Mut, sich im heutigen Russland gegen die Obrigkeit zu stellen, hatte der Präsident der Parlamentarischen Versammlung, Tiny Kox, im Oktober gesagt. Kara-Mursas Frau Jewgenija nahm den Menschenrechtspreis entgegen. Sie las ein Statement von ihm vor, wonach er den Gewinn all denjenigen widme, die sich in Russland gegen den Ukraine-Krieg auflehnten. Seine drei Kinder und seine Frau leben seit Jahren in den USA.

Der bekannte Aktivist war ein Vertrauter des im Jahr 2015 erschossenen Oppositionsführers Boris Nemzow. Fast alle der bekanntesten politischen Gegner Putins sind entweder aus dem Land geflohen oder sitzen im Gefängnis (APA, 17.4.2023)