Es ist nicht das erste Mal, dass Polen und Ungarn mit der Europäischen Union über Kreuz liegen. Im aktuellen Fall betrifft es die Handelspolitik mit der Ukraine – namentlich deren Getreideexporte: Am Wochenende kündigten die beiden Nachbarstaaten des von Russland angegriffenen Landes Einfuhrverbote für ukrainisches Getreide an. Bulgarien und die Slowakei wollen mitziehen. Für die EU ist das ein No-Go.

Ukrainisches Getreide (Foto: Ernte im Sommer 2022) führt im Osten der EU zu umstrittenen Maßnahmen.
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Begründet wird die Maßnahme in Warschau und Budapest einerseits damit, dass die ukrainischen Getreideexporte die eigene, heimische Produktion wegen billiger Preise gefährden würden; andererseits würde ukrainisches Getreide, das nicht nach EU-Normen hergestellt werden muss und eigentlich für andere Märkte (v. a. Nahost und Afrika) bestimmt sei, schädliche Pestizide enthalten. Es gelte daher, die Qualität des Getreides sicherzustellen.

EU: "Nicht akzeptabel"

Die Europäische Union nimmt den jeweils einseitig ausgerufenen Einfuhrstopp zur Kenntnis – akzeptieren will und kann Brüssel die Maßnahme allerdings nicht, denn die europäische Handelspolitik falle in den alleinigen Zuständigkeitsbereich der Union, nicht der einzelnen Mitgliedsstaaten. "Einseitige Maßnahmen sind nicht akzeptabel", richtete man in Brüssel den Regierungen in Warschau und Budapest aus. Nachsatz: Gerade in herausfordernden Zeiten sei es wichtig, Entscheidungen innerhalb der EU zu koordinieren, Solidarität mit der Ukraine sei gerade zum gegebenen Zeitpunkt eine Notwendigkeit für Europa. Polen berief sich auf eine "Sicherheitsklausel", die das eigene Vorgehen sehr wohl formell möglich mache.

Jarosław Kaczyński, der Vorsitzende der rechtskonservativen polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit, versicherte einerseits, dass Polen zwar weiterhin solidarisch mit der Ukraine sei, das Land aber natürlich auch die prioritäre Aufgabe habe, die eigenen Landwirtschaftsbetriebe zu schützen.

Laut der ukrainischen Nachrichtenagentur Ukrinform wurde am vergangenen Wochenende für diesen Montag ein Termin angesetzt, bei dem die Fachminister Polens und der Ukraine über die Lage beraten sollen. Ein großes Entgegenkommen vonseiten Warschaus war vorab aber nicht zu erkennen.

Ungarn: "Markt überschwemmt"

Nicht nur Polen sieht ein Problem: Auch der ungarische Markt werde zurzeit nicht nur mit Getreide, sondern auch mit anderen landwirtschaftlichen ukrainischen Produkten wie Gemüse, Eier, Öl, Zucker und Fleisch überschwemmt, berichteten am Wochenende regierungsnahe Medien. Das in mehreren Sprachen via Internet verbreitete Magazin "Hungary Today" zitierte Landwirtschaftsminister István Nagy, der von einer nur "vorübergehenden" Maßnahme bis 30. Juni sprach: Das könnte "genug Zeit geben, um sinnvolle und dauerhafte EU-Maßnahmen zu ergreifen; um eine Lösung zu finden, die volle Zollfreiheit für ukrainische Waren und das Funktionieren von Solidaritätskorridoren in Betracht zu ziehen."

Zoll- und Quotenausnahmen für ukrainische Agrarprodukte würden das kostendeckende Wirtschaften für ungarische Betriebe erschweren oder gar unmöglich machen. Die EU müsse nun für faire Marktbedingungen sorgen, statt tatenlos zuzusehen, wie ukrainisches Getreide, das über den Solidaritätskorridor für Nordafrika und den Nahen Osten bestimmt ist, in Europa festsitzt und zu schweren Marktstörungen führt, fügte der Minister hinzu. Er kritisierte auch, dass das fragliche Getreide aus der Ukraine mit "in der EU nicht üblichen Produktionsmethoden" hergestellt werde – das führe letztlich zu gewaltigem Preisdruck in der gesamten Region.

Nagy forderte demgemäß die Wiedereinführung von Kontingenten für Weizen, Mais, Sonnenblumen, Raps und Sojabohnen. Unverkauftes Getreide, das in den an die Ukraine angrenzenden Mitgliedsstaaten angebaut und gelagert wird, solle die EU für humanitäre Zwecke aufkaufen und anderswo einsetzen, regte der ungarische Minister an.

Bulgarien und Slowakei ebenfalls dabei

Laut "Hungary Today" stellt auch das nicht direkt an die Ukraine grenzende Bulgarien die Weichen für ein Importverbot. Tatsächlich hatte der bulgarische Landwirtschaftsminister Javor Gechev laut dem paneuropäisches Mediennetzwerk "Euractiv" schon im März eine Überarbeitung des mehrjährigen EU-Finanzrahmens und die Angleichung der EU-Subventionen für alle landwirtschaftlichen Erzeuger eingefordert. Die Lage am östlichen Rand der Europäischen Union stelle Landwirtschaftsbetriebe vor enorme Probleme.

Am Sonntag legte Gechev nach: Die Maßnahmen Polens und Ungarn hätten auch Auswirkungen auf Bulgarien, weil hier in der Folge ukrainisches Getreide in immer größeren Mengen gelagert werde.

Am Montag zog dann auch die Slowakei nach: Man werde künftig – aber nur "vorübergehend" – kein Getreide mehr aus der Ukraine einführen. Auch weitere Produkte seien von dem Einfuhrstopp betroffen, sagte ein Regierungssprecher.

Im Schwarzen Meer droht neue Blockade Russlands

Das Wiederaufbauministerium der Ukraine warnte unterdessen am Montag davor, dass im Schwarzen Meer erneut eine Getreideblockade drohe. Russland habe erneut Inspektionen von Schiffen im Rahmen des Getreideabkommens in türkischen Gewässern blockiert.Das Abkommen ermöglicht den sicheren Export von Getreide aus einigen ukrainischen Schwarzmeer-Häfen. "Zum zweiten Mal innerhalb von neun Monaten seit dem Getreideabkommen wurde kein Inspektionsplan erstellt und kein einziges Schiff inspiziert. Dies gefährdet das Funktionieren der Abkommens", erklärte das Ministerium. (gian, 17.4.2023)