Im Gastblog schreibt Ivona Brandić von der Technischen Universität (TU) Wien über den oft nicht bedachten Faktor Nachhaltigkeit beim Thema künstliche Intelligenz.

Als Professorin für High-Performance-Computing-Systeme (HPC) an der TU Wien mit Forschungsfokus auf IT-Nachhaltigkeit erlebe ich derzeit, wie mein kleines feines Mint-Orchideenfach einen regelrechten Boom erlebt. Einerseits freue ich mich über die Erkenntnis der breiten Öffentlichkeit um die Wichtigkeit der Nachhaltigkeitsforschung, andererseits bin ich über den Grund dieser Erkenntnis schockiert.

Lange Zeit wurde IT-Nachhaltigkeit nicht ganz ernst genommen – akademische Kreise ausgenommen. Zu gering sei die Wirkung jeglicher Maßnahmen und Veränderungen, und zu gering und bedeutungslos seien die Opportunitätskosten, es einfach nicht zu tun. Also wurde alles so belassen, wie es ist. Die Corona-Pandemie mit der "Digitalisierung auf Steroiden", der Krieg in der Ukraine, der die Stromkosten explodieren lässt, und der enorme und schnelle Aufstieg der KI-Tools hat die IT-Nachhaltigkeit in den Fokus gestellt und in die Top-Charts der Beratungsfirmen katapultieren lassen. Hier sieht man wieder: Geld regiert die Welt.

Künstliche Intelligenz ist als Thema momentan sehr präsent – doch werden auch die ökologischen Konsequenzen bedacht?
Foto: Getty Images/Yuichiro Chino

Worum geht es bei IT-Nachhaltigkeit, "nur" ums Stromsparen? Wie viel Strom verbraucht KI tatsächlich, und warum kann das zu einem Problem werden? Was sind die Hot Topics und Trends in der IT-Nachhaltigkeit? Ich werde versuchen, diese Fragen aus der Sicht einer Forscherin, die sich seit bald 15 Jahren mit dem Thema beschäftigt, zu beantworten.

Mehrdimensionale Frage

Nachhaltige IT lässt sich generell in drei große Themenblöcke unterteilen. Einerseits geht es um die Nachhaltigkeit von IT-Infrastrukturen, wie zum Beispiel Computer, Rechenzentren, Smartphones und alle Programme und Apps, die darauf ausgeführt werden. Andererseits geht es um die Nutzung der IT, um eine nachhaltige Welt zu erreichen. Die Bandbreite reicht von akustischer und Videoüberwachung von Tieren, um die Lebensräume der Tiere zu erfassen, bis hin zu IT-Sensorik, die benutzt wird, um die Gletscherschmelze engmaschig nachvollziehen zu können oder, wie bereits von mir beschrieben, um das Auslaufen toxischer und karzinogener Substanzen in Flüssen mithilfe der AI zeitgerecht zu erkennen.

Zunehmend kommt eine dritte Dimension in die Nachhaltigkeitsforschung, nämlich die soziale. Dabei geht es um die Art und Weise, wie wir unsere IT-Infrastrukturen in unserem sozialen Umfeld nutzen und benutzen. Initial kann uns IT helfen, den CO2-Fußabdruck bestimmter Tätigkeiten zu verringern, indem wir etwa, statt DVDs zu erzeugen und Filme auf DVD zu schauen, einfach Filme streamen. Bei einem Film mag das vielleicht stimmen, aber weil Streaming so einfach verfügbar ist, schaut man einfach mehr Filme. Man schaut eigentlich viel mehr Filme, wodurch sich der CO2-Fußabdruck im Vergleich zu der Erzeugung und Benutzung einer DVD wieder erhöht. Diesen Effekt nennt man Digital Rebound.

Aufwendiges Lernen von KI

Künstliche Intelligenz ist tatsächlich ressourcenintensiv, weil für die Datenverarbeitung viele Schritte benötigt werden. Diese sind nicht unbedingt sehr komplex, aber es sind sehr viele Rechenschritte. Zunächst müssen KI-Modelle, die unsere Wirklichkeit abbilden, erlernt werden, zum Beispiel indem man Bilder, die einen Hund oder eine Katze erhalten, als solche "labelt" – also kennzeichnet.

Damit eine KI gut funktioniert, müssen sehr viele Bilder, die Hunde und Katzen in verschiedenen Farben, Rassen, Ausprägungen und Größen enthalten, gelabelt werden. Das kann manuell oder auch automatisch gemacht werden. Dieser Schritt nennt sich Training. Im nächsten Schritt kann die KI mit gewisser Genauigkeit ein vorgegebenes Bild als Hund oder Katze erkennen und klassifizieren. Dieser Schritt nennt sich Inferenz und benötigt auch Ressourcen für die Datenübertragung, Datenverarbeitung und Datenvisualisierung.

Es sind viele kleine Schritte, viele kleine Berechnungen, die sich letztendlich summieren und einen enormen Stromverbrauch verursachen. Bei "Large Language Models", denen auch ChatGPT angehört, wird angenommen, dass das einzelne Training so viel CO2 verursacht wie ein Mensch in seinem ganzen Leben.¹ Ich wiederhole mich ungern, aber anstatt sich vor Killer-Robotern zu fürchten, sollten wir uns lieber fürchten, dass uns der Strom bald ausgeht.

Ressourcen schonen

Was sind die Lösungen? "Back to the roots", würde ich sagen. Derzeit experimentieren wir in meiner Forschungsgruppe mit analogen Computern, um die Programme und IT-Infrastruktur nachhaltiger zu gestalten. Dabei gehen wir davon aus, dass manche Rechenschritte bewusst nicht digital, sondern analog durchgeführt werden sollen, zum Beispiel auf einem Quantencomputer oder auf einem neuromorphen Computer. Man spart dadurch wertvolle Energie, die für die Umwandlung in die digitale Werte benötigt wird, und umgeht den sogenannten Von-Neumann-Flaschenhals².

Im Rahmen eines FWF-geförderten Projekts und zusammen mit IBM, dem Forschungszentrum Jülich und der University of Southern California haben wir ein Experiment zur Simulation der Molekularen Dynamik durchgeführt³. Molekulare Dynamik ist ein sehr mächtiges Programm, das insbesondere in Lebenswissenschaften benutzt wird, etwa für die Erzeugung und Erforschung neuer Medikamente oder für personalisierte Medizin.

Quantum Edge und die Darstellung der Kommunikation zwischen klassischer und Quantum Maschinen⁴.
Foto: Vincenzo De Maio, Atakan Aral, and Ivona Brandic. 2022
Schematische Darstellung der Ausführung der Molekularen Dynamik Anwendung auf einer hybriden von Neumann und Quantum Infrastruktur4⁴.
Foto: Vincenzo De Maio, Atakan Aral, and Ivona Brandic. 2022

Indem wir bestimmte Rechenschritte auf einen Quantencomputer ausgelagert haben, haben wir die Wege für eine neue Generation der Computer geebnet – nämlich sogenannte hybride Computer, wobei gewisse Schritte auf dem klassischen (von Neumann) Computer und gewisse Schritte auf den analogen Computern durchgeführt werden. Ziel ist es, insgesamt weniger von unseren wertvollen Ressourcen zu verbrauchen. Dieser Tage startet unser neues FFG Leitprojekt "High Performance Integrated Quantum Computing".

Gemeinsam mit unseren Partnern Uni Innsbruck (Koordinator), Uni Linz, IBM, AQT und Math.Tec sollen Grundlagen für neue hybride Computer entwickelt werden, damit Quantencomputer mit klassischen Computern verbunden werden können und auch von Menschen benutzt werden können, die kein Doktorat in Quantenphysik haben. (Ivona Brandić, 19.4.2023)