Cyclos, Reishüte und unzählige Mopeds zieren die Straßen Hanois, während sich der unwiderstehliche Duft der Garküchen mit der hohen Luftfeuchtigkeit vermischt. Hat man sich an das Dauerhupen dann erst einmal gewöhnt, kann man das Bier in den typischen kleinen Straßenlokalen durchaus genießen. In diese Melange der Sinne haben sich zuletzt zahlreiche Spitzenpolitikerinnen und -politiker begeben, erst am Wochenende US-Außenminister Antony Blinken.

Cyclo, Straßenverkäuferin, Reishut: Wer schon einmal in Vietnam war, kennt dieses Bild nur zu gut. International gewinnt das Land gerade an Bedeutung – politisch wie ökonomisch.
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Am Sonntag startete dann sein österreichischer Amtskollege Alexander Schallenberg (ÖVP) seine dreitägige Visite in der vietnamesischen Hauptstadt. Sie gaben sich im mondänen Hotel Metropole mehr oder weniger die Klinke in die Hand – dort, wo 2019 Donald Trump und Kim Jong-un aufeinandertrafen. Es ist übrigens der erste eigene Besuch eines österreichischen Außenministers in Vietnam, Alois Mock flog 1995 als Begleitung von Bundespräsident Thomas Klestil mit. Sein Reiseziel hatte Schallenberg so formuliert: "Wir wollen Österreich in Vietnam auf die Landkarte setzen – politisch wie wirtschaftlich."

Es gibt mehrere Gründe, weshalb das südostasiatische Land derzeit laut Schallenberg "the place to be" ist. Wirtschaftlich profitiert es davon, dass der große Nachbar im Norden, China, international in der Kritik steht. Da wäre einerseits die Furcht vor einer Eskalation des Taiwan-Konflikts, andererseits Pekings Unterstützung von Russland im Ukrainekrieg. Wirtschaftlich hat vor allem die Zero-Covid-Politik Chinas, die globale Lieferprobleme zur Folge hatte, der Welt gezeigt, dass man sich in Sachen Lieferketten nicht zu sehr von einem Land abhängig machen sollte. Und natürlich spricht auch der US-chinesische Handelskrieg inklusive Sanktionen gegen das Reich der Mitte.

Enorme Wachstumsraten

Hier kommt Vietnam ins Spiel, das sich wirtschaftlich extrem gemausert hat. War es seit der Öffnung des Landes ab Mitte der 1980er-Jahre vor allem in Sachen Tourismus interessant und bei Exporten in den Bereichen Agrargüter, Kleidung und Schuhe relevant, mischt es nun unter anderem auch im Elektronikbereich mit. Samsung etwa lässt die Hälfte seiner Handys in Vietnam endproduzieren. Das erklärt auch die überragenden Wachstumsraten des Landes – 2022 waren es 8,0 Prozent –, auch wenn sich diese Entwicklung zuletzt abgeschwächt hat.

Außenminister Schallenberg wurde vom vietnamesischen Amtskollegen Bui Thanh Son im repräsentativen Gasthaus der Regierung in Hanoi empfangen.
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Zahlreiche US-Firmen sind bereits aus China abgewandert und haben sich im 100-Millionen-Einwohner-Land Vietnam niedergelassen. Guten Grundes also wurde Schallenberg von einer großen Wirtschaftsdelegation begleitet, angeführt von WKÖ-Vizepräsident Philipp Gady. Es gilt, die Lieferketten zu diversifizieren, um die Abhängigkeit von China zu verringern, aber auch sonst die ökonomische Kooperation zu intensivieren. Am Montag konnten in Hanoi zwei österreichische Unternehmen – Andritz Hydro und die Raiffeisen Bank International – Aufträge hinsichtlich Kraftwerken an Land ziehen. Förderlich ist hierbei das Freihandelsabkommen zwischen Vietnam und der EU.

Weit komplizierter ist die geopolitische Lage des Landes. Mit dem großen Nachbarn China streitet man um Inselgruppen im Südchinesischen Meer, während es das wichtigste Importland ist. Man ist also um Distanz bemüht und will Peking gleichzeitig aber nicht verärgern. Auf der anderen Seite sind die USA, die den südostasiatischen Raum, mit der wachsenden Bedrohung durch China, endlich ernst nehmen und sich dabei Vietnam doch mit gewisser Aufdringlichkeit annähern. Es heißt, US-Präsident Joe Biden will Vietnam noch heuer besuchen.

Waffen aus Russland

Hinzu kommt Russland, mit dem man traditionell eng verbunden ist. Moskau ist der größte Waffenlieferant Hanois und bildet vietnamesische Offiziere aus. Nicht verwunderlich also, dass sich Vietnam bei UN-Abstimmungen enthielt, als es darum ging, Russlands Invasion der Ukraine zu verurteilen.

Nach Gesprächen, unter anderem mit Vietnams Premierminister Phạm Minh Chính und Außenminister Bùi Thanh Sơn, erklärte Schallenberg am Montagabend (Ortszeit), Vietnam "sei sich seiner exponierten Rolle und seiner interessanten Position für viele Länder durchaus bewusst". Deshalb wolle Hanoi außenpolitisch "sehr vorsichtig vorgehen. Es will vor allem gegenüber China kein Porzellan zerschlagen."

Wirtschaftlich, so der Außenminister, habe er in den Gesprächen "fast vorwurfsvoll" zu hören bekommen, weshalb Österreich nicht mehr in Vietnam investiere. In diesem Sinne hat Schallenberg noch für dieses Jahr einen Österreich-Besuch des neuen Präsidenten Võ Văn Thưởng in Aussicht gestellt, um die Zusammenarbeit der beiden Länder auf ein neues Level zu heben. (Kim Son Hoang aus Hanoi, 17.4.2023)

Die Reise wurde zum Teil durch das Außenministerium finanziert.