Das US-Verteidigungsministerium (im Bild das Pentagon-Gebäude) ist in großer Erklärungsnot.

Foto: EPA / Jim Lo Scalzo

Monatelang schlummerte das hochbrisante Material unbeachtet in einem Chatroom des Internets, wo ein amerikanischer Nationalgardist die streng geheimen Militärdokumente zum Ukrainekrieg mit seinen Freunden teilte. Doch erst nachdem der Kreml-freundliche Telegram-Account einer gewissen "Donbass Devushka" (Donbass-Mädchen) vor zwei Wochen einige Papiere weiterverbreitet hatte, wurden Öffentlichkeit und Behörden auf das Datenleck aufmerksam.

Nun kommt heraus: Hinter "Donbass Devushka" steckt keineswegs eine Putin-freundliche Russin, sondern eine ehemalige amerikanische Marine-Soldatin aus dem US-Bundesstaat Washington.

Hohe Sicherheitsstufe

Mit der Enttarnung der 37-jährigen Flugzeugtechnikerin Sarah Bils, die bis zum November des vorigen Jahres bei der Navy diente und eine hohe Sicherheitsstufe haben soll, rückt nun eine zweite amerikanische Militärangehörige ins Zentrum der jüngsten Spionage-Affäre. Erst am vergangenen Donnerstag war der 21-jährige Jack Teixeira festgenommen worden. Der Gefreite soll hunderte Geheimdokumente teils abgeschrieben, teils fotografiert und dann mit einer Gruppe von Kriegsspiel-Kameraden geteilt haben.

Nach US-Medienberichten gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Bils während ihrer Militärzeit ebenfalls vertrauliche Unterlagen entwendet hat. Die Ex-Unteroffizierin bestreitet das auch. "Ich bin mir der Ernsthaftigkeit von strenggeheimem Material bewusst", sagte sie dem "Wall Street Journal".

Das Blatt veröffentlichte am Montag Zitate aus einem Interview mit der Frau, die zuvor auf mehreren Online-Seiten enttarnt worden war. Nach Erkenntnissen der Zeitung spielte Bils aber "eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung" der von Teixeira in die Öffentlichkeit gebrachten Geheimdienstinformationen.

Kreml-freundliches Netz

Tatsächlich scheint Bils die treibende Kraft hinter einem Kreml-freundlichen Netzwerk zu sein. Auf Accounts mit dem Avatar von "Donbass Devushka" bei Twitter, Telegram, Youtube und Spotify wurden Fotos und Falschmeldungen zum Ukrainekrieg verbreitet, Lob für die paramilitärische Wagner-Truppe gepostet und der Tod ukrainischer Soldaten gefeiert. Ein Podcast, den Bils auch unter dem Namen "Donbass Devushka" betreibt, interviewt Putin-nahe Gesprächspartner. Außerdem werden nach Informationen des Wall Street Journal auch Spenden für russische Truppen gesammelt, in den USA illegal.

Am 5. April wurden auf dem Telegram-Account von "Donbass Devushka", der mehr als 65.000 Follower hat, "einige sehr interessante Geheimdienstinformationen" angekündigt und vier angebliche Fotos der Unterlagen veröffentlicht, die Teixeira entwendet haben soll. Allerdings wurden die Dokumente zuungunsten der Ukraine verfälscht.

Bils behauptet, damit nichts zu tun zu haben. Vielmehr habe ein anderer Administrator die Papiere gepostet. Jedenfalls ging die Online-Botschaft bald viral und wurde von mehreren russischen Social-Media-Accounts übernommen. So wurden dann auch die amerikanischen Behörden auf das Datenleck aufmerksam.

Welche Bedeutung "Donbass Devushka" bei der Verbreitung der manipulierten Geheimdienstunterlagen hatte, wurde am vorigen Donnerstag deutlich: Da behauptete Tucker Carlson, einer der prominentesten Moderatoren beim rechten Sender Fox News: "Für jeden Russen, der im Ukrainekrieg fällt, werden sieben Ukrainer getötet. Die Ukraine verliert diesen Krieg."

Der Propagandist berief sich auf die geleakten Pentagon-Dokumente. Tatsächlich scheint er nach amerikanischen Medienberichten aus den Fake-Dokumenten von "Donbass Devushka" zitiert zu haben, in denen die ukrainischen Verluste überzeichnet wurden.

"Turbulente Zeiten"

Über die Motive der Ex-Unteroffizierin Bils ist nichts bekannt. Weder das Pentagon noch das Justizministerium wollten sich auf Anfrage des Wall Street Journal zu dem für das Militär und die Geheimdienste der USA immer peinlicheren Vorgang äußern.

"Donbass Devushka" löschte inzwischen ihren Twitter-Account. Bei Telegram bedankte sie sich am Montag für die Unterstützung in "turbulenten Zeiten". Die Frau, die nach eigenen Angaben einen "Informationskrieg russischer Art" betreibt, versicherte: "Wir werden nicht aufgeben!" (Karl Doemens aus Washington, 17.4.2023)