"Da schlummern ja noch ein paar Dinge, die relevant werden könnten." Julian Hessenthaler
Foto: Oliver Das Gupta

Als Julian Hessenthaler das Wiener Innenstadtcafé betritt, mustert er die Gäste. Seine Wahl fällt auf einen Tisch, den Passanten durchs Fenster kaum sehen, von seinem Platz hat er den Eingang im Blick. Niemand nimmt Notiz von dem Mann Anfang vierzig mit der blonden Bürstenfrisur, der sich ein Cola bestellt. Während die Musik seine Worte für Gäste an den Nebentischen überdröhnt, beginnt er zu reden. Darüber, wie es war im Gefängnis, über seine Geräuschempfindlichkeit in den ersten Nächten in Freiheit. Und über seine Rolle im größten Skandal der jüngeren österreichischen Geschichte. Ab und zu werde er erkannt, sagt Hessenthaler: "Manchmal sind es so Blicke", selten spreche ihn einer an. "Bislang gab es nur positive Kommentare."

Angeblicher Drogenhandel

Nun ist er das, was er nie sein wollte: Er ist zur öffentlichen Person avanciert. Wenige Tage ist es her, dass man ihm die Fußfessel abgenommen hat, im Februar schon hat er das Gefängnis in St. Pölten verlassen. Dort saß er wegen angeblichen Drogenhandels nach einem Prozess mit vielen Auffälligkeiten – unter anderem flossen dubiose Geldzahlungen an einen Belastungszeugen. Hessenthaler beteuert, er habe nicht das getan, wofür er verurteilt wurde, und dass er stellvertretend für das bestraft wurde, wofür er man ihn nicht belangen konnte: das Ibiza-Video.

Bald ist es vier Jahre her, dass Hessenthalers Projekt weltweit für Schlagzeilen sorgte. Im Mai 2019 berichteten Der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung über die Ibiza-Affäre, jene Videofalle, die Hessenthaler dem langjährigen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und dessen Ziehsohn Johann Gudenus gestellt hatte. An dem Abend wenige Monate vor der Nationalratswahl 2017 schwadronierte Strache im Beisein von Hessenthaler und einer falschen, aber "schoafen" (Zitat Strache, Anm.) Oligarchennichte nicht nur über eine gelenkte Medienlandschaft wie in Ungarn. Er sprach davon, die Kronen Zeitung unter Kontrolle zu bringen, damit sie seine FPÖ vor der Wahl "pusht".

Beben in Österreich

Als das Ibiza-Video publik wurde, saß Hessenthaler in Oberbayern und sah zu, wie die Schockwellen des von ihm initiierten Bebens Österreich massiv erschütterten. Im idyllischen Murnau am Staffelsee, eine Autostunde südlich von München, hatte er sich einquartiert. Hessenthaler verfolgte von dort, wie Strache als Vizekanzler und Parteichef zurücktrat, wie dann die Koalition aus ÖVP und FPÖ zerbrach. "Das Tempo hat mich dann doch überrascht." Bald flog auch Hessenthalers Identität auf. Er tauchte ab, irgendwann standen Drogenvorwürfe im Raum, er wurde in Berlin ausfindig gemacht und an die österreichischen Behörden ausgeliefert.

Derweil wirkte sich die Ibiza-Affäre noch anders aus: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hatte ihre Arbeit aufgenommen. In ihrem Visier waren bald nicht nur FPÖ-Akteure, sondern auch namhafte ÖVP-Leute. Dass infolge der Ermittlungen auch die Politkarriere von Sebastian Kurz jäh endete, verblüfft Hessenthaler nach wie vor: "Ich staune über die Wirkmächtigkeit von Ibiza."

Der Ibiza-Macher sagt von sich, dass er sich lange nicht wirklich um aktuelle Politik gekümmert habe, schon gar nicht um das Geschehen in Österreich. Aber das habe sich im Zuge der Ibiza-Affäre zu ändern begonnen. "Je länger das alles angedauert hat, je mehr ich selbst erlebt habe, desto mehr bin ich zum politischen Menschen geworden – wenn auch nicht parteipolitisch." Hessenthaler spricht davon, dass die Republik ein offenes Problem habe mit Korruption und artverwandten, gerade noch legalen Praktiken. "Hier rennen manche Dinge verdammt falsch." Es gebe ein Problembewusstsein in der Bevölkerung, die zunehmend frustriert sei, glaubt Hessenthaler. "So ist Österreich halt", sagten viele Leute resignierend.

Der Ersteller des Ibiza-Videos, Julian Hessenthaler, wurde ungewollt zur Person des öffentlichen Interesses.
Foto: Christian Fischer

Rückkehr undenkbar

Die Bedienung kommt zum Tisch, Hessenthaler bestellt noch ein Getränk. Vor dem Café scheint die Frühlingssonne auf den Asphalt. Bis zur Ibiza-Affäre hat Hessenthaler als Privatdetektiv gearbeitet, eine Rückkehr in den alten Job ist für ihn schwer denkbar. Was hat er nun vor? "Ich werde ich mich wohl weiterbefassen mit dem Thema Antikorruption." Er erzählt von Gesprächen mit Nichtregierungsorganisationen. "In Sachen Recherche bin ich ja nicht ganz unbedarft." Und die Verurteilung will er nicht auf sich sitzen lassen und zieht deshalb vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Die kommenden Wochen hat er durchgeplant. Im Volkstheater lässt er sich auf der Bühne befragen, im Mai wird er beim Journalismusfest Innsbruck auf der Bühne sitzen mit dem Team von Inside Austria, dem Podcast von der STANDARD und Spiegel. Die erste Mediengeschichte hat er mit dem Journalisten Jean Peters für die deutsche Recherche-Plattform Correctiv gemacht. An Peters hatte er sich gewandt, um das Ibiza-Video dem Satiriker Jan Böhmermann anzubieten. Der Fernsehmann winkte ab, frotzelte im April 2019 aber das Publikum der Romy-Verleihung mit Berichten über feuchtfröhliche Verhandlungen mit FPÖ-Leuten auf Ibiza und über die Übernahme der Krone. Die meisten Zuseher verstanden damals nicht, wovon Böhmermann redete – doch das Umfeld des damaligen Vizekanzlers war alarmiert.

Kein Mitleid

Vier Jahre später ist Strache politisch Geschichte: Die FPÖ hat ihn geschasst, finanziell soll er klamm sein. Hat Hessenthaler Mitleid mit ihm? "Nein", sagt er und verweist auf allerlei krude Theorien zur Ibiza-Affäre, die Strache verbreitet. "Was er teilweise fantasiert, ist hanebüchen und auf beleidigende Art lächerlich." Hessenthaler verweist auf Johann Gudenus. "Der hatte zumindest den Anstand zu sagen: ‚Ich nehme meinen Hut und verlasse die Politik ganz.‘" Strache täte so, als ob auf Ibiza im Grunde nichts passiert wäre. "Ich würde ihm wünschen, dass er irgendwann akzeptiert: Er hat damals Dinge vorgeschlagen, die nicht in Ordnung waren."

Hessenthaler schaut auf die Uhr, er muss bald los. Auf die Frage, ob er noch brisantes Wissen besitze, muss er lächeln. "Da schlummern ja noch ein paar Dinge, die relevant werden könnten", orakelt er und schiebt einen Satz nach mit vielen Konjunktiven. "Es würde mich nicht wundern, wenn es Dinge gäbe, die sowohl Strache als auch eine Partei betreffen könnten."

Dann tritt er aus dem Café, die Frühlingssonne wärmt, er kneift die Augen zusammen. Irgendwann will er Urlaub machen, sagt Julian Hessenthaler, auch um seine über Europa verstreuten Sachen zu holen und Freunde zu treffen. "Ich nehme mir den Sommer Zeit, um unter die Lebenden zu kommen." Er wirkt wie einer, der Sehnsucht nach Normalität hat. (Oliver Das Gupta, 17.4.2023)