Frenetischer Applaus im ausverkauften Wiener Volkstheater. Dass die Österreich-Premiere von Florentina Holzingers neuem Stück "Ophelia’s Got Talent" Montagabend zu einem solchen Publikumserfolg werden würde, hat wohl auch die hitzigsten Fans der in Wien geborenen Choreografin überrascht. Eingeladen wurde das Stück vom Tanzquartier Wien, das es aus technischen Gründen nicht in den eigenen Räumen aufführen konnte. Ursprünglich hätte "Ophelia's Got Talent" erst im Oktober nach Wien kommen sollen, aber die überwältigenden Reaktionen auf die Uraufführung an der Berliner Volksbühne haben die Vorverlegung wohl befeuert.
Der große Zuspruch war nicht ganz ungeteilt, einigen Besucherinnen und Zuschauern wurde die Wucht der Ereignisse zu viel. Doch im Vergleich etwa zu dem Gruppen-Exodus noch vor rund 20 Jahren während Anne Teresa De Keersmaekers vergleichsweise harmlosem "Rosas danst Rosas" erfolgten die Tribünenabgänge jetzt bei Holzinger in beinahe homöopathischer Dosis.
13 starke Frauen
Warum es zu diesem Jubel gekommen ist, ist nicht schwer zu verstehen. Die Zukunftsaussichten sind gerade äußerst verhangen – und da kommt eine 13-köpfige Gang starker, nackter Frauen daher, die das schwere Gewölk aufreißt. Und das mit einem fiktionsdurchschossenen Realismus, der Mut, Fantasie und Entschlossenheit feiert, nicht mit Kritik spart und über das Mittel spektakulärer Action einen Trumpf der Veränderung zum Besseren ausspielt.
Starke Frauen bilden zwar den Angelpunkt in Holzingers Narrativ, doch dessen Horizont ist weiter angelegt: Zu den Stars in dieser Show gehören auch die wunderbare kleinwüchsige Performerin Saioa Alvarez Ruiz und die mit Trisomie 21 geborene Schauspielerin Zora Schemm. Außerdem beteiligt ist eine Gruppe von sechs Mädchen. Sie repräsentiert jene Generation, die diesen Planeten so erbt, wie er ihr übergeben wird.
Desaster nach Männerherrschaften
Dass sich der Titel der Performance auf die populäre Talenteshow "Britain’s Got Talent" bezieht, wird gleich zu Beginn durch eine Parodie dieses TV-Formats verdeutlicht. Aber dass Florentina Holzinger die Shakespeare’sche Ophelia-Figur durch das Nadelöhr dieses brutalen Emotionskommerzes zieht, ist die eigentliche Errungenschaft in dieser Arbeit. Deren Spitze zielt zuerst auf die vom Patriarchat passiv gemachte Frau, die lange Zeit der Verschwendung weiblichen Talents – und durch dieses Brennglas auf andere Desaster, in die Männerherrschaften uns alle geführt haben.
Großer Bonus: Die Referenzen, gleichermaßen aus Pop- und Hochkultur, sind allgemein verständlich. Da trifft Schuberts launische "Forelle" auf Käpt'n Hook, ein kollektiver Orgasmus bei der Kopulation mit einem Helikopter spielt auf Julia Ducournaus Film "Titane" an, und die Symbolik von 23 Tonnen Wasser auf der Bühne, mitsamt Nixen und Unterwasser-Entfesselungskunst, geht mit Heraklits Flussfragmenten einher. Zeitgenössischer geht es nicht. (Helmut Ploebst, 18.4.2023)