Alles wird teuer, aber um wie viel genau?

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Es gibt gleich mehrere Erklärungsansätze, warum die Inflation in Österreich viel höher ausfällt als im Rest der Eurozone. Die Sonderrolle der teuer gewordenen Gastronomie in Österreich wäre eine davon. Oder dass das inflationsdämpfende Vorhaben einer Mietpreisbremse der Regierung gescheitert ist. Oder dass nach dem Prinzip Gießkanne geholfen wird (siehe dazu diesen STANDARD-Bericht vom Wochenende).

Ein anderer dieser Gründe gerät gerade zunehmend ins Zentrum der öffentlichen Debatte: die sogenannte Gierflation. Dieses Schlagwort deutet darauf hin, dass Unternehmen die allgemeine Lage ausnutzen, um ungerechtfertigt ihre Preise zu steigern und solcherart höhere Profite einzufahren.

"Viele Beispiele"

"Wir wissen aus vielen Beispielen, dass Unternehmen die Gunst der Stunde genutzt und Preise erhöht haben, ohne dass das durch die Kosten gerechtfertigt gewesen wäre", sagte etwa Fiskalratspräsident Christoph Badelt in der ORF-"Pressestunde" Anfang März.

In dieselbe Kerbe schlägt das arbeitnehmernahe Momentum-Institut. Dessen Ökonominnen und Ökonomen haben ausgerechnet, dass in Österreich die Branchen Energie, Bau und Landwirtschaft die höchsten Preissteigerungen durchsetzen konnten. Der größte Teil davon sei in die Gewinnmargen geflossen, so die Momentum-Berechnung. Es gibt überdies Hinweise darauf, dass in der Gastronomie die Margen erhöht worden sind. Auch bei Brennholz gibt es Preissteigerungen, die mit teuren Rohstoffen nicht erklärt werden können.

Alle Preise sollen übermittelt werden

Was also tun gegen die Tatsache, dass sich Unternehmen möglicherweise ein Körberlgeld verdienen? Politische Eingriffe in die Preisgestaltung wären eine Möglichkeit. Doch sie können, wiewohl kurzfristig wirksam, in Knappheiten münden. Man denke an die Deckelung bei den Treibstoffpreisen in Ungarn – eine Maßnahme, die bald wieder zurückgenommen werden musste, nachdem sich vor den Tankstellen Schlangen gebildet hatten.

Weniger weit geht eine Idee in Österreich, für die unter anderem der Gewerkschaftsbund (ÖGB) schon länger plädiert: Den steigenden Preisen durch mögliche Gierflation soll mit einer umfassenden Preisdatenbank begegnet werden, in der die Veränderungen sämtlicher Preise im Land ersichtlich sein sollen. In diesem Rahmen sollen die Einkaufspreise und Kosten der Unternehmen ebenso gemeldet werden müssen wie die Preise, die Unternehmen schlussendlich ihren Kunden verrechnen.

"Das derzeitige Preisgesetz stammt aus den früheren 1990er-Jahren und ist reichlich zahnlos", erklärt Helene Schuberth, Chefökonomin der Gewerkschaft. "Eine derartige Preisdatenbank wäre ein ganz wesentliches Instrument, um Transparenz in die Preispolitik der Unternehmen zu bringen."

"Ginge auf Knopfdruck"

Wie soll das funktionieren? Dem ÖGB schwebt ein neues Gesetz vor, in dessen Rahmen größere Unternehmen, etwa Handelsketten, verpflichtet werden sollen, tagesaktuelle Preise bei all ihren Produkten an ebenjene Datenbank zu übermitteln. Nach Wunsch der Gewerkschaft soll sie bei einer sogenannten Antiteuerungskommission angesiedelt sein, deren Funktionsweise einem Gremium ähnelt, wie es es bereits nach der Euro-Einführung in Österreich gab. Große Unternehmen hätten solche Preisdaten ohnehin permanent parat, so Schuberth. "Das ginge also auf Knopfdruck, ohne zusätzliche Bürokratie."

Mithilfe der Datenbank könnten Expertinnen und Experten dann mit modernen statistischen Verfahren leicht analysieren: Gibt es bei einer bestimmten Preisentwicklung Ausreißer im Vergleich zum Branchendurchschnitt? Oder etwa solche im Vergleich zu den Preisen im Ausland? Die Datenbank würde es ermöglichen, Auffälligkeiten zu entdecken und zu analysieren.

Beispielsweise müssen Steuersenkungen, etwa bei der Mehrwertsteuer, laut österreichischem Preisgesetz aus dem Jahr 1992 in Form sinkender Preise an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergereicht werden. Aber geschieht das auch? "Mit einer Preisdatenbank ließe es sich überprüfen", sagt Schubert. Nicht zuletzt verweist die Ökonomin auf die "Signalling-Funktion" einer solchen Datenbank: "Die Unternehmen wüssten, es gäbe eine Stelle, die auf die Preise schaut."

Mehr Preistransparenz

Wifo-Chef Gabriel Felbermayr äußerte via Twitter Anfang April vorsichtige Zustimmung zu der Idee: Man könne "vieles tun" in Sachen "mehr Preistransparenz" unter Einbeziehung der Sozialpartner, schrieb der Ökonom. Skeptischer hingegen zeigt sich Fiskalratspräsident Badelt auf STANDARD-Anfrage: "Mir fehlt ein wenig die Fantasie, wie ein solches Instrument wirken könnte." Ein Beispiel aus dem Sektor der Gastronomie, in dem momentan besonders oft von Preissteigerungen die Rede ist: Wenn sich das Schnitzel im Restaurant verteuert, dann würde es ausgerechnet dieses vieldiskutierte Faktum nicht in die angedachte Datenbank schaffen. Denn: Sie beträfe ja nur größere Unternehmen.

Bedenken äußert auch Jan Kluge, Ökonom beim marktliberalen Thinktank Agenda Austria. Grundsätzlich sei Preistransparenz zwar wichtig. Aber damit man wirklich weiß, ob Unternehmen ungerechtfertigt Gewinne machen, "müssten sie auch ihre Kosten offenlegen, also ihre gesamte Kalkulation", sagt Kluge. "Das wäre ein heftiger Eingriff aus Wettbewerbssicht. Solche Informationen wollen Unternehmen aus gutem Grund vor ihren Mitbewerben geheimhalten".

Wirtschaftskammer ablehnend

Was aber sagen die betroffenen Unternehmen selbst zum Plan einer Preisdatenbank? Aus der Wirtschaftskammer, die die Unternehmen vertritt, kommt klare Ablehnung. "Schon jetzt gibt es diverse Portale, die tagesaktuelle Preise vergleichen", lässt Rainer Trefelik, Obmann der Bundessparte Handel, in einer schriftlichen Stellungnahme an den STANDARD wissen. "Die Preise im Handel sind sehr transparent, ein weiteres Monitoring ist nicht notwendig." Das "Einmelden zigtausender Produkte" würde zudem "erhöhten Verwaltungsaufwand" und "zusätzliche Bürokratie" bedeuten, so Trefelik. Dies könne "letztlich die Endverbraucherpreise sogar erhöhen".

Auch die türkis-grüne Regierung ist gegen die Preisdatenbank, konkret der verantwortliche Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP): "Bei heterogenen Produkten wie zum Beispiel Lebensmitteln könnte sie nicht die große Vielfalt und unterschiedliche Qualitäten, inklusive unterschiedlicher Produktionsweisen wie etwa Bio, berücksichtigen". Überdies findet Kocher, dass die "zusätzlichen Kosten durch die Verwaltung" der Datenbank erst recht "zu höheren Preisen führen würde."

Derzeit wollen also Regierung und Unternehmer von der Idee einer Preisdatenbank ebenso wenig wissen wie Teile der Expertenschaft. Ob sie letztlich doch noch breitere Unterstützung gewinnen wird, das hängt vor allem von einer entscheidenden Frage ab: Wie lange bleibt die Inflation in Österreich noch deutlich höher als in der Eurozone? (Joseph Gepp, 20.4.2023)