"Es ist eine Minute vor zwölf": Redaktion der "Wiener Zeitung" fordert Stopptaste von der Regierung
ÖVP und Grüne bringen den Gesetzesentwurf in den Verfassungsausschuss. Die Redaktion rechnet mit Dutzenden Kündigungen. Kritik der Neos
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Wien – Für die "Wiener Zeitung" wird es ernst: Am Mittwoch ist die Gesetzesvorlage der schwarz-grünen Regierung Thema im Verfassungsausschuss des Nationalrats. Wie berichtet, möchte die Koalition aus der ältesten, noch erscheinenden gedruckten Tageszeitung der Welt ein Medium mit Fokus auf Online machen. In Printform soll es sie nur noch zehnmal im Jahr geben. Das Gesetz dürfte noch im April beschlossen werden, es soll am 1. Juli 2023 in Kraft treten. Die "Wiener Zeitung" befindet sich im Eigentum der Republik, sie feiert heuer ihren 320. Geburtstag.
Gegen die Umbaupläne formierte sich breiter Widerstand, der in zahlreichen Initiativen gipfelte, um die "Wiener Zeitung" zu retten. Kommt das Gesetz, ist mit Dutzenden Kündigungen zu rechnen, heißt es. Die "Wiener Zeitung" umfasst insgesamt mit allen Geschäftsfeldern rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, 40 davon arbeiten in der Redaktion. Am Dienstag veröffentlichte die Redaktion eine öffentliche Erklärung und einen Appell, der Gesetzesvorlage nicht zuzustimmen.
Nachdenkpause von 18 Monaten
Die Redaktion verlangt von der Regierung ein Moratorium von 18 Monaten, um ein neues Konzept für das Medium zu erarbeiten. In der Erklärung wird auch Martin Fleischhacker, Geschäftsführer der "Wiener Zeitung", kritisiert. Er habe in den vergangenen Jahren weniger die Weiterentwicklung der "Wiener Zeitung" vorangetrieben, sondern vielmehr neue Geschäftsfelder" aufgebaut, die der Redaktion der "Wiener Zeitung" nie zugute kamen. Diese Aktivitäten seien nicht Teil des gesetzlichen Auftrages.
Geplant ist etwa ein mit sechs Millionen Euro dotierter "Media Hub", der als Praxisprogramm und Ausbildungsschiene für Journalistinnen und Journalisten konzipiert ist. Angesiedelt bei der Geschäftsführung der "Wiener Zeitung", ist der "Media Hub" dem Bundeskanzleramt unterstellt, was für heftige Kritik sorgt.
Die öffentliche Erklärung im Wortlaut:
Update: Kritik der Neos
Heftige Kritik an den Umbauplänen kommt von Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter: "Trotz gegenteiliger Behauptungen hat es seitens der Regierung nie weiterführende Gespräche mit Investoren gegeben und die Redaktion wurde ebenfalls nicht eingebunden – obwohl substantielle Veränderungen der Zeitung laut Redaktionsstatut mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besprochen werden müssen. Stattdessen werden nun jährlich insgesamt 16,5 Millionen Euro Steuergeld in diverse Unternehmungen unter dem Dach der Wiener Zeitungs GmbH gesteckt."
Die Regierung würde sich mit dem vorliegenden Gesetz nun legitimieren, was in den letzten Jahren still und heimlich im Hintergrund geschaffen wurde: Diverse Unternehmungen – von der Contentagentur, die seit 2020 besteht, bis zum Media Hub Austria, der seit 2021 aktiv ist, so Brandstötter. "ÖVP und Grüne meiseln nun eine zurecht viel kritisierte, staatseigene Journalistenausbildung in Stein und schaffen darüber hinaus die Möglichkeit, dass das Bundeskanzleramt nun jede Menge weiterer Unternehmen gründen kann. Es ist dann beispielsweise kein Problem mehr, dass unter dem Dach der Wiener Zeitung GmbH auch eine PR-Agentur betrieben wird, wohin das Bundeskanzleramt wiederum jede Menge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auslagern kann. Besonders praktisch für die Regerierung: Solche Konstrukte entziehen sich jeder parlamentarischen Kontrolle!"
Die Neos werden einen eigenen Antrag im Verfassungsausschuss einbringen. "Wir wollen, dass die Stopptaste gedrückt wird und alle Konzepte potentieller Käufer und Investoren auf den Tisch kommen. Ziel muss dabei sein, die Zukunft des Mediums abzusichern, ohne dafür jedoch die Steuerzahler aufkommen zu lassen. Das haben sich alle verdient: Die Redaktion ebenso wie die Bürgerinnen und Bürger", so Brandstötter. (red, 18.4.2023)
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