Ein verborgenes Ökosystem im Wandel: Der unterirdische Grundwasserkörper verändert sich durch menschliche Einflüsse.
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Die vergangenen Sommer haben insbesondere in dichtverbauten Städten eines deutlich spürbar gemacht: Der Klimawandel bringt stetig steigende Temperaturen mit sich. Weniger merklich und bekannt ist, dass sich das Phänomen – mit einer gewissen Verzögerung – auch im Boden widerspiegeln dürfte. "Im städtischen Bereich haben wir in der Regel drei bis vier Grad höhere Jahresdurchschnittstemperaturen als im Umland. Wir gehen davon aus, dass sich dasselbe in den Untergrund durchpaust", erklärt Christian Griebler vom Department für Funktionelle und Evolutionäre Ökologie der Universität Wien.

Während die Grundwassertemperatur in der Umgebung Wiens bei etwa zehn Grad Celsius liegt, beträgt der Wert im Stadtgebiet gut 14 Grad – im Schnitt, denn im Frühjahr ist das Grundwasser generell etwas kälter als im Herbst. In der Stadt führen jedoch zusätzlich zur klimatisch bedingten Erwärmung Bauwerke wie Parkgaragen, U-Bahn-Röhren, Abwasserleitungen, sonstige Tiefbauten und generell die Bodenversiegelung zur Bildung von regionalen Hitzeinseln.

Unterirdische Hitzeinseln

An diesen speziellen Hotspots wärmt sich das Grundwasser dann zum Teil auf deutlich mehr als 20 Grad auf, an einzelnen Punkten sogar auf 30 Grad. Ermittelt wurden diese Werte im Oktober 2021 und im April 2022 an 700 über ganz Wien verteilte Messstellen im Rahmen des vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds WWTF geförderten Forschungsprojekts "Heat below the city".

Daran beteiligt waren Forschende der Universität Wien, der Universität für Bodenkultur und von Geosphere Austria. Die nunmehrige Bundesanstalt für Geologie, Geophysik, Klimatologie und Meteorologie ging aus der Verknüpfung der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik mit der Geologischen Bundesanstalt hervor und steht unter der Aufsicht des Wissenschaftsministeriums. An einem Punkt im Prater, bei dem eine Grundwassertemperatur von 30 Grad festgestellt wurde, konnte als Wärmequelle eine schlecht isolierte Fernwärmeleitung eruiert werden. Andere wichtige Wärmeinseln befinden sich etwa unter den Bezirken Favoriten, Neubau, Donaustadt oder Floridsdorf.

Neben der unterirdischen Infrastruktur spielt dabei auch die geothermische Nutzung des Grundwassers eine Rolle, dies vor allem in Transdanubien. Dagegen sei grundsätzlich nichts einzuwenden. Da aber hier zunehmend mehr Wasser zur Kühlung als zum Heizen von Gebäuden verwendet wird, fließt auch netto mehr warmes Wasser zurück in den Untergrund.

Biodiversität im Grundwasser

Aus diesem Grund plädiert Griebler für eine Reglementierung dahingehend, dass eine geothermische Nutzung ausgeglichen sein muss: "So viel Wärme oder Kühle, wie ich rausziehe, muss ich wieder reingeben. Sonst kommt es zu einer sukzessiven Erwärmung des Untergrunds, und das darf nicht sein." Gerade bei Grundwasser denkt man vielleicht nicht automatisch an ein Ökosystem, aber auch abgesehen von omnipräsenten Mikroorganismen tummelt sich im unterirdischen Nass unter dem Sammelbegriff Stygofauna eine Vielzahl von Tierchen, von Hüpferlingen über Flohkrebse, Asseln, Würmer und Milben bis zu Schnecken. Eine Erwärmung kann in einem solch sensiblen Ökosystem einen Kaskadeneffekt auslösen.

Zunächst verbrauchen die Organismen dann einmal mehr Sauerstoff. Gleichzeitig löst sich der Sauerstoff in wärmerem Wasser schlechter als in kaltem. "Das sind zwei Effekte, die zusammenkommen", erläutert der Limnologe. "Wir gehen davon aus, dass diese Erwärmung mittelfristig auch zu einer Zehrung des Sauerstoffs führt. Dann verschwinden die höheren Organismen wie Krebstierchen, und es kommt zu einem Verlust von Biodiversität in diesem Bereich." Anders die Mikroorganismen, sie reagieren auf einen Verlust von Sauerstoff pragmatisch.

Produktion von Methan

Hauptsächliche Energiequelle für Mikroben ist organisches Material, das normalerweise mithilfe von Sauerstoff veratmet und mineralisiert wird. "Wenn der Sauerstoff weg ist, nehmen die Bakterien als nächste Respirationsquelle Nitrat." Die Freude über diesen eigentlich positiven Effekt – Nitrat ist ein Schadstoff, der durch das Ausbringen von Stickstoffdüngern ins Grundwasser gelangt – währt aber nur kurz.

Denn ist das Nitrat erst einmal verzehrt, wenden sich die Organismen Eisen zu, durch dessen Reduktion das Element ins Wasser übergeht. Als weiterer Prozess wird Sulfat in Schwefelwasserstoff umgesetzt, der nicht nur stinkt, sondern – so wie Eisen auch – korrosiv ist und dadurch Wasserleitungen schädigen kann. Dem nicht genug, kommt es in weiterer Folge auch noch zur Produktion von Methan im Wasser – eine Kaskade an unerwünschten Nebenwirkungen eines zu warmen anaeroben Milieus.

Detailsuche nach Ursachen

Bei der Ursachensuche beginnt nun die wahre Detailarbeit. Das Ziel bis zum Projektende im Februar 2024 ist es, für die Stadt sowohl Grundwasserwärmepotenzialkarten als auch Grundwasserqualitätsstresskarten zu erstellen, also zu zeigen, wo das Ökosystem bereits sehr belastet und wo es noch in Ordnung ist.

Darüber hinaus sollen Ideen gesammelt werden, wie und in welcher Form man die überschüssige Wärme aus den Hitzeinseln verwerten kann: "Da könnte man die Wärme nutzen und gleichzeitig dem Ökosystem etwas Gutes tun." Eine Conclusio aus den bisher gesammelten Erkenntnissen ist für das Projektteam aber schon jetzt klar, betont Griebler: "Es sollte für die Stadt auch so etwas wie einen unterirdischen Raumplan geben. Es gibt nicht nur an der Oberfläche, sondern auch im Untergrund Nutzungskonflikte – und das gehört organisiert." (Mario Wasserfaller, 22.4.2023)