Weil die von den USA gewünschte Regierung bisher nicht zustande kam, wird in Sarajevo gemutmaßt, dass Christian Schmidt neuerlich das Wahlgesetz ändert.

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Oops, will he do it again? Tut er es wirklich wieder? Zurzeit wird in Bosnien-Herzegowina darüber spekuliert, ob der Hohe Repräsentant, der Deutsche Christian Schmidt, erneut das Wahlgesetz oder die Verfassung kommende Woche ändern wird – vor allem wegen des Drucks der US-Botschaft, die dadurch eine Regierungsbildung auf der Ebene des Landesteils Föderation nach ihren Vorstellungen erreichen will. Eine solche Regierungsbildung auf demokratischem Wege und ohne irgendeine Gesetzesänderung durch Schmidt wäre allerdings sofort möglich, wenn die bosniakisch-nationalistische SDA Teil davon sein könnte.

Die SDA ist im Föderationsparlament nämlich mit 26 von 98 Abgeordneten die stimmenstärkste Partei. Die kroatisch-nationalistische HDZ, aber auch die Sozialdemokraten weigern sich jedoch, sich mit Vertretern der SDA zu treffen, um eine Regierungsbildung zu ermöglichen. Der bisherige Premier der Regierung auf Föderationsebene, der SDA-Politiker Fadil Novalić, wurde kürzlich zu vier Jahren Haft wegen Korruption verurteilt. Die anderen Parteien meinen nun, der SDA ginge es bloß darum, ihren korrupten Premier zu behalten.

Regierung nach Wunsch der USA

Doch eine Koalition ohne SDA ist auch deshalb zurzeit nicht möglich, weil der Vizepräsident des Landesteils Föderation, Refik Lendo, ein SDA-Mann ist und seine Zustimmung für die Regierungsbildung notwendig ist. Nun will Schmidt offenbar versuchen, mit seinen Bonner Vollmachten diesen Umstand irgendwie rechtlich zu ändern, damit auch ohne SDA eine Regierung gebildet werden kann, so wie dies auch die US-Botschaft wünscht.

Das Pikante: Der Umstand, dass der SDA-Mann Lendo Vizepräsident wurde und demnach eine entscheidende Position spielt, ist auf eine Entscheidung von Schmidt zurückzuführen. Schmidt hat sich damit nicht nur im sprichwörtlichen Sinne selbst ein Ei gelegt. Weil Schmidt nämlich das Wahlgesetz änderte, musste eine Stimme am Ende durch ein Losverfahren vergeben werden. In einen Glasbehälter wurden deshalb tatsächlich Überraschungseier mit den Namen von Abgeordneten gegeben und einer gezogen. Dadurch kam die SDA in die Position, und Lendo wurde in der Folge Vizepräsident.

Nur einmal ausbooten

Wenn Schmidt also am Wahlabend die Verfassung und das Wahlgesetz nicht geändert hätte, wäre es gar nicht zu der jetzigen Pattsituation gekommen. Schmidt steht nun deshalb vor einer kniffligen Aufgabe. Denn seine künftige Entscheidung ist schon jetzt umstritten. Die kroatisch-nationalistische HDZ, der Schmidt nahesteht, will nicht, dass die Verfassung geändert wird, sondern Schmidt nur eine einmalige Ausnahme-Entscheidung trifft, um die SDA auszubooten. Andere Parteien, die Teil der Koalition sein wollen, wollen hingegen eine Verfassungsänderung. Zurzeit wird mit Schmidt verhandelt.

Der Hohe Repräsentant hat die Aufgabe, das Friedensabkommen von Dayton zu implementieren und die bosnischen Institutionen zu schützen, wenn sie etwa von radikalen Nationalisten wie Milorad Dodik angegriffen werden. Diese Aufgabe hat Schmidt auch erfüllt und einige wichtige Entscheidungen in diesem Sinne getroffen. Heftig umstritten sind jedoch ganz andere Interventionen von seiner Seite.

Proportionalität verändert

Schmidt hat am 2. Oktober vergangenen Jahres, am Wahltag selbst, das Wahlgesetz und die Verfassung des Landesteils Föderation geändert, auch weil die US-Botschaft dies wünschte und weil man in Washington der Meinung ist, dass man der kroatisch-nationalistischen HDZ "etwas geben muss". Tatsächlich hat Schmidt damit eine der Parlamentskammern so "aufgeblasen", also die Anzahl der Abgeordneten erhöht, dass sich die Proportionalität veränderte und ohne die HDZ nun gar nichts mehr geht.

Diese seine Entscheidung begründete er damit, dass er das Land "deblockieren" wolle, tatsächlich ging er aber auf die Wünsche der HDZ und der Regierung des Nachbarlandes Kroatien ein. Die HDZ drohte in den vergangenen Jahren nämlich immer wieder und blockierte jegliche Regierungsbildung in der Föderation. Mithilfe von Kroatien lobbyierte man gleichzeitig mit viel Geld in Washington. Die gesamte kroatische Außenpolitik innerhalb der EU wurde zudem darauf ausgerichtet, der HDZ in Bosnien-Herzegowina zu mehr Macht, Einfluss und Blockademöglichkeiten zu verhelfen. Das Lobbying wirkte. Die Blockierer-Partei HDZ wurde belohnt.

Kein HDZ-Deal auf demokratischem Weg

Zunächst versuchte man es noch auf demokratischem Wege. EU-Vertreter verhandelten monatelang einen "Deal" mit anderen bosnischen Parteien, um die Wünsche der HDZ zu erfüllen. Für den eigentlichen "Deal" wurde ein "Vor-Deal" gemacht, ein Abkommen für Mostar, das zuvor keine Wahlen mehr abhalten konnte. Die bosniakisch-nationalistische SDA profitierte machtpolitisch von diesem Mostar-Deal. Doch die SDA stellte sich in der Folge dann klar auf die Seite der probosnischen Parteien, die aus Bosnien-Herzegowina einen Bürgerstaat machen wollen und die ethnisch-territoriale Teilung, wie sie die HDZ wünscht, bekämpfen.

Aus der Wahlgesetzänderung nach Wunsch der HDZ wurde also nichts. Doch dann trat Schmidt auf den Plan. Und im US-Außenministerium wollte man – Diplomaten zufolge – die SDA "disziplinieren". Sie sollte künftig weder auf staatlicher noch auf Föderationsebene Teil der Regierung sein, weil sie den HDZ-Deal nicht mitgemacht hatte. Vertreter der Internationalen Gemeinschaft sprachen sich gleichzeitig gegen jene Kräfte aus, die aus Bosnien-Herzegowina einen Bürgerstaat machen wollen, allen voran gegen den populären Nichtnationalisten Željko Komšić, der wieder ins Staatspräsidium gewählt wurde.

USA unterstützen Ethno-Nationalisten

Der Streit zwischen den Bürgerstaat-orientierten Kräften und den Ethnonationalisten eskalierte in den vergangenen Monaten, weil die internationale Gemeinschaft, vor allem die USA, aber auch die EU, sich hinter die Ethnonationalisten stellte. Der amerikanische Politologe Janusz Bugajski erklärte kürzlich den US-Plan, der hinter den Interventionen auf dem Balkan steht. Der soll die Dominanz von drei Regionalmächten (Serbien, Albanien, Kroatien) sicherstellen, die die anderen Staaten im Umkreis durch ihre hegemoniale Politik dominieren.

Zu dem Plan gehören laut Bugajski die Schmdit'schen Wahländerungen in Bosnien und Herzegowina zugunsten kroatischer Nationalisten, die geplante Schaffung einer Gemeinschaft serbischer Gemeinden im Kosovo zugunsten serbischer Nationalisten und eine Regierung in Montenegro, die den wachsenden Einfluss serbischer Nationalisten auf staatliche Institutionen legitimiert. De facto bedeutet dies eine Unterwanderung der staatlichen Interessen von Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Kosovo durch hegemonial agierende Nachbarstaaten. Etwas Ähnliches ist bereits Nordmazedonien durch die Hegemonialpolitik von Bulgarien passiert.

Diskrepanz zwischen Wertorientierung und Realität

Die deutsche Regierung, die sich offiziell für eine wertorientierte Außenpolitik ausspricht, hat bislang dieser US-Politik nichts entgegengesetzt, obwohl diese US-Politik auch jenen Zielen einer Demokratisierung und Bürgerorientierung widerspricht, die das deutsche Parlament offiziell durch seine Bosnien-Resolution unterstützt. Die USA haben seit geraumer Zeit das Heft in die Hand genommen, die EU und EU-Staaten haben im Verhältnis dazu kaum Wirkkraft.

Dies ist auch insofern bedenklich, als der bosnische Staat weiterhin von serbischen Nationalisten, die unter der Kontrolle des Kreml stehen, angegriffen wird. Der Chef der völkischen Partei SNSD, Milorad Dodik droht immer wieder mit der Abspaltung des Landesteils Republika Srpska und gab auch bekannt, alle Kontakte zu den USA abzubrechen. Nationalisten wie Dodik ist die auf Ethno-Gruppenrechten aufgebaute Verfassung von Bosnien-Herzegowina, die von amerikanischen Juristen nach dem Krieg geschrieben wurde, wegen der eigenen Machtabsicherung wichtig.

"Antiserbisches Konzept"

Er ist deshalb – so wie die HDZ – gegen einen Staat, der nach modernen europäischen bürgerlichen Prinzipien organisiert wird. Kürzlich sagte er: "Sie versuchen, die Geschichte eines zivilen Staates aufzuzwingen, das ist ein antiserbisches Konzept. Ob es jemandem gefällt oder nicht, wir konzentrieren uns auf das serbische nationale Interesse. Die Wahrung der Identität obliegt dem serbischen Nationalstaat, denn nur er kann sie vollenden."

Dodik will seit Jahren den Staat Bosnien-Herzegowina zerstören und Großserbien schaffen, so wie dies völkische Nationalisten bereits in den 1990er-Jahren wollten. Dodik will nun vor allem erreichen, dass Staatseigentum als Eigentum der Republika Srpska definiert wird, und verstärkt deshalb seine Drohungen. "Wir werden die Republika Srpska abspalten, wenn man versucht, unser Eigentum zu stehlen", kündigte er an.

Keine Perspektive für Bürgerinnen

Weil die internationale Gemeinschaft – allen voran die USA – die Ethnonationalisten, aber nicht die bürgerorientierten Kräfte in Bosnien-Herzegowina unterstützt, ist damit zu rechnen, dass in Zukunft jene Parteien, die bürgerorientiert sind, an Einfluss verlieren, die SDA könnte ihre Bürgerstaatsorientierung wieder aufgeben und nur mehr ethnonationalistisch agieren, und viele Bosnierinnen und Bosnier werden auswandern, weil sie keine Zukunft in dem Ethno-Staat sehen.

Es gibt nämlich viele Bosnierinnen und Bosnier, die einen Staat wollen, der ihre Bürgerrechte achtet. Zurzeit werden alle Bürgerinnen und Bürger diskriminiert, die zu Minderheiten oder zu "gemischten" Familien gehören oder die sich nicht ethnisch definieren wollen. Weder die EU noch die USA noch der Hohe Repräsentant setzen sich allerdings für diese diskriminierten Menschen – etwa Roma und Juden – ein, sondern für die HDZ. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 18.4.2023)