Im Gastblog zeigt die Medizinhistorikerin Daniela Angetter-Pfeiffer, wie zwei Personen der Wissenschaft sich um eine Erfindung stritten – und so die medizinische Forschung förderten.

Plan des Alten Allgemeinen Krankenhauses.
Foto: Archiv Sammlungen Josephinum

Als 1870 im Wiener Allgemeinen Krankenhaus weltweit die erste Klinik für Kehlkopf-Krankheiten eingerichtet wurde, wusste man, der Streit zwischen Ludwig Türck, einem Wiener Juwelierssohn, und dem Prager Johann Nepomuk Czermak über die Vorreiterrolle in der Kehlkopfforschung hatte einen Sinn. Erbitterte Feindschaft verhalf dem Teilgebiet, das sich mit Erkrankungen und Verletzungen des Kehlkopfs befasst, der Laryngologie, zur eigenständigen Wissenschaft.

Ein Opernsänger als Vorreiter

Ludwig Türck
Foto: gemeinfrei

Türck leitete nach seinem Medizinstudium eine Abteilung für Nervenkranke im Wiener Allgemeinen Krankenhaus. Ab 1857 wandte sich sein Interesse jedoch dem Kehlkopf zu, und er begann bei seinen Patienten und Patientinnen Kehlkopfuntersuchungen und Operationen mit einem von ihm konstruierten Spiegel, dem Laryngoskop, unter Ausnutzung des Sonnenlichts auszuführen. Czermak war damals gerade in Krakau. Den Kehlkopf mittels Spiegel sichtbar zu machen war grundsätzlich nicht neu. Solche Versuche gab es bereits ab der Mitte des 18. Jahrhunderts, allerdings ziemlich erfolglos. Dem spanischen Opernsänger Manuel García jun. gelang es dann Mitte der 1850er-Jahre, mit zwei Spiegeln bei seinem eigenen Kehlkopf die Bewegungen beim Singen zu beobachten.

Daher wird er sogar noch heute oft als Erfinder der Kehlkopfspiegelung bezeichnet. Türck hatte allerdings keine Kenntnis über die spanischen Experimente, und im Gegensatz zu Türck hatte García kein medizinisches Interesse. Türck aber tüftelte an der Weiterentwicklung seiner Kehlkopfspiegel, um sie für den diagnostisch-klinischen Gebrauch nutzbar zu machen. Weil er dabei das Sonnenlicht ausnutzte, unterbrach er seine Forschungen im Winter. Und dann bekam er völlig unerwartet und umso schmerzlicher zu lesen, dass ein anderer schneller mit einer Publikation zur Laryngologie war.

Johann Nepomuk Czermak
Foto: gemeinfrei

Türck hatte seinen Spiegel nämlich Johann Nepomuk Czermak auf dessen Bitte hin geborgt, und genau dieser veröffentlichte im März 1858 in der "Wiener medizinischen Wochenschrift" die Erfindung des Laryngoskops. Der Beitrag entstand anhand von Selbstversuchen, die Czermak an seinem Kehlkopf im Winter mit Türcks Spiegelchen bei künstlicher Beleuchtung durchgeführt hatte. Dieser kleine Hinweis auf Türck war aber auch auch schon die einzige Erwähnung des Wiener Konkurrenten. Czermak rückte viel mehr die Untersuchungen Garcías in den Mittelpunkt.

Aufnahme des Kehlkopfs von Johann Nepomuk Czermak, präsentiert in der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien 1861.
Foto: AÖAW, Versiegeltes Schreiben No. 24

Türcks bittere Erfahrung: Er kam immer zu spät

Türck hatte in der medizinischen Wissenschaft allerdings schon lange ein Problem. Er hatte geniale Entdeckungen, auch im neurologischen Bereich über das Zentralnervensystem oder das Rückenmark, aber er zögerte immer sehr lange, bis er sich über eine Veröffentlichung drübertraute, sodass andere schneller waren.

Diesmal konnte Türck nicht stillhalten. In einer Sitzung der Gesellschaft der Ärzte am 9. April 1858 erhob er Anspruch auf "seine" Erfindung. Wenige Tage später gab Czermak zwar nach und gestand Türck die führende Rolle in der Entwicklung der Laryngoskopie zu, zog diese Aussage aber bald wieder zurück. Hier standen sich zwei Mediziner gegenüber, die nicht unterschiedlicher hätten sein können. Türck, zögerlich, gehemmt, schwerfällig im Verfassen von Publikationen, ein "Zauderer aus Gewissenhaftigkeit", Czermak redegewandt, weltoffen und experimentierfreudig. Die Folge des "Türckenkriegs" war eine Flut von Publikationen und Gegendarstellungen.

Auf Czermaks Beitrag über den Kehlkopfspiegel im März antwortete Türck im Juni 1858 mit einer Veröffentlichung über die Anwendung des Kehlkopfrachenspiegels. Als Czermak im Februar 1859 sieben Patientenfälle schriftlich vorstellte, konterte Türck im März mit ebenfalls sieben Fallbeispielen. Das ging noch eine Weile so weiter. Was wie ein endloses Hickhack anmutete, erwies sich als Segen für die Laryngologie. Das Fachgebiet war mit einem Schlag international in aller Munde, Wien wurde zur Wiege des Kehlkopfspiegels. Czermak, der durch viele Vortragsreisen international sicherlich bekannter war, nutzte zudem die Fotografie und Stereoskopie für die neue Wissenschaft und präsentierte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien 1861 die ersten drei laryngoskopischen Aufnahmen des Kehlkopfs. Türck hingegen setzte 1863 einen mutigen Schritt, indem er als Erster versuchte, einen Kehlkopf mit einer Mischung aus Morphium, Alkohol und Chloroform zu anästhesieren.

Gemeinsamer Preis

Angesichts der fruchtbaren Entwicklung in Wien war es nur recht, dass Türck und Czermak den Monthypreis der Académie de médecine in Paris 1861 gemeinsam erhielten. Auch wenn Türck das nicht so sah. Die aus seiner Sicht begründete Vorrangstellung bekräftigte er 1866: "Nicht lange, nachdem es mir gelungen war, an die Stelle der bis dahin von mehreren Andern versuchten praktisch beinahe gänzlich unbrauchbaren, verschieden geformten Kehlkopfspiegel ein praktisch brauchbares Instrument zu setzen, welches ich Kehlkopfrachenspiegel nannte, hat dieses Instrument in der ganzen Welt Verbreitung gefunden, und zahlreiche Aerzte bedienen sich dessen."

Sein eigentliches Lebenswerk, die Etablierung des ersten Lehrstuhls für Laryngologie an der medizinischen Fakultät und die Gründung der weltweit ersten Laryngologischen Klinik im Allgemeinen Krankenhaus, durfte er allerdings nicht mehr erleben. Sie erfolgte erst 1870, zwei Jahre nach seinem Tod. (Daniela Angetter-Pfeiffer, 20.4.2023)