Das Aufnahmezentrum Lipa wurde mit 1,7 Millionen Euro EU-Geld, aber auch beträchtlichen Mitteln aus Österreich errichtet.

foto: SOS Balkanroute

Die Vorwürfe der NGO SOS Balkanroute sind massiv: Mit beträchtlichen Geldmitteln auch aus Österreich sei 25 Kilometer jenseits der bosnischen Stadt Bihać das Lager Lipa als "Abschiebezentrum mit Gefängniseinheiten" errichtet worden. Dorthin würden Flüchtlinge nach illegalen Pushbacks aus Kroatien gebracht.

Der Errichter der Hafteinheit in Lipa wiederum, das von Ex-ÖVP-Vizekanzler Michael Spindelegger geleitete International Center for Migration Policy Development (ICMPD), steht seit dem letzten parlamentarischen U-Aussschuss in der Kritik. Was wissen wir über Bau und Betrieb des Lagers Lipa?

Frage: Welchen Zweck erfüllt das bosnische Aufnahmezentrum Lipa?

Antwort: Es befindet sich unweit der Grenze zu Kroatien. Nach Lipa kommen vor allem Personen, die versuchen, nach Kroatien und damit in die EU zu kommen. Sie können das Lager, wo sie gratis Essen und medizinische Versorgung bekommen, jederzeit wieder verlassen. Im Dezember 2020 wurde das Lager durch einen Brand zerstört, 1400 Menschen blieben mitten im Winter ohne Schutz und Unterkunft. Die Idee, Lipa als Aufnahmezentrum wieder zu errichten, kam dann von der EU, ebenso wie der Großteil der Finanzierung. Heute wird es vom Dienst für Ausländerangelegenheiten des bosnischen Sicherheitsministeriums mit Unterstützung der Internationalen Organisation für Migration (IOM), UN-Agenturen und NGOs betrieben.

Frage: Warum steht Lipa derart stark der Kritik?

Antwort: Weil NGOs vermuten, dass es in Zusammenhang mit Bestrebungen in der EU steht, den Umgang mit Flucht und irregulärer Migration zu externalisieren. Die Frage sei, warum ein solches Aufnahmezentrum nicht wenige Kilometer weiter in Kroatien, also in der EU, gebaut worden sei, sagt Lukas Gahleitner von der Asylkoordination. Allerding gab es nur auf bosnischer Seite den Bedarf nach einem Camp aus humanitären Gründen.

Frage: Wer hat das Lager Lipa finanziert und gebaut?

Antwort: Die EU stellte für das Camp, das 1500 Menschen beherbergen kann, 1,7 Millionen Euro zur Verfügung. Zusätzliche finanzielle Unterstützung leisteten etwa das deutsche Technische Hilfswerk, die Schweizer Regierung, der Heilige Stuhl, das italienische Außenamt und die Europäische Entwicklungsbank. Österreich gehört zu den größten Geldgebern. Das Innenministerium bestätigte kürzlich, dass es für Lipa 821.672 Euro an IOM gezahlt habe.

Frage: Warum gibt es eine Hafteinheit in Lipa, wie groß ist sie?

Antwort: Die Hafteinheit war im Zuge der Wiedererrichtung von der EU-Kommission von Anfang an geplant und budgetiert. In ihr sollen bis zu zwölf Personen höchstens 72 Stunden festgehalten werden, wenn sie mit dem Strafrecht in Konflikt geraten, als sogenannte Gefährder eingestuft werden oder über reguläre Rückführungen aus Kroatien nach Bosnien-Herzegowina kommen. Der Bau der Hafteinheit wurde von der EU gesondert ausgeschrieben. ICMPD bekam den Zuschlag um 500.000 Euro, wie auch deren Direktor Spindelegger sagt. Die Einheit umfasst mehrere Container und ist umzäunt, wurde allerdings noch nicht in Betrieb genommen, Migranten waren noch keine dort. Die grüne Menschenrechtssprecherin Ewa Ernst-Dziedzic kündigte an, die Einrichtung im Zuge ihres am Donnerstag stattfindenden Besuchs in Lipa zu inspizieren.

Frage: Geht diese Gefängniseinheit mit den Menschenrechten konform?

Antwort: Laut Ruth Schöffl vom UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR hat Haft immer so kurz wie möglich zu sein, wenn sie nicht verhindert werden kann. Fakt ist, dass es in den meisten Schubhaften, auch solchen mit offenem Vollzug, Gefängniszellen gibt – auch in Österreich. Menschenrechtlich ist das immer eine Gratwanderung.

Frage: SOS Balkanroute hat in Lipa Menschen interviewt, die von Pushbacks aus Kroatien zurück nach Bosnien berichten. Sie schildern, dass sie zum Teil unmenschlich behandelt wurden. Was passiert da?

Antwort: Von den brutalen Pushbacks durch kroatische Beamte berichtet auch der Standard seit Jahren. Zahlreiche Menschen wurden und werden geschlagen, verletzt und gedemütigt, wenn sie versuchten, von Bosnien-Herzegowina aus nach Kroatien zu gelangen. Manchen werden die Schuhe und Handys abgenommen.

Frage: ICMPD war im Korruptions-U-Ausschuss wegen etlicher Grenzschutz- und Migrationsprojekte in der Kritik. Was genau wird der Organisation vorgeworfen?

Antwort: Laut der Neos-Abgeordneten Stephanie Krisper, die entsprechende parlamentarische Anfragen gestellt hat, wurde das ÖVP-nah geführte ICMPD seit 2011 mit mindestens 2,9 Millionen Euro gefördert. Viele seiner Projekte hätten ihre Ziele jedoch maßgeblich verfehlt, so etwa ein Projekt zur Rückführung von Personen nach Nigeria. (Irene Brickner, Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 18.4.2023)