Das Bauchgefühl täuscht nicht. Wer in Österreich außer Haus isst und trinkt, muss mit gesalzenen Preiserhöhungen rechnen. Heizen viele Gastronomen die Inflation über Gebühr an? Ökonomen sehen diese jedenfalls als einen der stärksten Treiber der Teuerung.

Bitten Gastronomen Steuerzahler zweimal zur Kasse? Einmal durch großzügige staatliche Hilfen, einmal durch kräftige Preiserhöhungen?
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Im März lag die Inflation in Österreich gemäß einer Schnellschätzung bei 9,1 Prozent, in Deutschland allein bei 7,4 Prozent. Gut die Hälfte dieser Differenz geht IHS-Chef Klaus Neusser zufolge auf das Konto der Wirte.

Grund dafür ist die größere Gewichtung der Restaurants und Hotels im Warenkorb der Statistiker – was wiederum der tragenden Rolle des Tourismus geschuldet ist.

Verteuert sich ein Grillhendl um zwei Euro, beeinflusst das die Inflation in Österreich in Relation folglich mehr als in Deutschland. Neusser führte im Ö1-Morgenjournal zudem sinkende Angebote an Restaurants aufgrund der Personalknappheit und das Sterben der Gasthäuser ins Treffen. Auch der gut laufende Tourismus leiste der Teuerung als Nährboden für Wirte Vorschub.

"Ungehemmtes Draufbuttern"

Für Konsumentenschützer, denen die Preispolitik der österreichischen Wirte seit Jahren schwer im Magen liegt, ist das Wasser auf ihren Mühlen. Reinhold Russinger spricht im STANDARD-Gespräch von ungehemmtem und schamlosem "Draufbuttern". Ein Gutteil der Aufschläge in der Gastronomie sei überproportional und nicht nachvollziehbar, ist sich der Experte für Wirtschaftswissenschaften in der Arbeiterkammer sicher. Er ortet Trittbrettfahrer, die primär ihre Gewinne aufbesserten.

Die Schmerzgrenze der Gäste sei hoch. Zum einen fielen ein paar Prozent rauf nur wenigen auf. "Wer erinnert sich heute noch an den Preis des Schnitzels von vorgestern?"

Zum anderen sei vielen die Geselligkeit einiges Geld wert, noch mehr seit den Entbehrungen der Corona-Pandemie. Und wer drehe bei besonderen Ereignissen wie Hochzeiten schon jeden Euro dreimal um?

"Teurer als Deutschland"

Österreich sei, was gastronomische Dienstleistungen betrifft, das siebentteuerste Land, rechnet Russinger vor. Die Preise dafür seien bereits im Zuge der Wiedereröffnung nach den Lockdowns vor zwei Jahren erheblich stärker gestiegen als in Deutschland. "Bis heute hat sich daran nichts geändert."

Im Februar erhöhten sich die Verbraucherpreise hierzulande um 10,9 Prozent. Bewirtung verteuerte sich zugleich um 13,4 Prozent. Für alkoholische Getränke wie Wein zahlten Gäste in Restaurants stolze 16 Prozent mehr. In Supermärkten fiel die Erhöhung dafür weit geringer aus.

Bitten Gastronomen Steuerzahler gleich zweimal zur Kasse – einmal durch die vom Staat mit der Gießkanne großzügig verteilten Hilfen, einmal über die gepfefferten Preisaufschläge auf der Speisekarte?

Höhere Löhne

Mario Pulker, oberster Vertreter der Gastronomie in der Wirtschaftskammer, ortet Branchenbashing der Arbeiterkammer. Allein für die Löhne und Gehälter ihrer Beschäftigten müssten die Wirte ab Mai um zehn Prozent mehr berappen. "Das muss man erst einmal in den Kosten unterbringen. Wer darüber klagt, dass wir zu teuer sind, sollte nicht ständig höhere Gehälter fordern."

Nicht gelten lässt Pulker auch den Vorwurf der Überförderung: Millionen an Hilfen seien noch nicht einmal an die Betriebe ausbezahlt worden. Keine Branche habe eine niedrigere Eigenkapitalquote als die Gastronomie. Bei knapp der Hälfte der Unternehmen überstiegen Schulden das Vermögen. Ihre jährlichen Renditen machten durchschnittlich selten mehr als acht Prozent aus.

Eine vernünftige Preisanpassung sei durch massive Konkurrenz aber über Jahrzehnte verhindert worden. "In Europa lässt sich in keinem anderen Land zu diesen Preisen in vergleichbarer Qualität essen. Da fährt die Eisenbahn drüber. In Österreich jedoch darf Dienstleistung offenbar weiterhin nichts kosten."

"Nicht aus Jux und Tollerei"

Wirte erhöhen Preise nicht aus Jux und Tollerei oder reiner Gier, ist Peter Dobcak überzeugt. Der Wiener Gastronomieobmann erinnert an die auf die Branche hereinstürmenden Kosten. Jene für Energie etwa hätten sich bis zu verzehnfacht. "Es kann doch nicht sein, dass Milliarden Euro in den Tourismus investiert wurden und jetzt Betriebe reihenweise wegen des teuren Stroms in Konkurs gehen."

Die Hälfte der Kosten fließe ins Personal. "Auch der neue Kollektivvertrag fällt nicht vom Himmel." Umsatz sei nicht Gewinn, und eine goldene Nase verdiene sich derzeit keiner, sagt Dobcak. Auch er hält nunmehrige Preissteigerungen für längst überfällig. "Österreich ist im internationalen Vergleich immer noch günstig." Seine Branche habe Konsumenten gut 30 Jahre lang preislich verwöhnt. "Wir müssen die Angst davor ablegen, Gäste zu verlieren."

Auch Wolfgang Binder, Obmann der Wiener Kaffeesieder, lässt seiner Zunft nicht das Bummerl in der hitzigen Inflationsdebatte zuschieben. "Die Teuerung trifft uns wie Otto Normalverbraucher." Denn die Gastronomie kaufe 90 Prozent ihrer Leistung zu. 37 Prozent der Vorleistungen gelten als energieintensiv.

Die Preise für Fleisch etwa legten um bis zu 50 Prozent zu. Jene für Öl, das im Land der Schnitzelpanier unentbehrlich ist, verdreifachten sich. Dazu kämen um zehn bis 15 Prozent teurere Mieten und Pachten. In Besitz ihrer Räumlichkeiten sind etwa in Wien nur ein Fünftel der Wirte.

Teurer Spritzwein

Was hat es mit dem kostspieligen Spritzwein auf sich, der jüngst vielen Gästen die Laune verdirbt?

Binder zieht zum Vergleich ein Krügerl Bier heran. Als Wirt kaufe er dieses um 1,50 Euro ein. Der Handel sei aufgrund seiner hohen Abnahmemengen und dank seiner Verträge von bis zu fünf Jahren in der Lage, dieses um 90 Cent zu verkaufen. Nicht viel anders sei es bei Wein. "Ein Supermarkt lässt sich Millionen an Liter liefern, ein kleiner Wirt vielleicht 1000." Die Einkaufspreise seien daher nicht vergleichbar.

Kein Gastronom könne es sich erlauben, Wein auszuschenken, der in Regalen der Supermärkte stehe oder in Massen aus dem Ausland importiert werde, fügt Pulker hinzu. Von hochwertigen Gläsern und Service nicht zu reden, die hinter dem Konsum außer Haus stünden.

Auch wenn Wein getrunken werde, der lange vor Corona produziert wurde, dürfe dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch Winzer unter hohem Kostendruck seien, sagt der Gastronomiechef. "Viele haben monatelang auf neue Flaschen gewartet, die sich dann noch dazu exorbitant verteuert haben."

Drohende Pleiten

Dass Wirte ihren Gästen höhere Preise quasi unbemerkt unterjubeln könnten, sei Unsinn, meint Pulker. "Zehn Cent auf ein Achterl in einem Landgasthaus mehr – und es folgen wochenlange Debatten mit Stammgästen." Doch ohne Anpassungen nach oben drohe vielen Betrieben die Pleite, sind sich Branchenvertreter einig. In der gehobenen Gastronomie, in Ballungszentren und den Tourismusgebieten steppe vielerorts der Bär. Gäste gingen gezielter auswärts essen und reservierten öfter denn je vorab, was den Eindruck boomender Geschäfte verstärke.

Anders sehe es abseits gut frequentierter Lagen aus. Auf Messers Schneide stünden vor allem kleine Dorfwirte. Das Sterben der Landgasthäuser beschleunige sich. (Verena Kainrath, 19.4.2023)