Nicht alle wollten in Wien warten, bis sie mit dem Stich an der Reihe waren, sondern zahlten einem jungen Mann Geld, um außertourlich vorgezogen zu werden.

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Wien – Als Ende 2020 die ersten Impfstoffe gegen Covid-19 verfügbar waren, gab es eigentlich eine strenge Priorisierung, wer zuerst gestochen werden sollte. "Systemrelevante" und Risikogruppen, vor allem Ältere, hatten den Vortritt – zumindest in der Theorie. In der Praxis konnte man sich die Immunisierung auch kaufen, wie ein Prozess vor Hofrätin Michaela Röggla gegen einen 21-Jährigen zeigt.

Herr C. absolvierte im Jahr 2021 seinen Zivildienst beim Grünen Kreuz und war auch im Impfzentrum am Thomas-Klestil-Platz eingesetzt. Von April bis Juli soll der unbescholtene Österreicher dann laut Staatsanwalt in 36 Fällen Geld kassiert haben, um auch eigentlich gar nicht berechtigten Personen einen Impftermin zu verschaffen – aus Sicht der Anklagebehörde ist das die "Geschenkannahme von Bediensteten oder Beauftragten".

Lukrativer Platz bei der Servicestelle

Der Student bekennt sich schuldig. "Ich war bei der Servicestelle, habe Ausweise überprüft und die Menschen in die richtige Kabine weitergeleitet", erzählt er der Richterin. Im April seien eigentlich nur über 80-Jährige zugelassen gewesen. "Aber die kamen manchmal nicht oder sind vorher verstorben", erinnert er sich. Da das Vakzin damals noch ein rares und nicht lange haltbares Gut war, wurde intern beschlossen, auch Begleitpersonen zu impfen, wenn es nicht benötigten Impfstoff gab.

Offenbar gab es damals nicht nur besorgte Bürgerinnen und Bürger, die sich vor einer angeblichen Implantierung von Mikrochips durch die Injektion fürchteten. "Die Leute haben sich bei mir bedankt, dass sie geimpft wurden, manche haben sogar geweint", schildert der Angeklagte. Manche hätten ihm auch Trinkgeld dagelassen. Es sprach sich herum, dass es dort auch außertourliche Impfungen gab, jedenfalls kamen laut C. plötzlich auch Menschen ohne Berechtigung, die ihm im Voraus Geld boten, wenn sie drankämen.

Spendierfreudige Akademiker

Das Interessante: Als Richterin Röggla die wenigen bekannten Namen dieser mutmaßlichen Bestecher vorliest, erkennt man, dass es sich um Akademiker in teils hohen Positionen handelt. 2.600 bis 2.700 Euro habe er so eingenommen, behauptet der 21-Jährige. Die namentlich bekannten Patienten bezahlten allerdings alle mindestens 200 Euro, die Staatsanwaltschaft kann dem Angeklagten jedoch nicht nachweisen, dass er die Grenze von 3.000 Euro an Einnahmen, ab der eine höhere Strafe droht, überschritten hat.

"Was haben Sie mit dem Geld gemacht?", will die Richterin wissen. "Meistens gleich ausgegeben. Ich habe aber manchmal auch Eis für die Kollegen gekauft oder sie zum Mittagessen eingeladen", beteuert der junge Mann. Er lukrierte aber nicht nur Bares: "Ich hatte einen Flug bei einem Internet-Reisebüro gebucht, der wegen Corona storniert worden ist. Das hat aber nicht auf meine Anfragen reagiert", schildert er. Einer der von ihm Bevorzugten bot ihm an, sich zu melden, falls er je etwas brauche. Das machte C. mit seinem Flugproblem – der Patient wies dann seine Sekretärin an, sich darum zu kümmern. "Die hat Mails geschrieben, und dann hat es funktioniert."

Neuer Job und Studienende in Aussicht

"Wie geht es mit Ihnen weiter?", will die Richterin noch wissen. Er beginne demnächst einen neuen Job und hoffe, bis nächstes Jahr sein Studium abgeschlossen zu haben und danach vielleicht einen Master zu machen, verrät C. ihr. Derzeit verdiene er 850 Euro plus Studienbeihilfe.

Um ihm die Zukunft nicht zu verbauen, verurteilt Röggla ihn zu fünf Monaten bedingter Haft, den von der Anklagebehörde beantragten Verfall der illegal eingenommenen Summe zugunsten der Staatskasse lehnt die Richterin ab. Der ohne Verteidigerin erschienene Angeklagte ist damit einverstanden, hat aber ohne Rechtsbeistand automatisch drei Tage Bedenkzeit, der Staatsanwalt gibt keine Erklärung ab, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 19.4.2022)