Immer mehr Menschen legen Wert auf schöne Zähne. Das ist insofern gut, da man dadurch auch Probleme wie Parodontitis rascher entdecken kann. Die entzündliche Erkrankung verläuft nämlich lange schmerzfrei – aber sie kann die Gesamtgesundheit massiv beeinflussen.

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Die Zähne sind die beste Visitenkarte, hört man oft. Und tatsächlich legen immer mehr Menschen Wert auf schöne Zähne. Das hat meist einen optischen Grund. Doch für die Gesundheit sind schöne bzw. gesunde Zähne noch viel wichtiger. Das Bewusstsein dafür steigt, doch immer noch ist vielen Menschen nicht bewusst, dass Gewebe, Organe und Zähne miteinander in Wechselwirkung stehen. "Der Körper ist eine Einheit, die Zähne gehören dazu und spielen für die Gesundheit eine wichtige Rolle", sagt Christof Dörfer, Direktor der Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie am Kieler Campus des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein. An der Gesundheit – oder Krankheit – beteiligt sind auch die die vielen Bakterienarten, die sich im Mund und andernorts tummeln. Insbesondere wenn Erkrankungen wie Karies und Parodontitis über einen längeren Zeitraum unbehandelt bleiben, kann sich das auf den gesamten Körper negativ auswirken.

Kariesbakterien sind dabei die kleinere Gefahr. Sie bauen Zucker ab, dabei entsteht Säure, die den Zahnschmelz angreift. Das bereitet insbesondere im Mund einige Probleme. Über einen durch Karies zerstörten Zahn können sich Entzündungserreger aber auch im Körper verteilen und das Immunsystem schwächen.

Häufigste chronische Entzündung im Erwachsenenalter

Die große Gefahr geht jedoch von Parodontitis aus. Das ist eine Zahnbettentzündung, die sich infolge einer nicht bemerkten Zahnfleischentzündung entwickeln kann. Dabei lösen Bakterien in Taschen rund um den Zahnhals eine entzündliche Infektion im Gewebe rund um den Zahn und bis in den Kieferknochen hinein aus. Oft kommt es vor, dass Parodontitis über Jahre hinweg nicht bemerkt wird, da der Verlauf anfangs völlig schmerzfrei ist. Diese Zahnbetterkrankung ist die häufigste chronische Entzündungskrankheit im Erwachsenenalter, die sogar zum Zahnverlust führen kann. Sie stellt im Vergleich zu Karies eine ganz andere Nummer dar.

Auch bei dieser Erkrankung können Bakterien über die Blutbahn an andere Stellen im Körper gelangen, beispielsweise zu den Herzklappen. Diese Verschleppung von Bakterien in die Blutbahn wird als Bakteriämie bezeichnet. "Wenn jemand parodontale Zahnfleischtaschen voller Biofilm hat, dann reicht schon das Kauen, um eine Bakteriämie auszulösen", sagt der Kieler Präventivzahnmediziner. "Das heißt, mit Parodontitis steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Bakterien dann in den Blutgefäßen an Defekte in der Endothelschicht anlagern und dort siedeln."

Aber dies ist nur ein Teil der Geschichte. Wie ein internationales Review vom März 2023 mit David Herrea von der Complutense University of Madrid UCM, Abteilung für Zahnmedizin, zeigt, ist Parodontitis mit Herzgefäßerkrankungen, Typ-2-Diabetes, chronisch-obstruktiver Atemwegserkrankung (COPD), obstruktiver Schlafapnoe und Covid-19-Komplikationen assoziiert. Das heißt Parodontitis tritt oft gemeinsam auf mit einer oder mehrerer dieser Erkrankungen auf. "Deshalb wäre eine gute Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Zahnärzten sehr wünschenswert. Das ist auch eine Schlussfolgerung dieses Reviews", sagt Dörfer.

Dekoriertes Erbgut – wie ein Christbaum

Wie aber kommt es zu dieser Assoziation? Hier spielt das Immunsystem eine wichtige Rolle. Dieses erinnert sich nicht nur an Bakterien oder Viren wie beispielsweise das Coronavirus Sars CoV-2, gegen die es gekämpft hat, sondern auch an chronische Entzündungen. Ein Team aus Forschenden von der University of Pennsylvania hat in Zusammenarbeit mit Forschenden der TU Dresden den Mechanismus, der zu dieser Gedächtnisbildung speziell im angeborenen Immunsystem führt, im Mausmodell genauer untersucht. Dabei haben sie festgestellt, dass Mäuse, die an einer chronisch-entzündlichen Erkrankung wie einer schweren Zahnfleischentzündung oder einer Parodontitis leiden, eine erhöhte Anfälligkeit für andere chronisch-entzündliche Erkrankungen wie Arthritis haben – und umgekehrt.

Warum ist das so? Schauplatz des Vorgangs ist das Knochenmark. Dort befinden sich Stammzellen, die lebenslang Nachschub für die verschiedenen Zellen des Blutes liefern und auch für Immunzellen des angeborenen Immunsystems. Das können Monozyten bzw. Makrophagen und sogenannte Neutrophile sein. Bei Mäusen mit einer chronisch-entzündlichen Erkrankung wie der Parodontitis hinterlässt die Entzündung ihre Spuren an den Vorläuferzellen dieser Immunzellen. Das Erbgut der Mäuse wird zusätzlich dekoriert – wie ein Tannenbaum mit Weihnachtskugeln.

Die Gensequenz selbst bleibt dabei unverändert. Aber der Steuerungsüberbau des Erbguts verändert sich. Die chronischen Entzündungen verursachen sogenannte epigenetische Veränderungen an ihm. Das passiert nicht nur bei Parodontitis. "Wir vermuten, dass das bereits bei geringgradigen Entzündungen der Fall ist, wie sie etwa durch übermäßig vorhandenes viszerales Bauchfett verursacht werden", sagt George Hajishengallis von der University of Pennsylvania, einer der beiden Studienautoren.

Die epigenetisch bedingten Anlagerungen von Methylgruppen an das Erbgut, also die DNA, sorgen dafür, dass manche Gene häufiger, andere dafür seltener abgelesen werden. Infolgedessen produzieren die Immunzellen des angeborenen Immunsystems vermehrt entzündungsrelevante Stoffe, beispielsweise das Interleukin-1. Das ist ein von Entzündungszellen abgegebener Botenstoff, der eine Entzündungsreaktion koordiniert und verstärkt. Aufgrund des "Immungedächtnisses" erhöht sich so die Anfälligkeit der Mäuse für weitere chronisch-entzündliche Erkrankungen wie Rheuma.

Auch schwerere Corona-Erkrankung

Weitere Studien müssen nun zeigen, ob sich die Ergebnisse eins zu eins auf den Menschen übertragen lassen. Doch auch die Umkehrung scheint möglich zu sein. Grundsätzlich können auch die bei Rheuma ablaufenden entzündlichen Prozesse eine Parodontitis und Herzgefäßerkrankungen begünstigen. Und während der Corona-Zeit zeigte sich, dass eine Parodontitis wegen der Tendenz zu überschießenden Entzündungsreaktionen auch bei Covid-19 die Erkrankungsschwere und den Erkrankungsverlauf beeinflussen kann.

Dörfer hält es für möglich, dass die eigentliche Ursache des veränderten Immungedächtnisses eine sehr spezielle Situation im Mundraum ist. Die Parodontitis selbst wäre dann nur die Folge davon. "Der Mund und der Raum um die Zähne, wo sie das Epithel, die eigentlich eine Schutzbarriere darstellt, durchbrechen und in die Mundhöhle ragen, sind die Eintrittspforte für alle möglichen Erreger", sagt Dörfer. Das bedeute, dass das Immunsystem hier ständig in erhöhter Alarmbereitschaft sei. "Jeder Mensch hat im Mundraum vermehrt Immunzellen des angeborenen Immunsystems postiert, und aufgrund der ständigen Abwehr von Erregern laufen leichte Entzündungsreaktionen ab", erklärt Dörfer. "Bei manchen Menschen könnte dann mehr daraus werden."

Wenn diese Annahme zutrifft, dann hätten diese Menschen ein epigenetisch verändertes Immungedächtnis, welches eine Parodontitis begünstigt. "Die Kommunikation zwischen den Bakterien im Biofilm und den dort sehr zahlreichen Abwehrzellen im Zahnfleisch rund um den Zahn ist dann gestört. Deshalb sind die Immunzellen, sagen wir mal, irritiert, und reagieren nicht mehr so, wie sie eigentlich sollten." Die Konsequenz sei, dass der Körper noch mehr Immunzellen dorthin schicke. "Entzündungsreaktionen werden so immer aggressiver", beschreibt Dörfer die Vorgänge. Kommen Lifestylefaktoren wie Rauchen, aber auch chronisch erhöhter Blutzucker und eine entsprechende genetische Komponente hinzu, könnte dies das i-Tüpfelchen sein, sodass sich eine chronisch-entzündliche Zahnbetterkrankung entwickelt. Vieles deutet darauf hin, dass dem so ist, aber die Forschung muss das epigenetisch geprägte Immungedächtnis noch explizit zeigen.

Entzündungen möglichst früh behandeln

Es gibt bereits mögliche medikamentöse Therapien, mit denen epigenetische Veränderungen pharmakologisch behandelbar wären, etwa Antikörper gegen Interleukin-1 wie das Canakinumab. Da Mäuse ohne Interleukin-1-Rezeptor in den Knochenmarkstammzellen nicht das entzündungsfördernde Immungedächtnis entwickelten, könnte es eine weitere Option sein, den Gegenspieler des Interleukin-1-Rezeptors, der Anakinra, einzusetzen. "Es wird bereits bei einigen entzündlichen Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis genutzt", so Hajishengallis.

Aber der Einzelne kann auch selbst etwas tun, um einer Parodontitis vorzubeugen oder zumindest einzudämmen. Für eine erste Selbsteinschätzung gibt es einen von der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie entwickelten Parodontitis-Test. Dieser ermittelt anhand von sechs Antworten der Nutzenden das persönliche Parodontitisrisiko, und das mit einer Trefferquote von 80 Prozent. Dieser Test ist eine gute und einfache Früherkennungsmöglichkeit. Weiterhin ist es ganz wichtig, einmal pro Jahr für eine "Bestandsaufnahme" zum Zahnarzt zu gehen, um Schäden an Zahnfleisch und Zähnen von vornherein möglichst klein zu halten.

"Sollte eine Parodontitis vorliegen, muss sie möglichst bald umfassend behandelt werden, um den Zahnhalteapparat zu stabilisieren", sagt Christof Dörfer. Also Biofilme von der Zahnoberfläche entfernen, die mit Bakterien gefüllten Zahnfleischtaschen reinigen und gegebenenfalls chirurgisch reduzieren. Mehrmals pro Jahr sollte dann eine Nachkontrolle mit professioneller Zahnreinigung erfolgen, denn Fakt ist: "Diese entzündliche Erkrankung des Zahnhalteapparats wird man nicht mehr ganz los. Aber es ist möglich, entzündliche Prozesse zu minimieren und für längere Phasen einen Stopp zu bewirken", weiß der Kieler Präventivzahnmediziner.

Wer an Parodontitis leidet, sollte jeden Tag zusätzlich zur mehrmaligen Reinigung mit der Zahnbürste die Zahnzwischenräume gut mit Zahnseide und Bürstchen säubern. "Außerdem ist es wichtig, dass der Zahnarzt regelmäßig neu gebildeten Zahnstein und Biofilme auf den Zähnen und den Wurzeloberflächen entfernt und mit Bakterien gefüllte Zahnfleischtaschen gründlich reinigt." Je früher man interveniert, umso besser kann man eine Entzündung in den Griff kommen. Und Dörfer warnt vor den negativen Effekten des Rauchens auf die Zahngesundheit: "Rauchen hat einen sehr negativen Effekt. Wenn Sie nicht rauchen, dann haben sie schon mal eine Menge für Ihre Zähne und Gesundheit getan." (Gerlinde Felix, 20.4.2023)