Fotograf Boris Eldagsen mit seinem preisgekrönten Bild, das er teilweise mittels künstlicher Intelligenz (KI) kreierte.
Foto: Alex Schwander / Boris Eldagsen

Der Berliner Fotograf Boris Eldagsen lehnte eben einen renommierten Preis ab, um eine Debatte über die Rolle künstlicher Intelligenz (KI) in der Fotografie anzustoßen – und traf damit einen Nerv.

Die Sony World Photography Awards hatten Eldagsen mit seinem Werk Pseudomnesia: The Electrician als Preisträger in der Kategorie "Kreativ" gekürt. Dieses hatte er mithilfe von KI generiert, dies aber erst nach der Einreichung bekanntgegeben. Er gewann dennoch, sein Statement zu KI und Fotografie wurde seitens von Sony aber nicht veröffentlicht.

Daraufhin lehnte Eldagsen die Auszeichnung ab, um ein Zeichen zu setzen. Er fordert unterschiedliche Kategorien für Fotografie und für mittels KI generierte Bilder. Seit 20 Jahren ist Eldagsen als Fotograf tätig, unterrichtet und macht digitales Management. Seit 2022 arbeitet er intensiver – und mittlerweile ausschließlich – mit künstlicher Intelligenz. Dass er in nur kurzer Zeit zum Aktivisten für KI in der Fotoszene wurde, war so nicht geplant, erzählt er im Gespräch.

STANDARD: Warum haben Sie den Sony World Photography Award nicht angenommen?

Eldagsen: Es ging nicht um das Gewinnen. Ich wollte herausfinden, ob so ein großer Wettbewerb auf die Einreichung von KI-generierten Bildern vorbereitet ist. Dieser war es offensichtlich nicht. Ich bin quasi wie ein Hacker vorgegangen, der Schwachstellen findet, diese aber nicht ausnutzt, sondern darauf hinweist. Für meinen Test ließ ich vorerst offen, wie das Bild produziert wurde. In einem zweiten Schritt – also bevor mein Bild als Sieger ausgewählt wurde – habe ich Sony World Photography Award darauf hingewiesen, dass eine KI dafür verwendet wurde.

STANDARD: Wie war die Reaktion?

Eldagsen: Meine Fragen wurden nicht beantwortet, mit mir wurde kaum kommuniziert. Mein Vorschlag war, dass wir – solange mein Bild unter diesen Bedingungen überhaupt weiter noch im Rennen bleibt – eine Diskussion führen müssen, weil es viele offene Fragen gibt. Diesem Wunsch wurde aber nicht nachgekommen. Das Thema hat anscheinend niemanden interessiert. Mein Name und das Bild wurden schließlich von der Website genommen, das Werk hängt auch nicht mehr in der Ausstellung in London. Mir wurde klar, dass ich etwas Disruptives tun muss, um ein Statement zu setzen.

STANDARD: Offensichtlich haben Sie einen wunden Punkt getroffen ...

Eldagsen: Ja, das Thema wurde zum Selbstläufer in der Fotocommunity und erhielt einen derartigen Buzz, dass es sogar in die internationalen Medien übergeschwappt ist. Ich führe seit zwei Tagen laufend Interviews, darunter CNN, Al Jazeera und Guardian. Die Frage ist, wie geht es jetzt weiter?

STANDARD: Wie geht es weiter?

Eldagsen: Wir müssen die Begriffe klar definieren und nicht mehr von KI-Fotografie sprechen.

STANDARD: War nicht Ihr Ziel bei der Aktion, dass KI-Fotografie als eigenständige Kunstform anerkannt wird?

Eldagsen: Genau, man soll aber mittels KI generierte Bilder nicht mit Fotografie in einer Kategorie mischen. Es handelt sich um unterschiedliche Dinge. Und deshalb brauchen wir einen neuen Namen für mit KI erstellte Bilder. Passenderweise bin ich in den letzten Tagen auf die Bezeichnung "Promptografie" gestoßen. Sie trifft es genau, weil mit KI generierte Bilder einen Prompt (das ist eine kurze Erklärung bzw. Beschreibung bei der Eingabe, Anm.) brauchen, um erstellt zu werden. Wo die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede liegen, sind komplexe Fragen, die man jetzt klären muss. KI ist jedenfalls keine Fotografie und auch kein Ersatz, der die menschliche Kreativität auslöscht, sondern ein Wissensverstärker.

STANDARD: Wo soll die Grenze gezogen werden? Wie groß muss der menschliche Anteil an einem Werk sein?

Eldagsen: Das ist eine Frage der Kreativität. Für mich liegt der Unterschied in der Erstellung des Werks: Wenn ich mit KI arbeite, ist es eine "Promptografie", und wenn ich mit einer Kamera arbeite, ist es eine Fotografie – ganz simpel. Ich muss auch nicht bei den Ergebnissen durch Prompts bleiben. Die Möglichkeiten, mit weiteren Prompts und manuellen Steuerungen weiterzuarbeiten, sind immens. Klar ist das am Ende dann mein Werk, aber es handelt sich um eine Co-Kreation mit der KI. Ich bin der Regisseur, mache Vorschläge und wähle dann aus.

STANDARD: Zählt es dann als künstlerische "Promptografie", wenn ich mittels nur eines Prompts ein Bild generiere?

Eldagsen: Nein, auf keinen Fall. Wenn ich eingebe: "Foto einer Pizza", dann macht die KI, was sie will. Ich kann aber bis zu elf Bestandteile einbauen in den Prompt: "Eine Pizza Diavolo, schön kross, verbrannt, knallbunt, im Stil der 80er-Jahre, ein Werbefoto". Ich kann Qualität, Schärfe, Farbe, Stil und so weiter als Parameter angeben. Je länger ich dann damit weiterarbeite, desto höher wird mein Anteil an dem Werk. So bin ich auch bei meinem jetzt ausgezeichneten Werk Pseudomnesia: The Electrician vorgegangen. Ich habe mit einem Textprompt begonnen, die zwei Frauen generiert und dann an bestimmten Teilen des Bildes weitergearbeitet. Etwa 50 bis 80 Prozent an einem solchen Bild sind mein Anteil.

STANDARD: Zuletzt tauchten viele KI-erzeugte Fotos im Internet auf, die für echt gehalten wurden. Welchen Umgang empfehlen Sie?

Eldagsen: Das ist natürlich ein Problem für die Gesellschaft und den Fotojournalismus. Ich kann zum Beispiel "Olaf Scholz schläft" eingeben und erhalte ein Bild des deutschen Bundeskanzlers, der im Bundestag schläft. Jeder kann so ein Bild in 20 Sekunden erstellen. Es braucht nur einen Namen und ein Verb. Wir müssen ein System für die Nachrichtenpresse erstellen, damit Bilder eindeutig ausgewiesen werden. Es ist wahnsinnig viel Arbeit und ein hoher Zeitaufwand, diese Bilderflut zu kontrollieren – die immer größer wird.

STANDARD: Wie wird KI die Zukunft der Fotografie beeinflussen?

Eldagsen: Die Zukunft der Fotografie wird von der KI definiert werden. Für mich ist es eine Befreiung und ein Tool, das ich mir immer erträumt habe, ohne es zu wissen. (Katharina Rustler, 19.4.2023)