Russland betreibt offenbar in der Nordsee ein umfangreiches Programm zur Spionage und Sabotage. Das geht aus Berichten mehrerer Medien in Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland hervor.

Demnach betreibt Russland eine Flotte von mindestens fünfzig Spionageschiffen, die als Fischtrawler und Forschungsschiffe getarnt unterwegs sind. Sie sind mit Unterwasserüberwachungsgeräten ausgerüstet und sind auf der Suche nach Schlüsselstellen für potenzielle Sabotageakte.

Für die Recherche über russische Spionageaktivitäten rund um die nordischen Staaten haben die öffentlich-rechtlichen Sender Dänemarks (Danmarks Radion, DR), Norwegens (Norsk Rikskringkasting, NRK), Schwedens (Sveriges Television, SVT) und Finnlands (Yleisradio, Yle) zusammengearbeitet. Im Zuge der Untersuchungen wurden frei verfügbare Verkehrsdaten ebenso wie abgehörte russische Kommunikation untersucht, die belegt, dass Russland "Geisterschiffe" mit abgeschalteten Transpondern über die Meere schickt, um die Positionen der Schiffe zu verschleiern.

Eskalation

Die Sabotagepläne dienen als Vorbereitung für eine Eskalation des Konflikts mit dem Westen, wird ein Offizier der dänischen Spionageabwehr zitiert. Die anhand der Schiffsbewegungen erstellten Karten zeigen den Aufenthalt der Schiffe in der Nähe wichtiger Infrastruktureinrichtungen wie Öl- und Gasfelder und bei Nato-Übungen und Truppenübungsplätzen ebenso wie bei US-amerikanischen Atom-U-Booten. Russische Schiffe waren in der Nähe, als im Vorjahr Glasfaserkabel vor Vesterålen und Svalbard durchtrennt respektive beschädigt wurden. Sie tauchen vor Flughäfen, Tiefwasserkais und Brücken auf – allesamt für militärische Bewegungen wichtige Punkte. Bei einer militärischen Konfrontation wären diese Punkte Schwachstellen, um eine Verstärkung unterbinden zu können.

Der Leiter des norwegischen Geheimdiensts, Nils Andreas Stensønes, erklärte, dass ein Überblick über die Anzahl der möglicherweise für die russischen Geheimdienste aktiven Schiffe schwierig zu erhalten sei: "Wir identifizieren Einzelfälle und erheben die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne Schiffe Aufklärungsarbeit leisten." Russland sei offensichtlich an norwegischer Technologie interessiert. Das Ziel der russischen Aufklärung seien militärische Einrichtungen, die Bewegungen der Alliierten und die Kommunikation. Zivile Schiffe, die völlig normal erscheinen, könnten Geheimdienstpersonal an Bord haben oder speziell ausgerüstet sein, sagt Stensønes.

Verstecktes Funkgerät

Bei Kirkenes nahe der norwegischen Grenze zu Russland entdeckte die Polizei Anfang November 2022 bei einer Routinekontrolle des Fischtrawlers Lira in einem abgeschlossenen Raum ein verstecktes sowjetisches Funkgerät und einen daneben sitzenden Mann. Im Schwesterschiff Ester fanden sie dieselbe Situation vor. Lira und Ester sind wie auch der ebenso offenbar für Spionagezwecke eingesetzte Trawler Taurus grundsätzlich für legale Aktivitäten unterwegs, berichtet NRK. Fast drei Dutzend Male lieferte die Taurus in den vergangenen Jahren gefangene Fische in norwegischen Häfen ab. Doch das Bewegungsmuster des Schiffes zeigt es immer wieder in der Nähe von Marinebasen, bei einer Nato-Übung, und auch als ein US-U-Boot der neuesten Generation im Grøtsund bei Tromsø vor Anker ging.

Vergangene Woche hat Norwegen 15 russische Botschaftsbeamte ausgewiesen, die angeblich Spionageaktivitäten im Land durchgeführt haben. Dem norwegischen Polizeisicherheitsdienst (PST) zufolge hat der nachrichtendienstliche Druck auf Norwegen zugenommen, die Russen seien zu größeren Risiken bereit als früher. Durch die Diplomatenausweisung seien die Beziehungen nun von kalt auf eiskalt gesunken.

Die Admiral Wladimirski bei einer Parade vor Kronstadt bei St. Petersburg.
Foto: AP/Druzhinin

Windparks ausgekundschaftet

Bei einem weiteren der verdächtigen Schiffe handelt es sich um die Admiral Wladimirski. Dabei handelt es sich um ein Unterwasserforschungsschiff, das die Unterwassertopografie kartieren kann. "Geforscht" hat das Schiff in der Nähe von sieben verschiedenen Windparks an den Küsten Großbritanniens und der Niederlande. Im Umfeld der Windparks wurde demnach die Fahrtgeschwindigkeit verringert und der Transponder für einen Monat abgeschaltet. Ein Reporter, der sich dem Schiff mit einem kleinen Boot näherte, berichtete von einer Person mit Sturmhaube und Sturmgewehr an Bord. Im Vorjahr war die Admiral Wladimirski vor Schottland gesichtet worden. Dort hielt sich das Schiff in der Nähe der Luftwaffenbasis Lossiemouth der Royal Air Force auf.

Erst am Dienstag hatten Medien berichtet, dass vier Tage vor den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines die Anwesenheit russischer Schiffe an der Stelle vom dänischen Patrouillenboot P524 Nymfen dokumentiert wurde. Wer den Sabotageakt Ende September des Vorjahrs durchgeführt hat, ist bis heute unklar, die dänischen, schwedischen und deutschen Behörden ermitteln in der Angelegenheit. (Michael Vosatka, 19.4.2023)