Die schnelle Abfolge, in der neue Versionen von Linux-Distributionen oftmals veröffentlicht werden, führt unweigerlich dazu, dass nicht jedes neue Release die ganz großen Neuerungen mit sich bringen kann. Mit einer neuen Ubuntu-Version nimmt Softwarehersteller Canonical nun aber nicht nur einen Umbau an zentraler Stelle vor, sondern setzt auch ein klares Zeichen, wohin die weitere Reise in Hinblick auf die Softwareauslieferung geht. Ein Schritt, der allerdings nicht ganz unumstritten ist und schon in den vergangenen Monaten für angeregte Diskussionen gesorgt hat.

Ubuntu 23.04 ist da

Aber der Reihe nach: Mit Ubuntu 23.04 "Lunar Lobster" steht nun eine neue Version des Linux-Desktops zum Download. Diese kann von der Seite des Herstellers bezogen und auf einen USB-Stick gespielt werden. Von diesem kann das System dann ausprobiert und bei Gefallen gleich fix installiert werden.

Der Desktop von Ubuntu 23.04.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Ein neuer Installer

Ubuntu 23.04 kommt mit einem neuen Installer.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD
Auch die manuelle Partitionierung der Festplatte ist damit wieder möglich.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD
Am Schluss kann auch gleich zwischen hellem und dunklem Theme gewählt werden.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Die erste große Neuerung zeigt sich bereits früh: Es gibt einen von Grund auf neu entwickelten Installer. Dieser nutzt Googles grafisches UI-Framework Flutter, das etwa auch unter Android und iOS von vielen Apps verwendet wird. Das soll vor allem für Canonical selbst den Wartungsaufwand reduzieren. Für die Nutzerinnen und Nutzer sind die Unterschiede hingegen ziemlich überschaubar, wenn man einmal von einem etwas anderen Look absieht. Die meisten Dialoge sind dem alten Installer direkt nachempfunden. Das ist prinzipiell nicht verkehrt, war dieser doch ausgereift und einfach zu nutzen.

Einige von den Unarten des alten Installers werden dabei allerdings übernommen. Dazu gehört, dass die Installation von proprietärer Software von Drittanbietern angeboten wird, ohne je im Detail auszuführen, was das eigentlich heißt. Also welche Programme dann konkret auf die Platte wandern. Nett ist die Option, gleich an dieser Stelle zwischen hellem und dunklem Desktop-Theme zu wählen. Auch eine Funktion zum Pausieren der Installation gibt es nun.

Gnome mit ein paar Erweiterungen

Seit einigen Jahren verwendet Ubuntu – wieder – eine eigens angepasste Version von Gnome, in diesem Fall gibt es sogar dessen aktuellste Version, also Gnome 44. Dadurch erbt man viele aktuelle Verbesserungen des Gnome-Projekts, etwa bei den Bluetooth-Schnelleinstellungen oder auch den Settings für Maus und Touchpad, die nun über nette Animationen erklärt werden. Der Dateimanager hat wieder eine Tree-Ansicht, der Dateiauswahldialog bietet endlich eine Bildvorschau. Und ebenfalls nützlich: In den Systeminformationen werden jetzt Kernel- und Firmware-Version des eigenen Rechners angezeigt.

Ubuntu-spezifisch ist, dass im Dock über den Icons mancher Programme die Zahl der jeweils verfügbaren, ungelesenen Nachrichten angezeigt wird. Derzeit funktioniert das noch eher schlecht als recht, da das auch von den jeweiligen Programmen direkt unterstützt werden muss. Aber die Grundlage ist zumindest einmal gelegt.

In den Systemeinstellungen gab es einige Verbesserungen. Dazu gehören neue Animationen, die zentrale Funktionen erklären.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Versteckter Ausblick

Etwas versteckt gibt es auch schon Vorarbeiten für die nächste Version. Ubuntu will mit dieser dann nämlich die Tiling Assistant Extension integrieren, die mehr Möglichkeiten zum Anordnen von Fenstern bietet. Eine an sich hervorragende Idee, und auch eine, von der sich gleich das Gnome-Projekt als Ganzes inspirieren lassen könnte, um das direkt in die eigene Software zu integrieren.

Was hat das jetzt nun aber mit Ubuntu 23.04 zu tun? Einiges, denn wie sich zeigt, wurden die dafür gedachten Einstellungen bereits in die Ubuntu-spezifische Kategorie der Systemeinstellungen integriert. Angezeigt werden diese aber erst, wenn man die erwähnte Erweiterung manuell installiert.

An dieser Stelle ein kurzer Zwischenruf, es folgt nämlich ein etwas tieferer Blick in die verwendeten Technologien und Konzepte. Wer damit nichts anfangen kann, sei einmal mehr auf unser Linux-Glossar verwiesen, in dem der Versuch unternommen wird, einige zentrale Begriffe möglichst einfach zu erklären.

Moderne Paketsysteme

Traditionell funktioniert die Softwareauslieferung bei Linux-Systemen folgendermaßen: Die jeweilige Distribution nimmt den Quellcode jener Programme, die man nutzen will, und baut daraus selbst die zugehörigen Pakete. Oft wird die Software dabei auch noch den eigenen Bedürfnissen zufolge angepasst. Das funktioniert an sich recht gut und ermöglicht ein schlankes und wohl optimiertes System.

Dieser Ansatz hat aber auch Nachteile. Bedeutet dies doch, dass Pakete meist nur auf dieser Distribution oder im besten Fall noch auf darauf basierenden Systemen funktioniert. Dass ein Paket für eine ältere Systemversion auf einer neueren noch funktioniert, ist ebenfalls nicht gesagt. Zudem kommt für die Verwaltung eine Fülle unterschiedlicher Tools mit ihren jeweils individuellen Eigenheiten zum Einsatz.

Kritik

Diese Situation ist nicht zuletzt ein Hindernis für Softwarehersteller, die mit ihren kommerziellen Produkten Linux unterstützen wollen. Aber auch manche großen Open-Source-Projekte sind damit schon länger nicht glücklich. Verwenden dadurch viele Distributionen veraltete Versionen der eigenen Software, die man eigentlich gar nicht mehr unterstützt.

Das Ergebnis ist, dass hier viele Fehlerberichte hereinkommen, mit denen das jeweilige Projekt eigentlich nichts mehr anfangen kann. Noch dazu handelt es sich um Bug-Reports, wo nicht klar ist, ob der Fehler überhaupt durch ein eigenes Defizit oder durch eine Anpassung oder andere Spezifika der jeweiligen Distribution verursacht wurde. Zudem haben die betroffenen Projekte in diesem Modell keine Möglichkeit, rasch einmal ein wichtiges Update an alle Linux-User auszuliefern. Sie sind dafür von den jeweiligen Distributionen abhängig.

Auftritt: Snap und Flatpak

All das hat in den vergangenen Jahren zur Entwicklung von neuen distributionsübergreifenden Paketformaten geführt. Die Bekanntesten sind dabei Flatpak und Snap, beide versprechen Pakete, die direkt von den jeweiligen Herstellern auf dem Laufenden gehalten werden und auf sämtlichen Distributionen und deren einzelnen Versionen gleich gut laufen. Außerdem sollen die damit ausgelieferten Programme isoliert vom restlichen System laufen, was wichtige Sicherheits- und Privatsphärenvorteile verspricht – auch wenn vieles davon derzeit noch Work in Progress ist.

Canonical will, dass sein Snap Store der Anlaufpunkt schlechthin für Linux-Programme wird. Andere Anbieter stimmen dem eher nicht zu.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Wieder mal eine Dualität in der Linux-Welt

Aber was hat das nun mit Ubuntu zu tun? Nun, dessen Hersteller ist der zentrale – genau genommen so ziemlich der einzige – Proponent von Snap. Praktisch alle anderen Distributionen favorisieren Flatpak oder bleiben vorerst lieber bei klassischen Paketformaten.

Nun könnten wir an dieser Stelle auf die technischen Unterschied zwischen den beiden Systemen eingehen, die es durchaus gibt, in der Realität ist für diese Spaltung aber ohnehin etwas ganz anderes verantwortlich: Canonical will bewusst eigene Wege gehen und den dafür genutzten Snap Store zu einer neuen Einnahmequelle aufbauen. Dementsprechend hält man diesen auch unter alleiniger Kontrolle – was wenig überraschend für andere Distributionen ein No-Go ist.

Ein sanfter Rauswurf

Mit Ubuntu 23.04 betont man diese strategische Entscheidung noch stärker: So gibt es von Haus aus keine Integration von Flatpak und des dafür am meisten genutzten Stores, Flathub, mehr. Diese Komponenten lassen sich zwar sehr wohl noch nachinstallieren, aber es ist halt alles etwas umständlicher.

Wirklich relevant ist diese Änderung aber aus einer anderen Perspektive. Bisher hatten einige der offiziellen Ubuntu-Varianten – also jene "Flavors", die etwa andere Desktops verwenden – zum Teil Flatpak favorisiert. Das wurde ihnen nun offiziell verboten. Nur um auch das klarzustellen: Andere Ubuntu-basierte Distributionen können dieses Thema natürlich weiterhin für sich entscheiden, das Ganze soll vor allem Signalwirkung haben.

Schon beim ersten Start wird das Snap-Angebot beworben.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Ein Blick auf die aktuelle Realität

In Ubuntu 23.04 ist die Nutzung von Snaps in der Default-Installation bisher noch überschaubar. Schon seit einiger Zeit wird Firefox als Snap ausgeliefert, auch das hatte dereinst für viel Kritik gesorgt. Zumindest muss bescheinigt werden, dass Mozilla und Canonical gut nachgearbeitet haben, um einen zentralen Kritikpunkt auszuräumen. Mittlerweile startet das Firefox-Snap erheblich flotter als in früheren Versionen.

Ansonsten wird eigentlich nur die Ubuntu Softwarezentrale selbst, die genau genommen eine Abspaltung von Gnome Software ist, von Haus aus als Snap-Paket eingerichtet. Wichtiger ist da schon ein anderer Umstand: Wer über die Softwarezentrale neue Programme nachinstallieren will, bekommt von Haus aus das passende Snap-Paket angeboten. Zwar ist es sehr wohl weiterhin möglich, klassische Deb-Pakete via Ubuntu Software zu installieren, das ist aber eben nicht mehr die Default-Wahl.

So viele kleine Bugs

Generell steht es Canonical natürlich zu, solche Entscheidungen zu treffen, und die Parallelität von zahllosen unterschiedliche Paketformaten und -quellen ist für die meisten Nutzer tatsächlich eher verwirrend als hilfreich. Gleichzeitig wäre aber wünschenswert, dass man dann die Snap-Integration wenigstens ordentlich abwickelt. Genau das ist hier nämlich nicht der Fall, die Zahl an Fehlern, die sich in dieser Hinsicht im Test zeigten, ist einigermaßen verblüffend.

Beim Firefox-Eintrag in der Ubuntu Softwarezentrale stimmt gleich einiges nicht.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Das fängt damit an, dass Firefox zwar in der Liste der installierten Anwendungen – korrekt – angezeigt wird, wenn man dann auf die Detailinformationen geht, wird aber wieder ein "Installieren"-Knopf angeboten, als wäre die Software noch gar nicht eingerichtet. Noch verblüffender ist, dass in eben jener Detailansicht Firefox 112 als neueste verfügbare Version angezeigt wird, während in Wirklichkeit Firefox 111 installiert war – und auch nach mehrfachem Auffrischen der Softwareinformationen kein Update angezeigt wurde. Dazu passt dann irgendwie, dass Firefox nicht nur in der Beschreibung klein geschrieben wird, sondern auch das zugehörige Icon fehlt.

Hat sich das mal wer angesehen?

Amüsanter wird es dann noch bei einigen anderen der vorinstallierten Programme. So werden bei diesen nicht nur oft statt Screenshots Fehlergrafiken dargestellt, es wird auch immer wieder behauptet, dass es für diese keine deutschsprachige Übersetzung gibt – obwohl das falsch ist. Das mag zum Teil daran liegen, dass es viele der Gnome-Programme gar nicht im Snap Store gibt – und selbst wenn, dann oft nur in veralteten Versionen.

Die Screenshots mögen hier fehlen, das dafür aber in doppelter Ausführung.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD
Gibt es denn keine Übersetzung? Das Programm selbst widerspricht den Behauptungen von Ubuntu Software.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

All das sind zugegeben Kleinigkeiten, aber in Summe dann doch so viele, dass schnell die Frage aufkommt, wieso das beim Testen niemandem aufgefallen ist. Vor allem zeigt das, dass die Anbindung an Snap offenbar noch nicht ganz so reibungslos funktioniert, wie es sein sollte. Zum Vergleich: Bei der Flathub/Flatpak-Integration von Fedora oder anderen Distributionen gibt es diese Probleme nicht.

Viel mit dabei

Ansonsten liefert die Softwareauswahl weitgehend Bekanntes, allen voran Libreoffice, das hier in der Version 7.5 enthalten ist. Allgemein könnte man sich allerdings die Frage stellen, ob wirklich jedes dieser Programme vorinstalliert werden muss. So nützlich etwa der Remote-Desktop-Client Remmina ist, die meisten werden diesen nie benötigen. Ähnlich sieht es beim Bittorrent-Client Transmission und dem ohnehin schon lange vor sich hinwelkenden Webcam-Tool Cheese aus.

Positiv fällt hingegen auf, dass die Softwareausstattung für Ubuntu-Verhältnisse ungewohnt aktuell ist. So gibt es etwa mit Linux 6.2 den aktuellsten Kernel, auch die GCC 13 oder Python 3.11 werden geliefert. Und auch mit den alternativen Desktop-Flavors wie Kubuntu und Xubuntu ist man mit KDE Plasma 5.27 und Xfce 4.18 ebenfalls auf dem neuesten Stand.

Einige der vorinstallierten Programme in Ubuntu 23.04.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Support

Eine wichtige Anmerkung noch in Hinblick auf den Software-Support: Bei Ubuntu 23.04 handelt es sich um keine "Long Term Support"-Version. Das heißt, die Update-Versorgung ist auf neun Monate beschränkt, danach muss man also auf den Nachfolger Ubuntu 23.10 aktualisieren. Wem das eine zu rasche Abfolge ist, der sollte besser auf die nächste LTS warten, die dann für April 2024 ansteht – und solange bei Ubuntu 22.04 ausharren.

Fazit und Ausblick

Ubuntu 23.04 bringt einige durchaus nützliche Verbesserungen am Desktop, für die Zukunft relevanter ist aber die richtungsweisende Ansage in Hinblick auf Snap. Diese mag nicht allen gefallen, schafft aber zumindest klare Verhältnisse. Und das heißt auch: Wer mit Snap und Canonicals diesbezüglichen Alleingängen nichts anfangen kann, sollte sich besser früher als später nach einer Alternative umsehen.

Immerhin ist davon auszugehen, dass Canonical früher oder später immer mehr Programme als Snap vorinstalliert und dann den eigenen Support für die klassischen Pakete einstellt. So ist es schließlich bereits bei Firefox passiert. Ein nächster logischer Kandidat wäre Libreoffice, bei dem der Wartungsaufwand für Distributionen ebenfalls signifikant ist – und von dem es eine von den Entwicklern selbstgewartete Version im Snap Store gibt. Insofern darf mit Spannung erwartet werden, wie es mit Ubuntu 23.10 und vor allem dann auch Ubuntu 24.04 LTS in dieser Hinsicht weitergeht. (Andreas Proschofsky, 20.4.2023)