Österreichs Spitäler sind heillos überlastet. Die Versorgungssicherheit steht auf dem Spiel, warnen Experten.

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Die Zustände in den heimischen Spitälern verschlechtern sich zusehends. Zuletzt warnten Oberärztinnen und Oberärzte in der Wiener Klinik Ottakring wegen Personalabgängen vor einem temporären Ausfall der Zentralen Notaufnahme im Sommer. In einer aktuellen Gefährdungsmeldung aus dem früheren Wilhelminenspital, die dem STANDARD vorliegt, wurde darauf verwiesen, dass es bereits mehrfach "aufgrund des Ressourcenmangels zu einer vermeidbaren Gefährdung und Schädigung von Patientinnen und Patienten" kam.

In der Klinik Donaustadt muss die gesamte Neurochirurgiestation wegen eines massiven Mangels an Pflegekräften schließen. Ab Juni oder spätestens Juli übersiedeln zwölf der 15 Betten in die Notaufnahme und sollen dort betrieben werden. Die Umordnung der Betten ist nur möglich, weil die Notaufnahme aktuell noch nicht in Vollbetrieb ist. Eine Neurochirurgie, die aufgrund von Personalengpässen nicht mehr wie bisher bekannt betrieben werden könne, sei ein Novum und "präzedenzlos", wie Lothar Mayerhofer, der ärztliche Direktor des früher Donauspital genannten Krankenhauses, sagte. Knapp 200 der 940 Betten im Spital sind aktuell gesperrt.

Gesundheitssystem in der "Abwärtsspirale"

Der Mangel vor allem an Pflegekräften beschäftigt mittlerweile immer mehr Spitäler in Österreich. Im Kepler-Universitätsklinikum Linz etwa können knapp zehn Prozent der Betten nicht betrieben werden. Hellmut Samonigg, der Rektor des Universitätsklinikums Graz, sprach bereits Ende Jänner von einer "bedrohlichen" Lage.

Am Mittwoch sagte Samonigg, dass sich das österreichische Gesundheitssystem in einer "Abwärtsspirale" befinde. Wenn die Politik, aber auch die Standesvertretung nicht rasch erkennen, dass die medizinische Versorgungslage in hohem Maße gefährdet sei, und nicht rasch eingegriffen werde, drohe das "System zu kollabieren", wie er im Gespräch mit dem STANDARD ausführte.

Die ärztlichen Verfasser der Gefährdungsanzeige aus der Klinik Ottakring sehen die Situation noch dramatischer. Mit Verweis auf den Fachkräftemangel in der Pflege und die Überlastung des bestehenden Pflegeteams wird auf einen "nicht nur drohenden, sondern bereits bestehenden Zusammenbruch" der ausreichenden Patientenversorgung verwiesen.

Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) will im Zuge der aktuell laufenden Finanzausgleichsverhandlungen für eine Stärkung des ambulanten Bereichs sorgen. Es gehe darum, insgesamt die Personalsituation zu verbessern. Rasch sei dies nicht möglich. "Wir können den gesamten Personalbedarf in Österreich nicht abdecken."

Ärztinnen und Ärzte: die große Abwanderung

Grafik: Fatih Aydogdu

Die Debatte über einen bedrohlichen Ärztemangel wird seit längerem geführt. Dabei gibt es de facto genügend Ärzte und Ärztinnen: Sie sind nur nicht alle dort, wo sie gebraucht werden. Das Bild ist sehr differenziert zu betrachten. In weiten Teilen fehlen etwa Anästhesisten, viele Stellen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind vakant. Das Grazer Medizinische Universitätsklinikum wiederum verfügt über genügend medizinisches Personal, in anderen Spitälern des Landes hingegen wandern Ärzte aus den Krankenhäusern scharenweise ab. Nicht nur in der Steiermark. Aber wohin? Noch existieren keine genaueren Verlaufsuntersuchungen, aber zumindest Hinweise, dass sich viele im niedergelassenen Bereich als Wahlarzt oder Wahlärztin etablieren. Manchen steigen auch komplett aus dem medizinischen Sektor aus, weil sie den ständig steigenden Druck nicht länger aushalten wollen.

Ein Aspekt ist ebenfalls nicht zu unterschätzen: Die Zahl der Mediziner, die nur noch 50 oder 75 Prozent arbeiten, nimmt stetig zu, was sich natürlich ebenfalls auf die Versorgungssituation in den Krankenhäusern auswirkt. Laut einer Umfrage im Auftrag der Wiener Ärztekammer denken zwei Drittel der Spitalsärztinnen und Spitalsärzte regelmäßig an einen Jobwechsel. Für den Rektor der Grazer Med-Uni, Hellmut Samonigg, hat die Covid-Pandemie auch zu erheblichen "mentalen Auswirkungen" geführt. "Viele sind verunsichert: Wie viel bin ich noch bereit über die Routine hinaus zu arbeiten? Das sind Fragen, mit denen wir uns auch beschäftigen müssen. Die Work-Life-Balance hat ganz neue Dimensionen angenommen", sagt Samonigg. Und das bekämen eben auch die Spitäler zu spüren.

Pflegerinnen und Pfleger: Bedingungen unattraktiv, geringer Lohn

Der Engpass in der Pflege ist schon seit längerem bekannt. Im Verlauf der enorm herausfordernden Corona-Jahre hat sich das Problem aber dramatisch verschärft. Nun ist die Pandemie vorüber, weiterhin müssen aber in Wien hunderte Betten in den Spitälern gesperrt werden, weil es zu wenige Pflegekräfte gibt. Als Gründe für den Wechsel weg von schwierigen Diensten im Spital wird neben den Arbeitsbedingungen am Limit oft auch die zu geringe Entlohnung genannt.

Die Auswirkungen sind immens: In der Klinik Donaustadt etwa würde es zwar genug Ärztinnen und Ärzte geben, um die Neurochirurgie-Station zu betreiben, bestätigt Lothar Mayerhofer, der ärztliche Direktor des Krankenhauses. Aktuell sind aber nur 13 der 19 Pflegedienstposten besetzt. Dem Wiener Gesundheitsverbund (Wigev) ist es nicht gelungen, für Nachbesetzungen zu sorgen. Die Station muss also im Juni oder spätestens Anfang Juli geschlossen werden, der Großteil der Betten übersiedelt als Notlösung in die Notaufnahme. Dort können Diensträder – mit den Pflegekräften aus der Neurochirurgie – noch besetzt werden.

Im Wigev sind aktuell, exklusive AKH, 545 Stellen in der Pflege offen. Bei den Ärztinnen und Ärzten sind es 134 offene Positionen. Der städtische Spitalsträger verweist auf einen überregionalen Fachkräftemangel. Dazu komme die demografische Entwicklung: Während sukzessive zahlreiche Fachkräfte ins Pensionsalter kämen, nehme der Bedarf an medizinischen Leistungen angesichts einer alternden Bevölkerung zu. Die Ausbildungsplätze in der Pflege seien massiv ausgeweitet worden. Zudem wird auch international versucht, Pflegepersonal anzuwerben.

Patientinnen und Patienten: Gekürzte Betreuungszeiten

Grafik: Fatih Aydogdu

Jene, um die es in der Krise des Gesundheitssystems eigentlich gehen sollte, scheinen als Nebendarsteller am Rande zu stehen – oder, um im Bild zu bleiben, zu "liegen": die Patientinnen und Patienten. Im Zentrum der Debatte tun sich die Standesvertreter, die Manager der Spitalsgesellschaften und die lokalen Politiker, die die Sache eher herunterspielen, hervor. Nur vereinzelt melden sich Betroffene bei den Ombudsstellen oder Redaktionen der Medien und schildern ihre Erfahrungen mit dem System. Da ist von Fehldiagnosen die Rede, von abgesagten OPs, stundenlangen Wartezeiten für eine Aufnahme in ein Spital, da kein Bett frei ist. Patienten werden, wenn sie aufgenommen wurden, "durchgeschleust" und – mit all den drohenden Folgewirkungen – rasch wieder nach Hause überstellt. Die Betreuungszeiten im Spital werden drastisch verkürzt. Patienten und Patientinnen treffen zudem auf völlig übermüdetes Personal.

Sollte diese Versorgungskrise nicht rasch entschärft werden, potenziert sich die Problemlage – mit überaus schwerwiegenden Folgen für die Patienten. Das beginnt bei der Erst- und Notaufnahme, und das trifft vor allem die Zentralspitäler wie etwa das AKH oder die Universitätsklinik Graz, die Patienten nicht abweisen dürfen. Andere Häuser können, wenn sie belegt sind, jedoch an die zentralen Einheiten weiterdelegieren. Wenn allerdings auch in den zentralen Einheiten weiter wegen der massiven Unterbesetzung im Pflegesektor Betten gesperrt werden und auch die Arbeit im Intensivbereich nur noch eingeschränkt aufrechterhalten werden kann, stehen die Spitäler mit ihren Patienten vor einem kaum noch lösbaren Dilemma. (David Krutzler, Walter Müller, 19.4.2023)