Das Innenleben moderner Autos ist geprägt von stärkerer Rechenleistung und immer mehr Funktionen, auch der Unterhaltung dienend.

Foto: Mercedes Benz Österreich

Beim Autofahren E-Mails beantworten, ein Videospiel spielen oder ein Nickerchen machen. Das Thema autonomes Fahren ist auch dank Tesla-Chef Elon Musk laufend im Gespräch. Dabei sind manche deutsche Hersteller weiter als die US-Konkurrenz. Ein Beispiel dafür ist Mercedes: "Jeder einzelne Mercedes wird in wenigen Jahren einen Supercomputer in sich haben", ließ Mercedes-Benz-Chef Ola Källenius kürzlich die Öffentlichkeit wissen. Tatsächlich ist die Verschmelzung zwischen Automobilherstellern und Tech-Konzernen ein Trend, der die stärkere Technisierung moderner Fahrzeuge unterstreicht.

So stellen Hersteller wie General Motors, Renault, Nissan und Ford in ihren Fahrzeugen künftig auf das Google-Paket Google Automotive Services (GAS) um, das unter anderem Karten- und Sprachassistenzdienste beinhaltet. Auch bei Mercedes hat man mit Google einen Deal, um beispielsweise die Navigation auf ein "neues Level" zu heben.

Architekten der Zukunft

Michael Hafner, der seit 21 Jahren in der Branche arbeitet, ist Head of MBOS Base Layer und MBUX bei Mercedes-Benz in Sindelfingen, Deutschland. Hinter den kryptischen Bezeichnungen steht einmal das Daimler-Betriebssystem MBOS und einmal das Multimediasystem MBUX, das mit künstlicher Intelligenz ausgestattet den Fahrer unterstützen soll. Im Gespräch mit dem STANDARD erklärt Hafner, dass man bei Mercedes schon seit Jahrzehnten Software entwickle. Die Einführung eines eigenen Betriebssystems, MBOS, würde hier aber noch viel mehr Möglichkeiten bieten.

Man könne das mit dem Bau eines Hauses vergleichen, sagt Hafner. MBOS sei das Fundament, um besser mit Partnern in der Entwicklung im Umfeld Software zusammenarbeiten zu können: "Wir wollen nicht jede Zeile Code selber schreiben, sondern als Architekten mehr die Grundgerüste schaffen, einige relevante Bausteine auch selbst programmieren, aber gleichzeitig offen bleiben, um mit den richtigen Partnern die Bebauung des Hauses machen zu können." Einer davon wird künftig das US-Unternehmen Google sein, da dieses "hohes Vertrauen beim Kunden genießt". Abgesehen von den damit verbundenen Vorteilen einer laufend aktualisierten Software, beispielsweise Google Maps, würde die Integration darüber hinaus auch mit anderen Bereichen wie den Fahrerassistenzsystemen und dem autonomen Fahren funktionieren.

Michael Hafner, Head of MB.OS und MBUX, freut sich auf Kooperationen mit anderen Tech-Firmen.
Foto: Mercedes Benz

Das selbstfahrende Auto

Autonomes Fahren ist generell ein vieldiskutiertes Thema in der Branche, auch bei Mercedes. Hafner betont, dass der Mitbewerb laut dem US-amerikanischen Regelsetzer SAE derzeit noch auf Level zwei agiert, also das Fahrzeug eine Lenkunterstützung erhält beziehungsweise bremst und beschleunigt. Autonom ist das Auto hier noch nicht, da der Fahrer in Verantwortung bleibt.

Bei den deutschen Herstellern ist das anders. Allein bei Mercedes sei man hier bereits auf Level drei, also hochautomatisiert. "Ab hier kann das Fahrzeug in verschiedenen Fahrsituationen die Fahraufgabe übernehmen und sich der Lenker auch mit Nebentätigkeiten beschäftigen", sagt Hafner. Darüber hinaus gibt es noch die Vollautomatisierung, die streng genommen erst die Bezeichnung autonom verdient. Hier kann man laut Hafner ganze Fahrtabschnitte dem Fahrzeug überlassen, und der Fahrerin ist sogar ein Nickerchen im Auto gegönnt. Vom Antrieb ist diese Implementierung unabhängig. Wichtig sei, dass ein Redundanzkonzept für das Fahrzeug umsetzbar ist: Wenn ein System ausfällt, muss es ein anderes geben, das einspringen kann.

Dank immer stärker werdender Rechenleistung würde auch das Entertainmentsystem im Auto laufend mehr Möglichkeiten bieten. Schon jetzt gibt es bei mehreren Herstellern Beifahrerdisplays oder in manchen Modellen Bildschirme für die Rückbänke, die etwa mit Videodiensten bespielt werden können und auch Gaming und Webkonferenzen zulassen. Im eigenen Haus testet Hafner diese Systeme laufend. "Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man es speziell bei Ladevorgängen sehr zu schätzen weiß, wenn es ein Entertainmentsystem gibt", sagt er. Aufgrund all dieser Möglichkeiten würde sich das Konzept Auto immer stärker auf Software stützen, egal ob im Auto selbst oder via Cloud.

Die mit den neuen Systemen gesammelten Daten würde man natürlich datenschutzkonform behandeln – ein Versprechen, das alle Hersteller unisono den Kundinnen regelmäßig mitteilen. Die gesammelten Daten seien in jedem Fall hilfreich, um die Qualität des Benutzererlebnisses zu erhöhen, da man so Funktionen weiter verbessern könne. Die Sammlung dieser Daten geschehe in der Regel anonymisiert. "Data-Privacy ist ein hohes Gut", betont Hafner.

Die Hand am Lenkrad lassen

Bei all der Technisierung möchte der gelernte Elektrotechniker auch in zehn Jahren noch die Möglichkeit haben, bei Bedarf selbst Hand ans Steuer anzulegen. Die zunehmenden Komfortfeatures begrüßt aber auch Hafner. Während der Fahrt nach Hause noch die letzten E-Mails beantworten können, um am Abend in Ruhe Zeit mit der Familie verbringen zu können, das sei in jedem Fall ein Ziel, an dem er begeistert arbeite.

Autos entwickeln sich zunehmend zu fahrenden Computern. Dabei geht es um Navigation, aber auch um Entertainment in Form von Filmen und Videospielen. Und auch das Rennen um die Zukunft des selbstfahrenden Autos ist längst noch nicht entschieden. (Alexander Amon, 20.4.2023)