Bei einem Dutzend Wissenschaftern und Unternehmenslenkern ließen sich Bundeskanzler Karl Nehammer und Wirtschaftsminister Martin Kocher die Herausforderungen für die Transformation der Industrie erklären.

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Wien – Der hohe Exportanteil der heimischen Autozulieferindustrie ist Chance und Bürde zugleich. Denn im Lichte des Aus für Autoneuzulassungen mit Benzin- oder Dieselantrieb im Jahr 2035 brechen der österreichischen Fahrzeugindustrie wesentliche Absatzmärkte weg, allen voran Deutschland. Zu den deutschen Automobilherstellern gehen mehr als 70 Prozent der von der österreichischen Kfz-Industrie hergestellten Motor- und Fahrzeugteile – und sie stehen vor demselben Problem. Spuren die Autobauer, wie angekündigt, auf Elektroautos um, brauchen die Austro-Zulieferer neue Abnehmer in aller Welt.

Damit ist klar: Die Ausgangsposition für die grüne Wende in der Autoindustrie ist extrem schwierig, um nicht zu sagen: schlecht. Denn zwar werden nach 2035 weiterhin weltweit gut eine Milliarde Diesel- und Benzinfahrzeuge herumkurven, allein in Europa wird sich deren Zahl aber auf 250 Millionen Fahrzeuge nahezu halbiert haben.

Der Niedergang von Europas Kernkompetenz, dem Automobil mit Verbrennungsmotor.

"Dieser gesättigte europäische Markt wird auf Dauer nicht ausreichen, um die bestehenden Kapazitäten der europäischen Produktionsstätten auszulasten", sagt der Chef des Forschungsinstituts Fraunhofer Austria Research, Wilfried Sihn. "Der Kuchen wird kleiner, und von diesem kleineren Kuchen brauchen die österreichischen Hersteller ein größeres Stück."

Bedeutungsverlust

Das wird eine Herausforderung. Wohl werden sich mit der Produktion hochqualitativer Komponenten für den Export außerhalb der EU, etwa für Premiumfahrzeuge, weiter gute Geschäfte machen lassen, ein Wachstumsmarkt sei dies aber nicht. Österreich werde dadurch Schritt für Schritt an Bedeutung für die globale Produktion verlieren.

Denn die Hersteller werden die Produktionskapazitäten für Verbrennungstechnologie nicht komplett aufgeben, aber sie werden diese in Marktnähe verlagern, etwa in den wachstumsstarken asiatischen Markt. "Der Nabel der Automobilwelt wird wohl Asien werden", sagte Sihn im Gespräch mit dem STANDARD. "Es braucht deshalb rasch eine aktive Gestaltung dieser Transformation, sowohl seitens der Unternehmen als auch der Politik. Ohne Ausweichstrategien stehen hohe Wertschöpfung und potenziell tausende Arbeitsplätze auf dem Spiel."

Düstere, aber nicht hoffnungslos

Die mit dem Fit-for-55-Programm der EU, mit dem sich der europäische Binnenmarkt bis 2055 Klimaneutralität verordnet hat, einhergehenden Umwälzungen werden tiefgreifend sein. Das von Forschern von Fraunhofer Austria Research in einer Studie über die Transformation der österreichischen Fahrzeugindustrie gezeichnete Bild sieht düster aus: Von den fast 40.000 direkt in Kfz- und verwandten Industrien Beschäftigten wird bis 2035 gerade einmal ein Drittel übrig bleiben. Indirekt hängen an der Automobilindustrie im weitesten Sinn geschätzt 120.000 Arbeitsplätze. Wie viele von ihnen hin zu Elektromobilität oder in andere Branchen wie Elektro- und Energietechnik transformiert werden können, das ist die große Herausforderung.

Von den Arbeitsplätzen in der Kfz-Industrie bleibt mit dem Umstieg auf Elektromobilität nur ein Bruchteil übrig. Für die neuen Jobs braucht es Ausbildung – und Kreativität.

Aber die Lage sei nicht hoffnungslos, betont Studienautor Sihn, einer der Teilnehmer am Autogipfel, zu dem Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Mittwoch ins Kanzleramt geladen hat. Herzeigbare Ergebnisse oder gar eine Strategie, wie Österreich den großen Umwälzungen begegnen könnte oder sollte, brachte der Gipfel mit einem Dutzend Wissenschaftern und Industrie-Bossen aber nicht.

Wenn Europa 2035 aufhöre, Autos mit Verbrennungsmotor zu verkaufen, blieben weltweit noch mehr als eine Milliarde Verbrenner auf den Straßen. "Die müssen wir sauber kriegen", sagt der Fraunhofer-Experte und pocht auf Technologieoffenheit, die sich Europa unbedingt erhalten sollte.

E-Fuels ohne Zukunft

Synthetische Kraftstoffe, sogenannte E-Fuels, dürften dabei bestenfalls eine untergeordnete Rolle spielen. Sie sind energieintensiv in der Herstellung und werden Branchen vorbehalten sein, für die es keine elektrische Alternative gibt, etwa der Flugindustrie.

Wie diese Transformation im Detail aussehen kann? Das müsse jedes Unternehmen selbst herausfinden und auch initiieren. Ein Hersteller von Verrohrungssystemen für Kühlung und Heizung von Motoren und Getrieben könnte sich beispielsweise auf in anderen Bereichen verwendete Kühlsysteme spezialisieren und ausdehnen.

Nicht minder essenziell für das Gelingen der Transformation seien Bildung und Ausbildung, betont Fraunhofer-Austria-Chef Wilfried Sihn. Ohne Umschulungen und Ausbildung der Beschäftigten könne dieser Wandel nicht bewerkstelligt werden und Arbeitsplätze und mit ihnen wertvolles Know-how gingen verloren.

Rennen ums Geld

Förderungen aus Brüssel und nationale Subventionsprogramme für diese dringende, unvermeidliche Transformation wurden inzwischen in Milliardenhöhe aufgesetzt. Wie geschmiert läuft es dabei freilich nicht. Das zeigte sich Ende März bei einem Treffen der Kraftfahrzeugindustrie mit Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP). Dort wurde nicht nur das Rennen ums Geld eröffnet, wie es Teilnehmer schildern. Es wurde vor allem klar, dass es für Investitionen in neue Anlagen zur Herstellung "grüner" Mobilitätskomponenten nicht ansatzweise so viel Förderung gibt wie angekündigt.

Der neben diversen Green- und Dekarbonisierungsförderprogrammen eigens für die grüne Wende in der Sachgüterindustrie geschaffene Net Zero Industry Act lasse viele Wünsche offen, heißt es in der Industrie. Als eine von mehreren Antworten auf den als protektionistisch und wettbewerbsverzerrend kritisierten Inflation Reduction Act der USA mit massiven Investitionsförderungen für die US-Industrieproduktion sei der Net Zero Industry Act der EU restriktiv, was die Beihilfen betreffe.

Industriepolitische Wende

Für Österreich viel zu restriktiv, beklagt die Industrie. Zwar gebe es Förderungen für Investitionen in Energieanlagen, E-Lade- und Wasserstoffstationen, der Umbau von Industrieanlagen hin zur Produktion von grüner Technologie statt Verbrenner werde aber außen vor gelassen. Batteriefabriken hingegen können gefördert werden.

Das sieht man im Wirtschaftsministerium ähnlich. Der Beihilfenrahmen sei "zu restriktiv", heißt es. Aber man sieht noch Spielraum für "Anpassungen". Es brauche Rahmenbedingungen, um auch die "industriepolitische Zeitenwende" zu schaffen und den Industriestandort Österreich und Europa zu stärken.

Generationswechsel

Ein Turbo für die Transformation dürfte übrigens der anstehende Generationswechsel in zahlreichen leitbetrieben der österreichischen Kfz-Industrie sein, er mindert die Verbundenheit mit dem Standort Europa. Der Autozulieferer Magna etwa baut in Kanada massiv Elektroaktivitäten aus. Auch Audi spielt mit dem Gedanken, ein E-Auto-Werk in den USA zu bauen. Auf der Strecke blieben dann Werke in der EU. Die anstehenden Investitionsentscheidungen in der Industrie sind langfristig, haben lange Vorlaufzeiten.. Mit einseitig gedachter Technologiepolitik liefen Volkswirtschaften Gefahr, "einen Stellenabbau mit gravierenden sozialen Folgen in anderen Technologiebereichen auszulösen", heißt es in der Fraunhofer-Studie. (Luise Ungerboeck, 20.4.2023)