Serbien gilt als Russland-Verrbinder, medial wie politisch: Putin und Staatspräsident Aleksandar Vučić bei einem Treffen im Jahr 2019.

Foto: Darko Vojinovic, AP

In keinem anderen europäischen Land – wahrscheinlich mit Ausnahme von Belarus – wird eine derartige Kreml-Propaganda betrieben wie in Serbien. "Russland hat die militärische Sonderoperation nicht gestartet, weil es wollte, sondern weil es musste", verkündete etwa ein "Experte" im serbischen TV-Sender Happy erst im Februar. "Es geht darum, dass die Ukraine eine Führung bekommt, die begonnen hat, faschistische Agenden in der Ukraine umzusetzen und das russische Volk, das über 30 Prozent der Bevölkerung ausmacht, zu eliminieren. Russland und Putin, die wir immer wieder erwähnen, ertragen diese Gräueltaten gegen die Bevölkerung seit acht Jahren", sagte ein pensionierter serbischer General in TV Pink vor einem Monat.

Gleichzeitig wird Stimmung gegen die EU gemacht: "In der EU gibt es keine Meinungsfreiheit, in Serbien gibt es immer noch eine gewisse Meinungsfreiheit. In Russland gibt es noch mehr", sagte eine Journalistin kürzlich in TV Happy. Und im gleichen Sender wurde verkündet: "Ich denke, je mehr sie Putin dämonisieren, desto mehr Unterstützung hat er. Dasselbe gilt für Serbien, 85 Prozent oder 87 Prozent der Serben sind für Russland und gegen die EU." Ein anderes Mal hieß es: "Dieses Imperium, das Imperium von Brüssel, wird unter anderem wegen des Unsinns, den sie auf dem Balkan abgezogen haben, auseinanderfallen. Die einzige Stimme der Vernunft aus der Europäischen Union ist Viktor Orbán."

67 Prozent prorussisch

Prorussische Narrative sind seit Jahren in den meisten serbischen Mainstreammedien präsent. Laut einer vom National Democratic Institute (NDI) im Juli 2021 veröffentlichten Studie war Serbien das einzige Land auf dem Westbalkan mit einer vorherrschend positiven Meinung von Russland (67 Prozent). Dies schafft auch ein Umfeld, in dem prorussische Propaganda profitabel ist, Medien fördern seit Jahren den Kult um den russischen Präsidenten: Er wird als Beschützer der Serben und Serbiens dargestellt. Kein Wunder, dass die Bürgerinnen und Bürger Serbiens im regionalen Vergleich die negativste Einstellung gegenüber der EU haben.

Weil Serbien schon seit Jahren wegen der mangelnden Pressefreiheit und der Demokratiedefizite als "hybrides Regime" eingestuft wird, ist die Pro-Kreml-Propaganda noch effektiver. Die serbischen Medien, die unter der Kontrolle des Regimes von Präsident Aleksandar Vučić stehen, werden aber nicht nur vom Staat gefüttert, sondern auch von Unternehmen, unter anderem auch aus Österreich.

Schalten nach Reichweite

Die deutsche Supermarktkette Lidl schaltet in Serbien die meisten Anzeigen eines ausländischen Unternehmens. Raša Nedeljkov der NGO Zentrum für Forschung, Transparenz und Rechenschaftspflicht (CRTA), die Demokratiedefizite analysiert, wünscht sich mehr politisches Fingerspitzengefühl, auch von Unternehmen in der EU: "Die Marke und Legitimität europäischer Unternehmen wird hier an Medien gebunden, die Desinformation verbreiten und die serbische Demokratie untergraben", moniert er.

Ohne die Unternehmen aus der EU wären die Medien demnach zurzeit gar nicht finanzierbar. Über 60 Prozent der Werbung kommen laut CRTA aus der EU, den USA oder der Schweiz. "Ohne das Geld der westlichen Unternehmen wäre die serbische Propagandamaschinerie nicht machbar", sagt Nedeljkov.

Der STANDARD hat einige österreichische Unternehmen kontaktiert, die in serbischen Propagandamedien, sei es Fernsehen oder Print, Werbung schalten. Dem STANDARD liegen Daten über den Wert der Werbeschaltungen der österreichischen Unternehmen vor, die Unternehmen verweisen aber alle darauf, dass die tatsächlichen Preise niedriger seien.

Medienkooperationen

Die Versicherung Uniqa verweist so wie viele andere österreichische Unternehmen darauf, dass es ihr nur darum gehe, "möglichst hohe Reichweite in der jeweiligen Zielgruppe zu erlangen". Weiters heißt es von der Uniqa: "Uns ist bewusst, dass Massenmedien eine wesentliche Rolle in und für eine Demokratie spielen. Wir schätzen und unterstützen ihre Funktion, die Bürger:innen gemäß dem Grundsatz der Objektivität zu informieren sowie Kontrolle und auch Kritik auszuüben. Unser Anliegen ist es daher, in jenen Medien Werbung zu schalten, die diese Aufgaben im Sinne einer pluralistischen Demokratie wahrnehmen. Daher evaluieren wir auch laufend mit unserer Mediaagentur, in welchen Medien wir Werbung schalten."

Die Uniqa gibt an, "aus den oben beschriebenen Gründen" im Jahr 2022 mit dem "Kurir" Medienkooperationen durchgeführt zu haben. Nun wird aber gerade im "Kurir" besonders viel Desinformation betrieben. Laut CRTA enthält die Hälfte der Nachrichten in den Onlineausgaben der Boulevardzeitungen "Alo" und "Kurir" Desinformation.

Ausschließlich kommerzielle Ziele

Auf Anfrage des STANDARD verweist auch die OMV darauf, dass man bei "Werbeschaltungen ausschließlich kommerzielle Ziele" verfolge. "Darüber hinaus mengen wir uns nicht in politische Angelegenheiten", so die Kommunikationsabteilung der OMV. Die Addiko-Bank verweist auf Anfrage des STANDARD darauf, dass man nur zu den kleineren Anzeigenkunden unter den Banken gehöre. A1 erklärt, dass man nicht bewerte, "welche politische Ausrichtung ein Medium hat, solange die Publikation den gesetzlichen Regelungen entspricht".

Von einigen Unternehmen wie der Erste Bank hat der STANDARD keine Antwort auf die Anfrage bekommen, wie man zu den Werbeschaltungen in serbischen Propagandamedien stehe. Das Unternehmen Henkel gibt an, im Privatsender Pink TV im Jahr 2022 einen niedrigen sechsstelligen Betrag für Werbemaßnahmen eingesetzt zu haben. "Damit gehören wir auch mit weitem Abstand nicht zu den größten Werbekunden des Senders", so der Henkel-Unternehmenssprecher.

Nato wird beschuldigt

"Wir achten grundsätzlich immer darauf, in welchem Umfeld unsere Werbemaßnahmen zu sehen sind. Wenn das nicht im Einklang mit unseren Werten und ethischen Grundsätzen steht, ergreifen wir entsprechende Maßnahmen", sagt Michael Sgiarovello von Henkel Österreich, das auch für Osteuropa zuständig ist, zum STANDARD. Aus diesem Grund habe man auch unmittelbar nach Kriegsbeginn in der Ukraine im Februar 2022 alle Werbemaßnahmen in Russland und im russischen Fernsehen sofort eingestellt. Zudem habe man entschieden, die gesamten Geschäfte in Russland aufzugeben. Weiters schreibt das Unternehmen dem STANDARD: "Wir haben die aktuelle Kritik an einigen serbischen Medien zum Anlass genommen, das redaktionelle Umfeld unserer TV-Werbeaktivitäten in Serbien zu überprüfen."

Laut einer Analyse des Faktencheck-Portals "Raskrikavanje" sind alle führenden Boulevardzeitungen in Serbien sowie alle kommerziellen Fernsehsender mit nationaler Berichterstattung offen regierungsfreundlich und die meisten von ihnen auch offen prorussisch. Das Hauptnarrativ ist: Der Westen wünscht Serbien Böses, und Russland verteidigt Serbien. Laut einer Untersuchung glauben auch 60 Prozent der serbischen Bürger, dass die USA und die Nato für den Krieg in der Ukraine verantwortlich seien, während nur 3,5 Prozent Russland für verantwortlich halten.

Wendepunkt Krieg gegen die Ukraine

In Serbien ist nicht nur die russische Nachrichtenagentur Sputnik seit fast zehn Jahren vertreten, sondern seit kurzem auch der Kreml-Sender RT. Die serbischen Sender TV Pink und TV Happy sind laut der NGO CRTA jene, die am häufigsten manipulieren oder auch desinformieren. TV Pink ist der meistgesehene kommerzielle Fernsehsender in Serbien und erreicht fast ein Drittel der Bevölkerung. TV Happy ist der drittgrößte Fernsehsender und erreicht rund ein Viertel der Bevölkerung.

Unter den Tageszeitungen sind "Večernje novosti" und "Informer" führend bei der Förderung des prorussischen Narrativs. Laut CRTA war der Krieg gegen die Ukraine ein Wendepunkt für TV Pink und TV Happy, die seither die russische Seite offen unterstützen. Aber nicht nur prorussische Narrative nahmen zu, sondern auch antiwestliche. So wird die russische Aggression damit gerechtfertigt, dass die Ukraine ein "Nazi-Land" sei. Abgesehen davon wird verbreitet, dass es geheime US-Biolabore in der Ukraine gebe, die die Vernichtung "der Russen" vorbereiten würden.

"Gegner von allem Normalen"

Ähnlich wie bereits im Krieg gegen Bosnien-Herzegowina (1992–1995) wird in Serbien verbreitet, dass die Ukraine Opfer fabriziere, die es gar nicht gebe. Bis heute wird in Serbien ja auch der Völkermord an Muslimen in Bosnien-Herzegowina geleugnet. Serbien wird zurzeit in den Propagandamedien als das "das einzige Land in Europa" dargestellt, das sich nicht an dem "Kreuzzug" gegen Russland beteilige.

Im Jänner gab ein Regisseur und ehemaliger Kommandeur paramilitärischer Kräfte in Pink TV bekannt: "Jetzt kämpfen wir ums Überleben, unterdrückt von dieser apokalyptischen Gruppe jener antirussischen Kreuzritter, die uns als Hindernis sehen, ein Ärgernis, das zerstört werden muss. Und am schlimmsten ist, dass diejenigen, die Russland lieben, die sich dieser Russophobie widersetzen, nicht erkennen, dass sie im Dienste dieser Gegner Russlands, Gegner Serbiens, Gegner von allem Normalen in dieser Welt stehen." (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 21.4.2023)