Für Wettbewerb – und die Vereinbarkeit von staatlichen Beihilfen mit EU-Recht – zuständig: EU-Kommissarin und -Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager.

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Das neue ORF-Gesetz mit einer ORF-Abgabe für alle und deutlich mehr digitalen Möglichkeiten für den ORF ist auf den letzten Metern vor der Begutachtungsphase – und es steht damit, wie es aussieht, vor der nächsten EU-Beschwerde privater Medienhäuser gegen die Republik in Sachen ORF. Verlegerverband VÖZ kündigt gegenüber dem STANDARD rechtliche Schritte bei "unverhältnismäßiger Ausdehnung des ORF-Finanzrahmens" an.

EU-Beschwerden aus Finnland und Dänemark

Zuletzt setzte der finnische Medienverband mit einer Beschwerde Online-Textbeschränkungen für den Öffi-Funk YLE durch; Dänemarks private Medien haben sich in Sachen Textlimits für DR ebenfalls an die EU-Kommission gewandt.

VÖZ: "Rechtliche Schritte" bei "unverhältnismäßiger Ausdehnung" des ORF-Finanzrahmens

"Zum derzeitigen Zeitpunkt lässt sich aufgrund der noch laufenden Verhandlungen noch keine abschließende Beurteilung zur Thematik der Haushaltsabgabe sowie zur ORF-Digitalnovelle vornehmen", sagt VÖZ-Geschäftsführer Gerald Grünberger zum STANDARD. "Nach unserem bisherigen Kenntnisstand dürfte es jedoch zu einer unverhältnismäßigen Ausdehnung des ORF-Finanzrahmens sowie zu einer Ausweitung der digitalen Möglichkeiten zulasten des Privatmarktes kommen." Falls dies so eintrete, werde der Verband Österreichischer Zeitungen "alle gebotenen rechtlichen Schritte im Interesse der privaten Medienunternehmen in Österreich ergreifen", kündigt er an.

Der Zeitungsverband und private Sender beschwerten sich bereits in den 2000er-Jahren bei der EU-Kommission, dass die Republik mit den GIS-Gebühren für den ORF und den Regelungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk den Wettbewerb mit privaten Medien verzerrt. Die EU-Kommission eröffnete ein formelles Beihilfeverfahren gegen Österreich, das mit vielen Bedingungen für ein neues ORF-Gesetz – formell ein Kompromiss mit Verpflichtungen für die Republik – endete.

Seither definiert das ORF-Gesetz den öffentlich-rechtlichen Auftrag des ORF – privaten Medien zu schwammig – und legt fest, dass der ORF nur so viel aus den öffentlichen Beihilfen – bisher: GIS-Gebühren – bekommen darf, wie er für die Erfüllung dieses Auftrags braucht. Diese Nettokosten des Auftrags berechnet der ORF, die Medienbehörde beauftragt Wirtschaftsprüfer mit der Überprüfung des ORF und prüft etwa Gebührenerhöhungen auf der Basis dieser Nettokostenberechnung.

Digitalkanäle, Werbebeschränkungen

Der ORF soll nun mit dem neuen Gesetz – DER STANDARD berichtete – künftig für Streaming produzieren dürfen (bisher nur für Rundfunk mit Abruf über sieben Tage). Dem ORF sollen Videostreamingkanäle für Sport (bisher als TV-Kanal ORF Sport Plus), für Kinder sowie für Information erlaubt werden. Zudem digitale Audiostreamingkanäle – offenbar unter relativ genau definierten Bedingungen.

Nach Forderungen privater Medien soll Radio- und Onlinewerbung im neuen ORF-Gesetz beschränkt werden. Das Verhältnis von Videobeiträgen (mit Text) und reinen Textbeiträgen soll künftig 70 zu 30 betragen. Kolportiert wird eine Beschränkung der Zahl reiner Textmeldungen ohne Video auf 80. Die ORF-Landesstudios sind schon jetzt auf 80 regionale Meldungen pro Woche beschränkt.

"Existenzielle Gefahr"

Private Verleger und Kenner der Branche wirken vom Verhandlungsstand geradezu entsetzt – der Vorarlberger Verleger Eugen A. Russ warnte vor einer "existenziellen Gefahr" für private Medien; Medienunternehmer und Medienberater Michael Graber rief zum Stopp des gerade verhandelten neuen ORF-Gesetzes auf.

Häufig sprechen Manager privater Medienunternehmen von neuerlichen Wettbewerbsbeschwerden an die EU-Kommission, öffentlich verwies zuletzt Kronehit-Geschäftsführer Philipp König demonstrativ auf das alte EU-Beihilfenverfahren und drohte mit einer Neuauflage. In der vom Gesetzesvorhaben irritierten Verlagsbranche macht die Idee inzwischen die Runde.

EU-Beschwerde für Textlimits online

Zuletzt richtete 2017 der finnische Medienverband Medialitto eine Beschwerde über das öffentlich-rechtliche Rundfunkunternehmen YLE an die EU-Kommission, berichtet Verbandsgeschäftsführer Jukka Holmberg auf STANDARD-Anfrage. Ergebnis der Beschwerde waren Beschränkungen für Online-Textangebote von YLE (DER STANDARD berichtete): YLE darf "kurze" textbasierte Agenturmeldungen publizieren, "kurze" Nachrichtenmeldungen und Breaking News, textbasierte Mitteilungen der Behörden in Katastrophen- und Notfällen, Texte in Minderheitensprachen sowie Textmeldungen über Kultur und Bildung.

Dänemarks öffentlich-rechtlicher Rundfunk DR hatte nach Auskunft von DR schon Textbeschränkungen, die zuletzt allerdings aufgehoben wurden. Der dänische Medienverband Danskemedier will aktuell nach Informationen dänischer Medien via EU-Beschwerde ebenfalls bei der EU-Kommission Textbeschränkungen für DR nach dem finnischen Vorbild umsetzen.

Freitag womöglich letzte Verhandlungen

In Österreich sollen die Regierungsparteien ÖVP und Grüne am Freitag noch einmal über das neue ORF-Gesetz mit einer Haushaltsabgabe für alle und einer Digitalnovelle für den ORF verhandeln. Klärungsbedarf gab es zuletzt noch bei den Regelungen der ORF-Abgabe für Firmen. Ist der Punkt geklärt und einigen sich ÖVP und Grüne, könnte das Gesetz kommende Woche in Begutachtung gehen. Und damit potenziell einer Beschwerde bei der EU-Kommission einen Schritt näher kommen.

Die Republik müsste den neuen ORF-Beitrag statt der GIS wohl der EU-Kommission zur Prüfung vorlegen, ob er mit den Beihilferegeln der EU vereinbar ist. (Harald Fidler, 20.4.2023)