Abnützung – Die vergangenen Wochen und Monate waren in der Ukraine von Abnützung geprägt. Keine Seite machte merkliche Fortschritte. Im Rahmen seiner Offensive hat Russland im gesamten März gerade einmal ein Gebiet von 70 Quadratkilometern erobert. In diesem Tempo würde die Eroberung der Ukraine mehr als ein halbes Jahrtausend dauern. Von den defensiven Positionen in eine Offensive zu kommen, ehe sie von russischen Truppen abgenutzt wird – das wird die große Herausforderung für die Ukraine.

Ein Soldat im Schützengraben.
Foto: REUTERS/Serhii Nuzhnenko

Brückenlegepanzer – Die Russen hatten Zeit, sich auf die ukrainische Gegenoffensive vorzubereiten. Deshalb muss man davon ausgehen, dass sie im Falle eines Vorrückens ukrainischer Kräfte Brücken sprengen. Auch Gräben gilt es für die Ukraine zu überwinden. Da kommen Brückenlegepanzer wie jene des deutschen Typs Biber ins Spiel. Mit mobilen Brücken, die vier Meter breit und bis zu 40 Meter lang sind, bieten sie etwa Schützenpanzern vom Typ Marder eine Möglichkeit zur Überquerung (der Leopard-Panzer ist zu schwer). Sechs deutsche Biber sollen bereits angekommen sein, 20 weitere befinden sich in Auslieferung.

Ein Biber-Panzer.
Foto: IMAGO/Sven Eckelkamp

Chaos organisieren – Der Militärexperte Franz-Stefan Gady schreibt in einem "Foreign Policy"-Beitrag, dass jede Militäroperation im Grunde zu organisierendes Chaos sei. Einheiten würden falsch abzweigen oder aufgrund unerwarteter Hindernisse alternative Routen nehmen. Die Kommunikation ist schwierig, die Koordination verschiedener Einheiten sowieso. Dabei den Überblick zu behalten, wer wo ist, ist trotz moderner Drohnen- und Satellitentechnologie eine Herkulesaufgabe. Wer das Chaos einer Offensive besser organisiert, hat gute Chancen zu siegen.

Drachenzähne – In der Verteidigung zählen Militärs seit dem Zweiten Weltkrieg auf höcker- oder zahnförmige Panzersperren aus Beton. Bekannt sind sie als Drachenzähne. Satellitenaufnahmen zeigen, dass die Russen bereits etliche Kilometer an Drachenzähnen entlang von Verteidigungslinien aufgestellt haben. Sie sollen Panzer in bestimmte Bahnen lenken, wo sie durch Antipanzerwaffen zerstört werden oder generell ihren Vormarsch einbremsen bzw. aufhalten.

Drachenzähne auf der Krim.
Foto: IMAGO/Sven Eckelkamp

Echelon-Formation – Die diagonale Echelon-Formation ist sowohl eine effektive Angriffs- als auch Verteidigungsformation. Satellitenaufnahmen aus dem Süden der Ukraine, vor sowie auf der Krim, zeigen, wie die mehrschichtigen russischen Verteidigungslinien – bestehend aus Drachenzähnen, Gräben, Minenfeldern und Aufschüttungen – einen ukrainischen Vorstoß aufhalten sollen. Sie zu durchbrechen ist aufwendig und zeitintensiv.

Feuerkraft – Wer kann mehr, und wer hat mehr auf Lager? Munitionstechnisch scheinen die Russen immer noch klar im Vorteil. 17 Millionen Artilleriegeschoße sollen sie laut Schätzungen vor dem Krieg in etwa gehabt haben. Mindestens zehn Millionen davon dürften bereits in der Ukraine eingesetzt worden sein. Die EU-Partner der Ukraine haben Kiew ihrerseits eine Million Schuss Artilleriemunition bis Jahresende zugesagt. Seit einigen Monaten wurde die Losung ausgegeben, die Produktion hochzufahren. Auch die USA haben zusätzliche Munitionslieferungen zugesagt. Klar ist aber, dass es im Krieg nicht nur auf die Quantität, sondern eben auch die Qualität der Feuerkraft ankommt. Diesbezüglich sollten vor allem die modernen westlichen Kampfpanzer einen Unterschied machen.

Gegenoffensive – Eine große oder viele kleine? Das ist eine Frage, die sich viele Analysten stellen – entschieden wird sie vor allem von den Verantwortlichen in der ukrainischen Kommandoriege, gemeinsam mit ihren transatlantischen Partnern. Hieß es lange, die Ukraine habe aufgrund der limitierten Munition nur "one shot", also eine Chance, es richtig hinzubekommen, so hörte man zuletzt auch vermehrt Stimmen, dass es zu mehreren wellenartigen Angriffen kommen könnte. Dies wird wohl auch vom Erfolg oder Misserfolg der ersten Offensive abhängen.

Hinterhalt – Die Gefahr, vom Gegner in einen Hinterhalt gelockt zu werden, ist bei jeglicher Truppenbewegung natürlich präsent. Vor allem urbane Gebiete gestalten sich für Angreifer oft als gefährlich.

Iris-T – "Jeder Schuss ist ein Treffer, keiner geht vorbei", sagt Kiews Bürgermeister Witali Klitschko ganz begeistert über das deutsche Luftabwehrsystem Iris-T, das seit Oktober 2022 die ukrainische Hauptstadt schützt. Laut "Spiegel"-Informationen folgte Mitte April 2023 das zweite. Das Luftabwehrsystem ist dreiteilig und besteht aus einer auf einem Lkw montierten Abschussrampe mit Platz für acht Raketen, einem Radarfahrzeug und einem Führungsfahrzeug. Das System kann Raketen zur Abwehr von Hubschraubern, Flugzeugen, Marschflugkörpern und Raketen abfeuern.

"Jeder Schuss ist ein Treffer, keiner geht vorbei" – das Iris-T-System.
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Jamming – Das Stören der Frequenzen, sogenanntes Jamming, ist ein typischer Versuch, die Kommunikation des Gegners lahmzulegen oder zumindest zu stören und so für Verwirrung oder Orientierungslosigkeit zu sorgen.

Kampfflugzeuge – Moderne westliche Kampfflugzeuge – etwa F-16, Rafale oder Gripen – stehen weiterhin ganz weit oben auf der Wunschliste der ukrainischen Regierung. Bisher zögerten die Partner der Ukraine aber noch, EU-Staaten lieferten lediglich Kampfjets sowjetischer Bauart, etwa MiG-29. Deren Lieferung nahm zuletzt aber Fahrt auf. Polen gab schon im März bekannt, dass man bereit sei, die gesamte MiG-Flotte aus rund 30 Flugzeugen zur Verfügung zu stellen. Auch die deutschen Exportgenehmigungen für Flieger aus ehemaligen DDR-Beständen waren in Windeseile da. Interessant zu beobachten wird auch sein, ob Russland bereit sein wird, seine modernsten Kampfjets, jene vom Typ Su-57, einzusetzen. Aufgrund fehlender Lufthoheit und aus Angst vor Abschüssen operierten sie bisher nur über russischem und belarussischem Gebiet.

Polnische MiG-29. Schon bald in der Ukraine.
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Längster Tag – Die ersten 24 Stunden der Gegenoffensive werden "der längste Tag" für die Verteidiger der Ukraine werden, spielt Gady in seiner Analyse auf den einst von Nazi-Generalfeldmarschall Erwin Rommel im Vorfeld des erwarteten D-Days der Alliierten geprägten Satz an. Es seien die entscheidenden Stunden. Wenn etwa die Ukraine so viel Schwung aufbauen kann, dass die russische Kommandostruktur paralysiert sei und russische Soldaten sich womöglich gar fluchtartig zurückziehen, könne dies eine Kettenreaktion auslösen, glaubt der Militärstratege. Die ersten 24 Stunden prägen oft Offensiven und können eine Vorentscheidung über Sieg oder Niederlage bringen.

Minenräumung – Zivile Minenräumung, dort wo russische Invasoren bereits zurückgedrängt wurden, ist das eine. Militärische Minenräumung das andere. Die Mine, vor allem die Antipanzermine, hat sich auch in diesem Konflikt wieder als unheimlich effektiv erwiesen, bestätigen Militärexperten quasi unisono. Minenräumpanzer müssen den Weg zunächst frei machen. Auch das wird Zeit und Ressourcen kosten.

Räumung von Minen und nichtexplodierten Geschoßen.
Foto: IMAGO/Ukrinform

Nachhut – Die für gewöhnlich mit sehr starker Feuerkraft ausgestattete Nachhut hat die Aufgabe, im Falle eines halbwegs geregelten Abzugs die Kräfte auf dem Rückmarsch zu decken, sichern und zu schützen.

Offiziersstruktur – Zuletzt gab es in der russischen Führungsriege eine offensichtliche Rehabilitierung von Luftlande-Kommandant Michail Teplinski. Auch General Alexander Lapin dürfte in der Gunst Putins wieder gestiegen sein. Während sich das Kommandantenkarussell in Russland seit Kriegsbeginn fleißig drehte, gab es auf ukrainischer Seite mehr Kontinuität. Zuletzt soll es zwischen Offizieren und Kommandanten aber auch Unstimmigkeiten über die Sinnhaftigkeit eines Haltens der strategisch unwichtigen Stadt Bachmut gegeben haben. Sollte den Ukrainern aber ein Durchbruch entlang der Front gelingen, sodass sogar Kommandostrukturen und -Hauptquartiere in Gefahr kommen, so könnte es zum gewünschten Chaos innerhalb der russischen Armee führen.

Patriot – Am 19. April bedankte sich der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow für die von den USA, Deutschland und den Niederlanden zur Verfügung gestellten Patriot-Batterien zur Flugabwehr. "Patriots for patriots", schrieb er dazu auf Twitter. Der "wunderschöne ukrainische Himmel" sei durch die hochmodernen Luftabwehrraketen aus US-Herstellung nun deutlich sicherer – und dank ihnen werde man gemeinsam gewinnen.

Quittierung des Dienstes – Schon zu Invasionsbeginn gab es Berichte, dass sich russische Soldaten selbst verletzen, um von der Front abgezogen zu werden oder gar nicht erst dahin geschickt zu werden. Auch die Sabotage der eigenen Ausrüstung soll vorgekommen sein. Mangels eines offiziellen Kriegsrechts versuchten auch einige, ihren Job an der Waffe zu quittieren. Immer wieder sollen russische Soldaten aber zum Verbleib an der Front gezwungen worden sein. Schwer unter Beschuss geratene russische Truppen, die herbe Verluste erlitten, sollen zudem von sogenannten Blockadeeinheiten am Rückzug gehindert worden sein. Ihnen wurde mit Erschießung gedroht.

Risiko– Angreifen ist immer schwieriger als Verteidigen. Je nach Operation rangiert das Verhältnis gefallener Soldaten meist irgendwo zwischen 4:1 oder 7:1. Das liegt auch daran, dass Soldaten hohe Risiken eingehen müssen, Angriffe teils auch ohne Luftunterstützung durchführen. Motivierte Kämpfer werden diese Risiken eher eingehen.

Schützengräben – Es erstaunt manchmal, wenn man die eingesetzten hochmodernen Geräte im Krieg in der Ukraine bedenkt, dass einen die Bilder da und dort doch an jene aus dem Ersten Weltkrieg erinnern. Schuld daran sind meist die Bilder von Schützengräben, die oft Erinnerungen an die Schlacht bei Verdun hervorrufen. Der klassische Schützengraben hat sich aber auch in diesem Krieg wieder bewährt, weshalb etwa die Russen etliche Kilometer an Schützengräben auf der illegal annektierten Krim ausheben ließen.

Gräben aus der Luft.
Foto: Maxar Technologies/Handout via REUTERS

Täuschungsmanöver – Offensiven werden gerne mit Täuschungsmanövern eingeleitet, um den Gegner auf eine falsche Fährte zu locken. Diese könnten im aktuellen Fall natürlich mannigfaltig sein. Ein Szenario, das in verschiedenen Analysen immer wieder vorkommt, ist eine simulierten Anlandung auf der Krim, während andernorts an Land versucht wird, durchzustechen.

Überraschungseffekt – Ein Täuschungsmanöver könnte genau jener Überraschungseffekt sein, der unerwartete Türen und Möglichkeiten eröffnet. Die Ukrainer werden deshalb auch tunlichst nicht verraten, wo sie durchbrechen wollen. Diesen Überraschungseffekt will man sich bewahren.

Vorbild – Die erfolgreichen ukrainischen Gegenoffensiven von Anfang September bis Anfang Oktober 2022 im Nordosten sowie im Süden des Landes sind keine Blaupausen, sehr wohl aber Vorbilder für die geplante Frühjahrsoffensive. Die Befreiungen in der Region Charkiw und Cherson überraschten die Analysten eben auch wegen der wenigen Gegenwehr, auf die die ukrainischen Kräfte stießen. Zwar hatten die russischen Truppen den Aufbau der Kapazitäten für eine Offensive beobachtet, aufgrund der raschen Zusammenziehung vieler ukrainischer Truppen und der einsetzenden Panik bei den Russen konnte aber nicht schnell genug die Front stabilisiert werden.

Wolodymyr Selenskyj im befreiten Isjum.
Foto: IMAGO/Ukrainian President Press Office

Wille – Die Motivation war von Anfang an ein Problem für die russischen Truppen. Immer wieder gab es Berichte, wonach die Russen nicht wüssten, wofür sie in der Ukraine wirklich kämpfen sollten. Oftmals soll der eigene Überlebenswille die einzige Motivation sein. Im Gegensatz dazu haben die patriotisch äußerst aufgeladenen Ukrainer mit der Verteidigung ihrer Freiheit, der Verteidigung ihres Territoriums und nicht zuletzt mit der Rache für die begangenen Verbrechen seitens der Russen eine höchstmögliche Motivation. Dies kann bei Offensiven entscheidend sein.

X – Wann kommt der Tag X? Wir wissen es nicht. Vermutlich nach Ende der Schlammperiode, wohl auch erst, wenn ausreichend Gerät da ist, vor allem aber, wenn es die ukrainische Kommandostruktur für klug hält.

Yankee – Seit Kriegsbeginn, also seit dem Überfall auf die Ostukraine im Jahr 2014, hat die Kiew das Militär mithilfe US-amerikanischer Expertise und US-Geld massiv verbessert und professionalisiert. Seit der überfallsartigen Invasion Russlands auf die gesamte Ukraine am 24. Februar 2022 war man auch gewillt, die notwendigen Reformen in Windeseile durchzudrücken. Die USA zeigten sich als der stärkste Unterstützer des Landes und stellten militärische Unterstützung im Wert von rund 50 Milliarden Dollar bereit. Washington ist damit der mit Abstand größte Unterstützer. Eine unfassbare Summe, die im Vergleich zu dem, was die USA aber ansonsten für ihr Militär ausgeben, aber durchaus relativiert wird. Vor allem wenn man bedenkt, wie viel Schaden die USA einem historischen Rivalen mit dieser Unterstützung und ohne einen einzigen toten US-Soldaten zufügen können.

Foto: DER STANDARD

Zweifrontenkrieg – Es ist wohl das primäre Ziel einer ukrainischen Frühjahrsoffensive: der Durchbruch entlang der Front, möglicherweise gar ein Keil bis zum Schwarzen Meer. Viele vermuten, dass der Versuch auf der Höhe Melitopols unternommen werden könnte. Würde man es schaffen, gleichzeitig die Kertschbrücke – welche russisches Festland mit der annektierten Krim verbindet – zu sprengen, könnte die Ukraine die Versorgung der besetzten Krim sowie die Versorgung der südlichen ukrainischen Oblaste Cherson und Saporischschja abschneiden. Russland würde dann nicht länger entlang einer Front, sondern an zwei Fronten kämpfen, was die Logistik immens erschwert. (Fabian Sommavilla, 22.4.2023)