Neigt man zur Prokrastination, gibt es drei wichtige Strategien, mit denen man dagegenarbeiten kann.

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Auf dem Schreibtisch sind noch Formulare zum Ausfüllen. Auf dem Regal liegt eine ordentliche Staubschicht. Das Geschirr im Waschbecken weicht schon seit fünf Stunden ein. Aber morgen ist schließlich auch noch ein Tag. Klar, man will am liebsten alles rasch und unkompliziert erledigen – aber passieren tut es trotzdem allzu oft nicht. Fast jede zweite Person gibt an, zumindest hin und und wieder etwas aufzuschieben. Das ist oft nicht so tragisch. Aber mitunter kann es zum Problem werden. So sehr, dass die Betroffenen unter diesem Verhalten leiden.

Der Fachausdruck dafür ist Prokrastination. Das bezeichnet das Aufschieben von zu erledigenden Aufgaben – meist führt man stattdessen eine andere Tätigkeit aus, um sich abzulenken. Die Gründe dafür sind vielfältig: Man will beispielsweise negative Gefühle vermeiden und sucht sich deshalb eine angenehmere Tätigkeit. Manche beschäftigen sich aber auch mit einer ebenso nervtötenden Aufgabe wie der vermiedenen, weiß Psychologin Veronika Job von der Universität Wien. Man greift etwa auf einmal zum Putzfetzen. Aber egal was man als Ausgleichshandlung tut, dieses Verhaltensmuster kann für enormen Stress sorgen. Warum tut man sich das also an?

Wichtige Zukunftsvision

Oft hängt das Aufschieben von Tätigkeiten mit fehlender Selbstkontrolle zusammen. Man will die Aufgabe erledigen, aber schafft es einfach nicht, erklärt Job. Weiters schiebt man oft auf, wenn man mit der eigentlichen Aufgabe nicht vorankommt oder nicht genau weiß, wie man diese angehen soll. Unkompliziertere Aufgaben wie Putzen werden begehrenswerter und bieten ein schnelles Erfolgserlebnis. Sofortige Gratifikation siegt dann über zukünftige Ziele.

Ein weiterer Parameter in Bezug auf Aufschieberitis ist, ob sich jemand gut in einen zukünftigen Zustand hineinversetzen und diesen beschreiben kann, egal ob negativ oder positiv. Wer das beherrscht, verfügt tendenziell über mehr Selbstkontrolle und ist weniger prokrastinationsgefährdet. Job betont: "Sich in zukünftige Zustände hineinversetzen zu können ist ein zentraler Mechanismus von Kontrolle. Der Menschen strebt nur deshalb nach Zielen, weil er die Fähigkeit besitzt, in die Zukunft zu schauen." Man arbeitet beispielsweise mit dem Bestreben, einmal eine gute Pension zu bekommen. Kann man sich diese zukünftige Gratifikation gut vorstellen, fällt es leichter, auf momentane Befriedigung zu verzichten.

Das hat auch mit Selbstwirksamkeit zu tun. Diese beschreibt die Annahme, dass man die eigene Zukunft beeinflussen kann. Hat man die Erwartung, dass man einen bestimmten Zustand herbeiführen kann, tut man sich leichter, nicht zu prokrastinieren. Die Annahme, man habe einen positiven Einfluss auf die eigene Zukunft, motiviert.

Gelernt oder vererbt?

Warum manche zur Prokrastination neigen und andere nicht, ist nicht ganz klar. Studien deuten unter anderem auf eine genetische Komponente hin, vor allem was die kognitive Kontrolle anbelangt. Es gibt aber ebenso Evidenz, dass das soziale Umfeld einen großen Einfluss hat, berichtet Job. So zeige sich etwa, dass Kinder aus Familien mit wenig Stabilität und Sicherheit öfter Probleme mit Selbstkontrolle und auch Prokrastination haben. Da für diese Kinder Tagesabläufe oft unvorhersehbar sind, tun sie sich auch schwerer, sich die eigene Zukunft vorzustellen.

Dafür muss ein Kind nämlich das Gefühl haben, es könne sich auf seine Eltern verlassen. Werden beispielsweise Versprechen oder Abmachungen nicht erfüllt, hat das Kind immer weniger ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und einer positiv beeinflussten Zukunft. "Warum sollte ein Kind, das sich nicht sicher sein kann, ob etwas Gutes später auch noch zu Verfügung steht, nicht gleich zugreifen?", erklärt Job. Es kann die Folgen seiner Taten nicht einschätzen und hat zwar das Gefühl, alles getan zu haben, was es muss, aber die verspätete Gratifikation bleibt aus.

"Warum sollte ein Kind, das sich nicht sicher sein kann ob etwas Gutes später auch noch zu Verfügung steht, nicht gleich zugreifen?"

Psychologin Veronika Job

Dieses Einhalten von Versprechen hat auch viel mit der Selbstkontrolle der Eltern selbst zu tun. Job pocht in diesem Zusammenhang auch auf deren Vorbildfunktion. Schieben sie viel auf, nimmt oft auch das Kind dieses Verhalten an.

Erstmals klar erkennen kann man Prokrastination bei Jugendlichen meist in Verbindung mit Hausübungen und Schularbeiten. Strengt sich eine Schülerin oder ein Schüler etwa immer bei den Hausaufgaben an, bekommt aber trotzdem nicht die besten Noten, verliert der/die Betreffende das Gefühl, die eigene Zukunft beeinflussen zu können. Das Gefühl der Selbstwirksamkeit sinkt konkret in Bezug auf die schulische Leistung.

Strategien gegen Prokrastination

Neigt man auch noch im Erwachsenenalter zur Prokrastination, heißt das aber nicht, dass alles verloren ist. Wichtig ist, dem eigenen Gehirn wieder zu beweisen, dass verspätete Gratifikation erstrebenswerter sein kann als sofortige Befriedigung. Job nennt konkret drei Strategien, mit denen man sich die schlechte Angewohnheit abgewöhnen kann: Situationskontrolle, Motivationskontrolle und Emotionskontrolle.

Bei der Situationskontrolle überprüft man, was man im eigenen Umfeld selbst beeinflussen kann. Lenkt das Handy oft ab, dann könnte man es zeitweise wegsperren. Kann man sich zu Hause generell nicht gut konzentrieren, geht man etwa zum Lernen auf die Bibliothek.

Motivationskontrolle bedeutet, die eigene Motivation zu steigern, indem man sich etwa selbst belohnt. Man kann die Aufgabe in kleinere Aufgaben einteilen, die einfacher zu erledigen sind. Oder man gönnt sich nach jedem geschafften Abschnitt eine kleine Pause. Auch eine Zukunftsvisualisierung hilft: Man macht sich bewusst, wofür man diese Aufgabe erledigt und wie man von der Erfüllung dieser Aufgabe profitieren wird.

Bei der Emotionskontrolle schließlich geht es um die emotionale Stimmung, die man braucht, um ein Projekt anzufangen. Job betont: "Wenn ich mich in eine positive Stimmung versetze, dann kann ich mich besser zu einer Handlung motivieren." Das kann etwa gelingen, in dem man motivierende Musik hört oder einen entspannten Nachmittag mit Freudinnen und Freunden einplant. Danach ist man mental besser vorbereitet auf alles, was kommen kann. (Laura Schnetzer, 12.5.2023)