In ihrem Gastbeitrag zeigt Sylvia Thürschweller, wie die Eingewöhnung in der Praxis aussieht.

Seit Wochen schon besucht die kleine Emma die Krippe, doch noch immer fällt die Trennung von ihrer Mutter schwer. Jeden Morgen klammert sie sich an ihre Hand und weint bitterlich, wenn diese sich schließlich verabschiedet. Als Elementarpädagogin bin ich besorgt, denn Emma scheint einfach nicht mit der Eingewöhnung zurechtzukommen.

Die ersten Jahre im Leben eines Kindes sind für die Entwicklung des Gehirns sehr prägend. Eine Tatsache, die uns in der Krippe stets bewusst ist. Doch was passiert, wenn die Eingewöhnung nicht erfolgreich verläuft und von stress geprägt ist? Krippenkinder wie Emma müssen oft schon früh lernen, ohne ihre Eltern auszukommen. Die Eingewöhnung in der Krippe ist dabei ein heikles Thema, denn ihr Erfolg hängt von vielen Faktoren ab.

Das Berliner und das Münchner Eingewöhnungsmodell gehören zu den bekanntesten im deutschsprachigen Raum. Beide Modelle basieren auf einer behutsamen Eingewöhnung des Kindes in die Krippe, die von einer erfahrenen pädagogischen Fachkraft begleitet wird. Das Ziel ist es, dem Kind Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln und ihm Zeit zu geben, um Vertrauen aufzubauen und sich an die neue Umgebung zu gewöhnen.

Herausforderungen in der Praxis

Als Elementarpädagogin kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass die Eingewöhnungsphase in der Krippe ein entscheidender Schritt für die Kinder und Eltern ist, um sich an eine neue Umgebung und neue Betreuungspersonen zu gewöhnen. Allerdings habe ich auch beobachtet, dass diese Phase sehr individuell verlaufen kann und von verschiedenen Faktoren abhängt.

Krippenjahre mit über zehn, elf Eingewöhnungskindern im Herbst, wovon die meisten gerade ihren ersten Geburtstag erreicht haben, waren auch bei mir Normalität. Wenn viele Eingewöhnungskinder in der Gruppe sind, muss die Eingewöhnung schnell gehen. Die Eltern sind während der Eingewöhnung meist nur wenige Tage und nur für kurze Zeit mit in der Gruppe, bis es zu den ersten Trennungssituationen kommt. Aus meiner Erfahrung und Beobachtung weiß ich, dass in dieser Zeit besonders sorgsam und fürsorglich mit dem Kind umgegangen wird, solange die Eltern in der Gruppe sind. Oftmals gibt es in dieser Zeit eine eins-zu-eins Betreuung für das Kind.

Kinder in der Krippe werden anfangs intensiver betreut, werden dann aber häufig auf sich alleine gestellt – mit negativen Konsequenzen.
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Eltern könnten den Eindruck bekommen, dass die pädagogische Fachkraft ununterbrochen für ihr Kind da ist und dadurch eine gute Bindung entstehen würde. Natürlich wird meistens versucht, eine Bindung zum Kind aufzubauen. Allerdings muss ehrlicherweise erwähnt werden, dass sich das pädagogische Fachpersonal, sobald sich die Eltern nicht mehr als Beobachter in der Gruppe befinden, rasch wieder den anderen Aufgaben und den restlichen 14 Kindern widmet und es keine eins-zu-eins Betreuung für das Kind gibt. Ab diesem Moment ist das Kind häufig mit seinen Emotionen auf sich alleine gestellt.

Fehlende Geborgenheit

In manchen Fällen habe ich sogar erlebt, dass pädagogische Fachkräfte kein Interesse daran haben, eine enge Bindung zu den Kindern aufzubauen. Es gab Situationen, in denen das Fachpersonal die Anwesenheit der Eltern während der Eingewöhnungsphase nicht begrüßt, sich nicht gerne beobachten lässt und daher die Eingewöhnung möglichst kurz hält. Ich habe auch erlebt, dass eine Pädagogin während der Eingewöhnungsphase intensiv Zeit mit dem Kind vor den Augen der Eltern verbracht hat. Das Kind hatte sich langsam an die Pädagogin gewöhnt, doch als die Eltern weg waren, suchte es vergeblich nach Halt: Die neue Bezugsperson hatte offensichtlich kein Interesse und war genervt vom Nähebedürfnis des weinenden Kindes. Die Verzweiflung des Kindes war groß, die Folge waren wochenlanges Schreien und Weinen.

Die Arbeits- und Lebenssituation der Eltern stellt einen weiteren wichtigen Faktor dar. Manchmal haben Eltern nur begrenzte Zeit, um ihre Kinder an die Betreuungsperson zu gewöhnen, was die Entwicklung einer engen Bindung erschweren kann. In einer Gruppe mit 15 Kleinkindern ist es kaum möglich, eine intensive Bindung zu jedem einzelnen Kind aufzubauen. Dennoch sollten pädagogische Fachkräfte ihr Bestes geben, um eine sichere Bindung zu ermöglichen und das Kind in der Eingewöhnungsphase zu unterstützen. Es ist wichtig, dass das Kind sich in der Krippe sicher und geborgen fühlt und eine vertrauensvolle Beziehung zur Betreuungsperson aufbauen kann.

Ungünstiges Alter

Als Elementarpädagogin habe ich festgestellt, dass viele Kinder bei der Eingewöhnung zwölf Monate alt oder jünger sind. Aus entwicklungspsychologischer Sicht ist dies das ungünstigste Alter, um ein Kind von seinen Eltern zu trennen. Mit zehn bis zwölf Monaten durchleben die meisten Kinder den Höhepunkt ihrer Fremdelphase. Eine Trennung von der Hauptbindungsperson löst bei ihnen sehr negative Gefühle und Ängste aus (vgl. Suess & Pfeifer, 2003, S. 271). Es ist schwierig oder sogar unmöglich, dass sich das Kind von einer unbekannten oder nicht akzeptierten Person wie einer Kindergartenpädagogin trösten lässt.

Die Intensität des Fremdelns und der Angstgefühle hängt von mehreren Faktoren ab. Das Temperament des Kindes beeinflusst, wie ängstlich oder neugierig es auf fremde Menschen und Situationen reagiert (vgl. Lohaus, 2021, S. 21ff). Auch der Kontext, in dem sich das Kind befindet, hat einen großen Einfluss. In der Krippe gibt es viele Umstände, die das Fremdeln verstärken, wie eine fremde Umgebung, fremde Personen, die zu nahe sind, ungewollte Berührungen und das Fehlen der elterlichen Reichweite (Lohaus, 2021, S. 21ff,). Diese Situationen gehören leider oft zum Krippenalltag.

Einfluss auf Entwicklung

Die Eingewöhnung und die Zeit danach können enormen Stress für das Kind verursachen und die Ausschüttung von Cortisol auslösen. Da 80 Prozent der Gehirnentwicklung in den ersten drei Lebensjahren stattfinden, kann anhaltender Stress sich negativ auf die Entwicklung des Kindes auswirken. Junge Menschen, die wiederholt starken Stress erleben, sind ihr gesamtes restliches Leben besonders anfällig für Depressionen und Angsterkrankungen (vgl. Bowlby, 2016, S. 12). Ich habe Kinder in der Krippe erlebt, die während der Eingewöhnung oder schon bei der Übergabe am Morgen weinen und protestieren, was zeigt, dass sie enormen Stress durchmachen.

Das Konzept der Eingewöhnung ist schwierig, da Bindungspersonen und Eltern für Kleinkinder nicht ersetzbar sind. Ein Kind würde eine positive Bindung zu seiner Hauptbezugsperson niemals freiwillig beenden. Bei der Eingewöhnung in eine Krippe ist oft zu beobachten, dass das Kind mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zeigt, dass die Trennung von den Eltern große Angst und Stress bereitet und die Bindung zum pädagogischen Personal meist noch nicht stark genug ist, um die Eltern für die Betreuungszeit zu ersetzen.

Eine erfolgreiche Eingewöhnung bei Kindern unter drei Jahren wäre nur dann möglich, wenn in der Krippe ein Betreuungsschlüssel von zwei Kindern pro einfühlsamer, kontinuierlich verfügbarer pädagogischer Fachkraft vorhanden wäre. Eine Eingewöhnung mit drei Jahren sieht hingegen ganz anders aus. In diesem Alter können Kinder ausreichend sprechen und verhandeln, und es beginnt die Phase der wechselseitigen Beziehungen. Das Gehirn ist nun so weit entwickelt, dass Kinder empathische Kompetenzen entwickeln und leichter Beziehungen zu neuen Bindungspersonen eingehen können. (Sylvia Thürschweller, 21.4.2023)