Viele Krankheiten wären mit entsprechenden Impfungen vermeidbar, betonen Expertinnen und Experten. Aber immer weniger Eltern möchten ihre Kinder impfen lassen.

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Dass ein gutes Impfprogramm eine der effizientesten Maßnahmen für ein gesundes Leben ist, zeigt die Geschichte eindrücklich: Dank flächendeckender Pockenimpfung erklärte die WHO 1980 die Pocken für ausgerottet. Heute zweifeln allerdings immer mehr Menschen an der Wirksamkeit von Vakzinen. Wegen Corona ist auch das Vertrauen in Kinderimpfungen in vielen Ländern gesunken, zeigt ein Unicef-Bericht, der STANDARD berichtete hier. In Österreich finden heute 74,6 Prozent, dass es wichtig sei, Kinder zu impfen. Bei der vorigen Befragung im Jahr 2019, also vor Corona, waren es noch 85,3 Prozent.

Diesen Abwärtstrend beobachten Fachleute wie Ursula Wiedermann-Schmidt schon lange. Sie ist Professorin für Vakzinologie (Impfwesen) und leitet das Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie an der Med-Uni Wien. "Die Problematik hat sich noch weiter verschärft", sagt sie, aber eigentlich hätten Fachleute schon lange vor der Pandemie immer wieder daran erinnert, dass zu wenige gegen Erkrankungen wie Influenza, Keuchhusten, Diphtherie oder Masern geimpft sind. Um Masernausbrüche zu verhindern, müssten 95 Prozent einer Bevölkerung dagegen geimpft sein. Dass man in Österreich davon weit entfernt ist, zeigten die Ausbrüche vor zwei Monaten. Dieses Jahr wurden bisher 113 Fälle gemeldet. "Das sind vor allem Kinder und Erwachsene, die keine Masernimpfungen hatten", berichtet die Expertin.

Beim Humanen Papillomavirus (HPV) sieht die Impfbereitschaft nicht besser aus. Viele der jährlich 6.000 Operationen von HPV-bedingten Krebsvorstufen wären vermeidbar, mit einer Durchimpfungsrate von 90 Prozent könnten HPV-bedingte Krebsarten wie Gebärmutterhalskrebs oder Rachenkrebs ausgerottet werden, sind sich Expertinnen und Experten sicher. Es sind aber – optimistisch geschätzt – nicht einmal 50 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher geimpft.

Rückkehr von vermeidbaren Erkrankungen

Wenn sich künftig immer weniger Menschen impfen lassen bzw. immer weniger Eltern ihre Kinder impfen lassen, hätten wir es schon bald wieder mit Erregern zu tun, die hierzulande eigentlich kein Problem mehr sein sollten, befürchtet Wiedermann-Schmidt: "Durch Reisetätigkeiten, Migrationsströme oder wodurch auch immer werden Erreger wieder ins Land gebracht. Treffen diese Erreger hier auf eine schlecht geimpfte Population, kommt es wieder vermehrt zu Ausbrüchen."

Und zum Teil ist das auch schon passiert, nicht nur bei den Masern. Die Infektionskrankheit Diphtherie ist schon fast in Vergessenheit geraten, seit Jahrzehnten wurden kaum Fälle beobachtet – bis vor kurzem. Im Jahr 2022 wurden 62 Diphtherie-Fälle bestätigt. "Wir haben untersucht, dass bis zu 40 Prozent der österreichischen Bevölkerung keinen Schutz gegen Diphtherie haben, weil sie nicht ausreichend geimpft sind", erklärt Wiedermann-Schmidt.

Kaum sachliche Diskussion möglich

Im Lauf des vergangenen Jahrhunderts habe man gesehen, "wie fantastisch Impfprogramme wirken. Es gibt keine bessere Prävention, damit Infektionskrankheiten gar nicht erst auftreten", betont die Expertin. Es gebe so viele Erkrankungen, für die die Medizin noch keine so guten Behandlungsmöglichkeiten habe. Dass man in der Bevölkerung dann die Mittel, die gut wirksam und leicht verfügbar seien, nicht nutzt, findet sie "tragisch".

Diese Entwicklung liege auch daran, dass Impfungen während der Corona-Pandemie politisiert wurden, kritisiert Wiedermann-Schmidt. Eine sachliche, informative Diskussion darüber sei schwierig geworden: "Das Thema wurde politisch missbraucht." Es brauche für Impfprogramme natürlich politische Unterstützung und den politischen Willen zur Präventionsmedizin, im Kern seien Impfungen aber kein politisches Thema. "Genauso, wie Krebstherapien kein politisches Thema sind. Politiker sollen nicht darüber diskutieren, ob eine Impfung gut ist oder nicht, weil sie davon keine Ahnung haben. Dafür sind Fachleute zuständig."

Sorgen und Ängste ernst nehmen

Dass manche Menschen Sorgen und Ängste in Bezug auf Impfungen haben, müsse man ernst nehmen, sagt Wiedermann-Schmidt. Es sei Aufgabe des Fachpersonals, sich genügend Zeit für die Aufklärung zu nehmen, Verständnis für das Misstrauen zu zeigen und gemeinsam zwischen Nutzen und Risiko abzuwägen: "Ich verstehe, dass Eltern nur das Beste für ihr Kind wollen und Angst haben, sie machen was Falsches. Aber gerade Kinderimpfungen sind immer sehr, sehr gut erforscht. Dazu werden wirklich viele Daten über Wirksamkeit und Nebenwirkungen gesammelt. Im Gegenzug sind Infektionserkrankungen, gegen die geimpft wird, im Kindesalter besonders gefährlich und können bei einem ungeschützten Kind zu schwerwiegenden Komplikationen führen." (Magdalena Pötsch, 21.4.2023)