Die kroatische Autorin Tena Štivičić hat für "Drei Winter" die Familiengespräche in ihrem Herkunftsland studiert.

Foto: Heribert Corn

Es braucht manchmal seine Zeit, bis Theaterstücke auch in Österreich zum Zug kommen. Martin Kušejs europäischem Spürsinn ist es zu verdanken, dass die Familiensaga der kroatischen Autorin Tena Štivičić nun Österreich-Premiere erlebt. Der Burgtheaterdirektor hatte sich zu Beginn seiner Amtszeit bekanntlich einer internationaleren, mehrsprachigen Dramenliteratur verschrieben. Die aktuelle Antwort darauf lautet: Drei Winter.

Drei Winter ist ein über vier Generationen reichendes, in Zagreb angesiedeltes Familienepos, durchwirkt von der wechselvollen Geschichte Kroatiens – vom österreichisch-ungarischen Kaiserreich und dem kroatisch-slowenischen Königreich über das sozialistische Jugoslawien bis herauf zum unabhängigen Kroatien bzw. der EU-Mitgliedschaft. "A big play", "clever", "unexpected" lauteten die hymnischen Kritiken bei der Uraufführung am National Theatre in London 2014.

Viele Preise

Štivičić, 1977 in Zagreb geboren, hat nach ihrem Studium am Gold smith College in London Fuß gefasst und ist inzwischen britische Staatsbürgerin. Heute lebt sie mit ihrem Mann und der gemeinsamen Tochter in Schottland. Der Blick von außen auf ihr Herkunftsland, die Distanz zur Kultur ihres Landes habe sie beim Schreiben dieses Dramas sehr beeinflusst, sagt sie im STANDARD-Gespräch. "Ich habe mit 25 Jahren Kroatien verlassen und somit für mein Leben die Position der Außenseiterin gewählt. Ich bin immer dazwischen."

Beinahe jedes von Štivičićs Stücken wurde mit Preisen bedacht, beginnend mit ihrem Debüt Can’t escape sundays (Marin-Držić-Preis), einem Beziehungsdrama, das nach zahlreichen Bühnen- und Rundfunkrealisierungen in verschiedenen europäischen Ländern heute als eines ihrer meistproduzierten Stücke gilt. The Two of Us, mit dem Štivičić die Academy of Drama Art in Zagreb abschloss, war das erste neue kroatische Stück, das nach dem Zerfall Jugoslawiens auf einer Belgrader Bühne aufgeführt wurde.

Gespielt auch in Japan

Furore machte auch das Drama Fragile!, das dem Leben migrantischer Neu-Londoner folgt und zeigt, wie schwierig es für Zuziehende ist, ein Leben in der Fremde zu beginnen. 2008 gewann es den Preis für das beste europäische Stück beim Heidelberger Stückemarkt. Auch Drei Winter erhielt eine Auszeichnung, den Susan-Smith-Blackburn-Preis in New York.

Tena Štivičićs Stücke wurden in viele Sprachen übersetzt und werden weltweit gespielt, bis nach Japan. Die schlagkräftig-lebendigen Dialoge, die gewitzten Episoden und ein unbefangenes Bekenntnis zu naturalistischen Settings öffnen ihr da Tür und Tor. Kommt man ihr mit einem Yasmina-Reza-Vergleich, winkt sie in aller Ruhe nicht gänzlich ab. Vor allem gelingt es ihr genau so gut wie ihrer französischen Bestseller-Kollegin, jene zwischenmenschlichen Abgründe, das Rotzfreche in den Leuten aus den höflichen Verkittungen des zivilisierten Lebens freizusprengen. Wie ein Blitz schlagen dann einzelne Ausrufe oder Sätze, gern mit Flüchen befeuert, Gräben in die ganz normale familiäre Unterhaltung.

Mittelmeer-Spirit

Überhaupt: Drei Winter zehrt vom Temperament der Balkan-Menschen und deren politischem Bewusstsein, wie Štivičić selbst sagt. "Menschen vom Balkan waren stets politischer Veränderung ausgesetzt. Jeder war in jeder Generation betroffen. Es gab nie eine Periode, in der Politik nebensächlich hätte werden können. Deshalb ist Politik bei jedem Dinner präsent. Wir sind Experten für alles! Jeder Einzelne ist Präsident, wir sprechen alle mit großer Autorität."

Die Diskrepanz zur britischen Zurückhaltung könnte nicht größer sein. Telefoniert Štivičić mit ihrer Familie in Zagreb, wirkt dabei der engagierte Tonfall auf ihren Ehemann bis heute besorgniserregend. "Ich würde sagen, das ist der Mittelmeer-Spirit!" Diesem lässt die Autorin auch in ihrem Stück, das sich von der Urgroßmutter, einer Dienstmagd, bis zur studierten Enkelgeneration zieht, freien Lauf.

Selten hört man jemanden über die Freude beim Schreiben sprechen. Tena Štivičić tut es. "Ich liebe Dialoge und Geschichten. Ich habe sogar immenses Vergnügen daran, zu schreiben. Auch eine Geschichte (im naturalistischen Sinn, Anm.) ist sehr schwer zu erzählen, wenn dabei ein Publikum interessiert gehalten werden soll. Es ist ein harter Job. Und wenn man es kann, dann macht man es!" Dem ist nichts zu entgegnen. (Margarete Affenzeller, 20.4.2023)