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Wenn das Klima auf der Erde noch halbwegs beherrschbar bleiben soll, müssen die Emissionen runter – darüber herrscht Einigkeit. Nicht so über den Weg dorthin: Die EU setzt etwa auf grünes Wachstum mit Ökogesetzen, E-Autos und erneuerbaren Energien. Für die sogenannte Degrowth-Bewegung funktioniert echter Klimaschutz hingegen nur ohne Wirtschaftswachstum. Wir haben beide Seiten zum Gespräch geladen: den Degrowth-Aktivisten Max Hollweg und den Ökonomen Rupert Sausgruber.

STANDARD: Herr Hollweg, warum müssen wir schrumpfen?

Hollweg: Wir verstehen Degrowth einerseits als Kritik am Wirtschaftswachstum, aber gleichzeitig auch als Vision für eine demokratisch beschlossene Reduktion des Material- und des Energieverbrauchs in der Gesellschaft. Die Vision ist, dass wir durch bewusstes Schrumpfen ein Wohlergehen aller Menschen innerhalb der planetaren Grenzen gewährleisten können. Was ist das Problem am Wirtschaftswachstum? Wir können auf einem endlichen Planeten nicht unendlich viele Ressourcen verbrauchen. Deshalb können gerade die reichen Industrienationen nicht mehr weiterwachsen.

Weg vom schmutzigen, hin zum sauberen Wirtschaften – das wollen sowohl die Green-Growth- als auch die Degrowth-Anhängerinnen und -Anhänger.
Foto: APA/AFP/MARCO LONGARI

STANDARD: Wer müsste schrumpfen? Gerade die Wirtschaften in den Staaten des Globalen Südens werden wohl noch wachsen.

Hollweg: Es geht um reiche Industrienationen, die einen ökologischen Fußabdruck und eine Wirtschaftskraft haben, die weit über dem sozial und ökologisch verträglichen Niveau liegen. Dazu gehören Österreich, große Teile der EU oder die USA.

STANDARD: Das heißt, Österreich muss schrumpfen, damit andere Länder wachsen können?

Hollweg: Genau. Es gibt immer noch Kontroversen, obwohl eigentlich klar ist, dass sich das Wirtschaftswachstum nicht absolut gesehen von den Emissionen und vom Ressourcenverbrauch entkoppeln lässt.

STANDARD: Herr Sausgruber, sehen Sie das auch so?

Sausgruber: In den letzten zehn Jahren sind immer mehr Länder wirtschaftlich gewachsen und das trotz sinkender CO2-Emissionen – aktuell sind es 33. Die Entkopplung ist also möglich, das ist empirische Evidenz. Und das beruht nicht nur darauf, dass man die dreckige Produktion ins Ausland verfrachtet. Selbst wenn man diese ausgelagerten Emissionen herausrechnet, gibt es eine Entkopplung.

"Wir können auf einem endlichen Planeten nicht unendlich viele Ressourcen verbrauchen", sagt Max Hollweg.
Foto: IMAGO/Martin Juen

STANDARD: Warum?

Sausgruber: Das hat mehrere Gründe. Früher war in den meisten Staaten die Industrie der größte Sektor, heute ist es der Dienstleistungsbereich. Dieser verursacht viel weniger Emissionen. Zweitens werden die Importe grüner – weil die Staaten, in denen man jetzt produzieren lässt, nicht die gleichen Fehler machen wie die alten Industriestaaten. Die Produktion in China oder Afrika ist nicht mehr so emissionsintensiv wie früher bei uns. Und letztlich gibt es Innovationen im Bereich der erneuerbaren Energieträger, Windkraft und Photovoltaik. Es besteht die Hoffnung, dass diese schnell genug ausgebaut werden, damit die Klimaziele erreicht werden.

Hollweg: Ganz entkoppeln lässt sich Wachstum und Ressourcenverbrauch aber dennoch nicht. Das geht sich bei allem Technologieoptimismus leider hinten und vorne nicht aus, zumindest nicht auf globaler Ebene.

Wirtschaftswachstum und Emissionen lassen sich entkoppeln, sagt Rupert Sausgruber. 33 Länder hätten das bereits geschafft.
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STANDARD: Könnte man dem Problem nicht mittels gesetzlicher Regelung entgegenkommen? Unternehmen haben einen wirtschaftlichen Vorteil, wenn sie weniger Ressourcen verbrauchen. Wenn es einen Preis für CO2 gibt, gilt das auch für Treibhausgase.

Hollweg: Solche Regeln sind wichtig, auch der Ausbau der erneuerbaren Energien. Aber wir müssen schauen, dass der Energieverbrauch insgesamt sinkt. Wir müssen aber auch in den Care-Sektor investieren – Erziehung, Bildung, Gesundheit. Diese Sektoren werden auch ökonomisch weiterwachsen. Aber gerade in den reichen Industrienationen basiert die Wirtschaft immer noch stark auf Industrien, die energieintensiv sind, zum Beispiel der Autoproduktion.

Sausgruber: Ich glaube, es steht außer Streit, dass wir mehr Maßnahmen setzen müssen, um die Energie effizienter zu nutzen, dass wir mehr erneuerbare Energien brauchen. Wir müssen die dreckige Produktion teurer machen und die saubere Produktion fördern, etwa durch CO2-Steuern. Aber die Investitionen in den Wandel kosten Geld. Die Emissionen bis 2050 auf null zu reduzieren ist eine enorme finanzielle Anstrengung. Es ist leistbar und möglich, aber wir brauchen Wirtschaftswachstum, um die Wende zu finanzieren.

Hollweg: Aber das Geld geht gerade in ganz andere Richtungen! Wir sehen enorme Profite in der fossilen Industrie. Wir sehen gerade eine Umverteilung, auch durch die Inflation, die geringere Einkommen schwächt. Nur mit einer wirklich guten Degrowth-Strategie ist es möglich, dass wir ein gutes Leben für alle innerhalb der ökologischen Grenzen schaffen.

STANDARD: Brauchen wir ein neues Maß für den Wohlstand? Derzeit wird dieser vor allem mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemessen.

Mit Investitionen in erneuerbare Energien will die EU Emissionen senken.
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Sausgruber: Natürlich ist das BIP ein imperfektes Maß. Alles, was nicht über einen Markt bewertet wird, ist nicht darin enthalten, etwa Emissionen oder Ressourcenausbeutung. Uns ist natürlich bewusst, dass das alleinige Schauen auf das BIP nicht der richtige Weg sein kann. Aber es korreliert eben mit sehr vielen Dingen extrem hoch – mit der Lebenserwartung, der Gesundheit, mit Lebenszufriedenheit.

Hollweg: Aber nur bis zu einem bestimmten Grad. Die Menschen werden nicht unendlich zufriedener, nur weil das BIP steigt. Sobald die materiellen Bedürfnisse gesichert sind, spielen andere Faktoren viel stärker hinein: Gerechte Verteilung etwa oder Zugang zu Bildung und Gesundheit. Das BIP hingegen hat keinen moralischen Kompass.

STANDARD: Angenommen, wir würden uns dazu entscheiden, nicht mehr wachsen zu wollen. Wo müsste man da überhaupt anfangen?

Hollweg: Zum Beispiel bei der Arbeitszeitverkürzung. Die Effizienz der Arbeit ist immer weiter gestiegen, die Reallöhne oft aber nicht. Wir könnten die Arbeit ganz anders verteilen, dass auch Care-Arbeit abgesichert wird. Momentan sind Energiekonzerne von Profit getrieben – wir könnten diese Grundversorgung zurück in öffentliche Hände holen. Wir könnten demokratisch entscheiden, wie Energie produziert wird und wer wie viel verbrauchen darf. Transformationsräte aus Expertinnen, Wissenschafterinnen, der Zivilgesellschaft und Politikerinnen könnten Industriezweige, zum Beispiel die Autobranche, neu gestalten. Auch Handelsabkommen stehen zur Debatte: Wie können wir sie gerechter gestalten? Wo können wir deglobalisieren, unsere Wirtschafts- und Lebensweise regionaler machen? Natürlich aus Solidarität und nicht aus Abschottung.

STANDARD: Aber gibt es dafür eine demokratische Mehrheit?

Hollweg: Es gibt immer mehr Meinungsumfragen, die zeigen, dass Menschen nicht daran glauben, dass wir unendlich wachsen können. Natürlich werden reichere Bevölkerungsschichten etwas abgeben müssen. Aber für einen Großteil ist Degrowth auch die Vision von einem besseren Leben.

Sausgruber: Da widerspreche ich Ihnen sehr stark. Wie gesagt: Der nachhaltige Umbau wird Geld kosten. Arbeitszeitverkürzung schaufelt dieses Geld nicht frei, sondern kostet Geld. Und im internationalen Vergleich sind die sauberen Länder nicht jene, die einen alternativen Weg eingeschlagen haben. Die ehemaligen sozialistischen Planwirtschaften haben es nicht geschafft, sauberer zu produzieren als die westlichen Industriestaaten.

STANDARD: Ein Mittelweg könnte A-Growth sein, also dass man "wachstumsagnostisch" ist. Also es nicht fördert, aber auch nicht verhindert.

Sausgruber: Ich finde diese Perspektive sehr sympathisch. Was ist Wachstum? Ein Streben von uns Menschen, die Ressourcen, die wir haben, so einzusetzen, dass wir immer bessere Ergebnisse erzielen. Würde man dieses Wachstum nicht mehr zulassen, greift man sehr stark in die individuelle Entscheidungsfreiheit ein. Natürlich brauchen wir Eingriffe, wenn die Freiheit zulasten von anderen geht. Aber eine Wachstumsbremse würde von vielen nicht mitgetragen werden, weil der größere Sinn nicht sichtbar wird. A-Growth hingegen hält Klimakrise und Wachstum, das entkoppelt gehört, auseinander.

Hollweg: A-Growth steht auch überhaupt nicht im Widerspruch mit Degrowth. Einzelne Bereiche, der öffentliche Verkehr, das Bildungssystem, müssen wachsen, da muss viel gesellschaftliche Kraft hineinlaufen. Hier muss noch viel passieren. Aber die Wachstumskritik ist eben primär eine Kritik am derzeitigen Wirtschaftssystem und an seinen zerstörerischen Auswirkungen auf die Natur.

(Alicia Prager, Philip Pramer, 21.4.2023)