Verwahrloste, schwerverletzte Schweine, die zwischen toten Artgenossen liegen. Hühner, in Hallen zusammengepfercht, die sich infolge der Turbozucht kaum auf den eigenen Beinen halten können und im Schlachthof von Arbeitern zu Tode getreten werden. Von Tierschützern an die Öffentlichkeit gebrachte Missstände in Österreichs Nutztierhaltung warfen ein Schlaglicht auf eine von Preisdruck getriebene Landwirtschaft, die mit idyllischen Bildern, mit denen sie für ihre Lebensmittel über viele Jahrzehnte gern warb, nichts gemein hat.

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DER STANDARD

Blicke hinter Stalltüren konventioneller Mast fachten Debatten darüber an, wie viel System hinter verstörenden Skandalen steckt. Zu sehr hatte die Branche zuvor den Begriff des tragischen Einzelfalls als Erklärung strapaziert. Harte Kritik musste neben den Veterinärbehörden jedoch vor allem die Agrarmarkt Austria Marketing (AMA) einstecken.

Machtkämpfe

Von einem Versagen der Kontrollen und einem Verlust an Glaubwürdigkeit war die Rede. Vor allem Handelsketten wie Rewe schossen sich auf die AMA ein – wiewohl sie mit dieser auch ihre eigenen Programme für höheres Tierwohl absichern.

Je schwächer die Position der AMA mit ihren Lieferanten auf dem schwer umkämpften Markt ist, desto stärker können Supermärkte eigene neue Siegel mit ihren individuellen Standards voranbringen.

In der Branche wird überdies die Rolle amtlicher Tierärzte diskutiert. Es geht um massive personelle Engpässe, aber auch um ungesunde finanzielle Abhängigkeiten zwischen den Veterinären und Landwirten. Die Geschäfte mit Arzneimittelverkäufen haben bei einem hohen Tierbestand zusätzlich Gewicht.

Der Anteil an Fleisch, der in Österreich unter höheren Tierwohl-Standards verkauft wird, ist nach wie vor verschwindend gering.
Foto: Imago

Schein und Sein

Aus der Verantwortung nicht entlassen werden neben dem Handel und der Gastronomie, die Fleisch zu einem allseits verfügbaren Lockartikel machten, freilich auch Konsumenten. Viele sprechen sich in Umfragen zwar offensiv für mehr Platz, Auslauf und frische Luft für Hühner, Schweine und Rinder aus, greifen in Supermärkten und beim Gastwirt jedoch zu günstigerem Fleisch aus konventioneller Massentierhaltung.

Vieles davon ist Importware aus Ländern mit weit niedrigeren Standards in der Fleischproduktion. Der Anteil an Fleisch aus Tierwohlinitiativen übersteigt in Österreich nach wie vor keine sechs Prozent, Bio ist darin bereits miteingerechnet.

Welche Konsequenzen haben die jüngsten Skandale, die zuletzt auch Rinder erfassten? Christina Mutenthaler-Sipek, Chefin der AMA Marketing, spricht von Nulltoleranzpolitik bei groben Verstößen, stellt jedoch klar, dass die AMA keine Behörde sei, die jeden bäuerlichen Betrieb rund um die Uhr kontrollieren könne. Auch das beste Kontrollsystem sei nicht in der Lage, sämtliche Malversationen aufzudecken.

Zehn Prozent mehr Kontrollen

Noch weniger, wenn persönliche Schicksalsschläge bäuerlicher Familien dahinter steckten. Wenige Tage, in denen ein Stall sich allein überlassen oder lediglich notdürftig versorgt wird, reichen in der Regel für desaströse Zustände aus.

Fix ist, dass die AMA ihr Netz an Kontrollen künftig dichter spannt. Bis Jahresende wird sie die Zahl ihrer externen Betriebsprüfungen um 2000 auf 22.000 erhöhen. Das sind jährlich zehn Prozent an Kontrollen mehr. Zusätzlich finden 1000 unangekündigte Visiten statt, sogenannte Spot-Audits, die auch zu unüblichen Zeiten angesetzt würden. Diese seien im Dienste des Werts des Gütesiegels gekommen, um zu bleiben, betont man bei der AMA.

Externe Überprüfungen werden zwischen den Landwirten und den unabhängigen akkreditierten Kontrollstellen verrechnet. Unangemeldete Audits finanziert die AMA aus ihrem eigenen Budget, das jährlich rund 28 Millionen Euro wiegt.

Zwei Drittel der österreichischen Landwirte arbeiten nicht unter dem AMA-Gütesiegel. Bei ihnen greifen lediglich amtliche Kontrollen. In 50 Jahren kommt ein Betrieb hier im Schnitt auf eine Überprüfung.

Seit April lässt sich die Anzahl der AMA-Kontrollen und Verstöße gegen Richtlinien wöchentlich aktualisiert auf einem Ticker ablesen. Im Vorjahr gab es bei 80 Prozent der geprüften Bauern keine Beanstandungen, rechnet die AMA vor. Aus dem Gütesiegel ausgeschlossen wurden im Rahmen von fünf Sanktionsstufen letztlich 59 Unternehmen.

Keine falsche Idylle

Die Konsumenten würden mittlerweile überdies realitätsnah über unterschiedliche Nutztierhaltungsformen informiert, sagt Mutenthaler-Sipek und stellt weiter wachsende Transparenz in Aussicht.

Sie will Kontrolldaten digital vernetzen, um Frühwarnsysteme zu installieren. Videoüberwachung und künstliche Intelligenz sollen helfen, Standards in der Mast und bei der Schlachtung von Tieren zu verbessern. Was man sich darunter vorstellen kann? Die AMA-Chefin erzählt von Pilotprojekten in Schlachthöfen, bei denen der Rüssel des Schweines mit Wasser bespritzt werde, um zu erkennen, ob es wirklich ausreichend betäubt sei. Bisher werde dies mit Stichproben überwacht.

Von Tierschützern wie dem Verein gegen Tierfabriken, mit dem es erste Treffen gab, erwartet sie sich zeitnähere Meldungen über Probleme an Behörden. Die AMA sieht eine gute Basis für Kooperationen. Mit dem VGT vereine sie unter anderem das Ziel langsam wachsender Hühnerrassen abseits von Qualzucht.

Höhere Preise

Weniger Tierleid hat freilich seinen Preis. Bisher fehlten dafür Absatz und Markt, betont Mutenthaler-Sipek. Bis 2030 sollen eine Million Schweine unter höheren TierwohlStandards gemästet werden – das bedinge aber um ein Drittel teureres Fleisch und Abnahmegarantien für Bauern. Ein großer Sprung sei der Verzicht auf Vollspaltenböden. Auch hier lasse sich der Hebel nur ansetzen, wenn die gesamte Wertschöpfungskette bis hin zur öffentlichen Beschaffung mitziehe. (Verena Kainrath, 21.4.2023)