Langsam lichtet sich der Nebel über den geheimnisvollen Thermofenstern und anderen ausgeklügelten Methoden zur Vermeidung von Dieselabgasreinigungsprozessen.

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Wien – Im Jahr acht nach Auffliegen des Dieselabgasskandals wird das Verkehrsministerium als oberste Zulassungsbehörde aktiv. Dies freilich nicht im Sinne der seit sechs Jahren in Sammelverfahren vor 16 Landesgerichten auf Entschädigung wartenden mehr als 9000 VW-, Škoda-, Audi- und Seat-Fahrzeughaltern. Aktiv wurde das Ministerium gegen jene Pkw-Besitzer, die sich weigerten, das vom deutschen Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) verordnete Software-Update aufspielen zu lassen.

Diese laut Ministerium rund 2000 verbliebenen Kfz-Halter werden von den zuständigen Kraftfahrtbehörden (Polizei, Bezirkshauptmannschaften) aufgefordert, das Software-Update aufspielen zu lassen beziehungsweise den Nachweis zu erbringen, dass das Update durchgeführt wurde. Wer dies verweigert, dem droht der Verlust der Zulassung.

Diese Vorgangsweise ist fast schon wieder originell. Denn als nach Auffliegen des Dieselskandals im September 2015 klar wurde, dass die für den gesamten EU-Binnenmarkt erteilte sogenannte Typprüfgenehmigung für einzelne Fahrzeugmodelle im Grunde genommen widerrechtlich erteilt worden war (weil die Abgasreinigung die meiste Zeit des Jahres "zum Schutz des Motors" abgeschaltet ist), war das Verkehrsministerium – obwohl zuständig – nicht aktiv geworden.

Thermofenster illegal

Seither gab es zahlreiche Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), des Obersten Gerichtshofs (OGH) in Österreich sowie des deutschen Bundesgerichtshofs in Karlsruhe, in denen die temperaturgesteuerte Abschalteinrichtung ("Thermofenster") für unzulässig erkannt wurde respektive der Abgasschummel insgesamt als "arglistige Täuschung" der Verbraucher.

All das bewog die Behörde weder zu eigenen Abgastests durch die hauseigene Bundesanstalt für Verkehr bei den gut 400.000 betroffenen Fahrzeugen in Österreich mit dem Motor EA 189 noch zur Suche nach illegal verbauter Software in der Motorsteuerung, wie das Ministerium im Oktober 2019 zugab.

Nun macht die Behörde mobil gegen die Software-Update-Verweigerer – obwohl diverse Stellen, darunter das hauseigene Umweltbundesamt im Klimaschutzministerium, attestierten, dass die massive Überschreitung von Stickoxidgrenzwerten bei Euro-5- und Euro-6-Diesel durch das Software-Update nicht gemindert wird. Daran führe kein Weg vorbei, heißt es im Verkehrsministerium auf Anfrage. Das Software-Update sei vom KBA vorgeschrieben und damit in Europa verbindlich, damit die Kfz die Schadstoffgrenzwerte einhalten.

Ohne Frist

Eine Frist setzte das Ministerium den Kraftfahrtbehörden in den Bundesländern übrigens nicht, sie seien im Wege der mittelbaren Bundesverwaltung für den Vollzug zuständig. Eine Entbindung von der Verpflichtung zum umstrittenen Software-Update ist damit nicht in Sicht.

Erkenntnis mit Folgen?

Eine solche könnte kommen, sofern das Erkenntnis des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts hält. Das Gericht geht nicht mit dem Fahrzeughersteller ins Gericht, sondern dem Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg. Das Gericht hatte den Freigabebescheid für Software-Updates von Dieselmotoren durch das KBA aus dem Jahr 2016 im Februar aufgehoben, weil die Abgasreinigung via Thermofenster zwischen zehn und 33 Grad reduziert oder ganz ausgeschaltet wird. Sie müsste gerade zwischen minus 15 und plus 40 Grad funktionieren, weil die EU-Jahresdurchschnittstemperatur bei zwölf Grad liege, schreibt das Gericht. Sonst funktioniere die Abgasreinigung in Griechenland, Portugal oder Spanien im Sommer nicht und in Finnland oder Schweden im Winter nicht. Entscheidend sei die lokale Vermeidung der gesundheitsschädlichen Wirkung von Stickoxiden.

Technisch möglich

Ein "weiteres Märchen", mit dem das Gericht aufräumt, nennt der auf Dieselklagen spezialisierte Anwalt Michael Poduschka: Es habe damals keine andere technische Möglichkeit gegeben, um die Motoren vor allfälligen Schäden zu schützen. Ein Austausch der von Versottung und Verlackung betroffenen Teile wäre möglich gewesen, wenn auch zu hohen Kosten, sagt das Gericht. In den USA baute VW ab 2005 Niederdruck-Abgasrückführungssysteme und SCR-Technologie ein.

"Keine Stilllegungen"

Volkswagen behielt sich den Gang zum Oberverwaltungsgericht oder eine Sprungrevision vor dem Bundesverwaltungsgericht vor. Bis zur rechtskräftigen Klärung drohten weder behördliche Stilllegungen von Kfz noch Hardware-Nachrüstungen wegen des Thermofensters, versicherte der Weltauto-Hersteller.

Das KBA in Flensburg als zuständige Behörde hatte die Software-Updates genehmigt. Diese enthielten allerdings neue Abschalteinrichtungen, sogenannte defeat devices – wie die laut EuGH unzulässigen von der Außentemperatur abhängigen Thermofenster. Das KBA behält sich laut einer Stellungnahme rechtliche Schritte gegen das Urteil vor. Man habe nach eigener Prüfung der betreffenden Abgasreinigungssysteme verschiedene Hersteller zur Anpassung der "Thermofenster" aufgefordert. Die von der Volkswagen AG verwendeten "Thermofenster" aus Gründen des Motorschutzes und der Betriebssicherheit der Fahrzeuge insbesondere bei niedrigen Außentemperaturen wurden für zulässig befunden, teilweise nach geforderten Anpassungen. Diese Systeme erfüllen die gesetzlichen Anforderungen der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen. (Luise Ungerboeck, 20.4.2023)