Im Gastblog stellt der Historiker Simon Usaty eine Person vor, die das jüdisch-wienerische Unterhaltungskabarett um den Beginn des 20. Jahrhunderts entscheidend prägte.

Heinrich Eisenbach, von Anton Kuh als "ein wahrhaftig völkerversöhnendes Element der alten Monarchie" beschrieben, war Vertreter einer spezifisch wienerisch-jüdischen Unterhaltungskunst.
Foto: ÖNB / ANNO

1921, zwei Jahre vor Heinrich Eisenbachs Tod, widmete sich ein ausführlicher Artikel im "Neuen Wiener Journal" dem Privatleben des Komikers. Seine Leidenschaft für das Sammeln ostasiatischer Kunst, seine Begabung als Maler und seine Aspirationen auf eine Karriere als "seriöser" Schauspieler kamen zur Sprache. Bildende Künstler, so Eisenbach im Interview, hätten den Vorteil, dass ihre Werke ihren Tod überdauern; "dass man über den Herrn Eisenbach einmal gelacht hat, werden unsere Nachkommen vermutlich (...) mit Fassung zur Kenntnis nehmen".

Der als ernst, leise und philosophisch porträtierte Mensch steht in Kontrast zu den Bühnenfiguren, die ihn als Komiker zur Berühmtheit machten. Eisenbach war Vertreter einer spezifisch wienerisch-jüdischen Unterhaltungskunst, die keinen vordergründigen gesellschaftskritischen Anspruch stellte, die durch die Darstellung jüdischer Charaktere – in einer Zeit des allgegenwärtigen Antisemitismus – aber nicht nur erheiterte, sondern auch polarisierte.

Geboren wurde Heinrich Eisenbach am 10. August 1870 als Sohn des Kaufmanns Julius Eisenbach und seiner Frau Pauline, geborene Feller, in Wien. Er begeisterte sich früh für das Theater und begann seine Laufbahn in Budapest als Clown, Gesangskomiker und gemeinsam mit seiner ersten Frau Anna als "Tanzduettist" in Varietés. Daneben soll er auch Geld mit Landschaftsmalerei verdient haben.

Mitglied der Budapester Orpheumgesellschaft

Den Durchbruch bedeutete 1894 das Engagement an die Budapester Orpheumgesellschaft. Diese brachte ihn und seine Frau zurück nach Wien, denn mit Budapest war das Ensemble nur namentlich verbunden. Die "Budapester" waren 1889 in Wien gegründet worden, der Name verwies einerseits auf den guten Ruf, den Budapester Orpheen, also Lokale mit Unterhaltungsprogramm, genossen, andererseits hatten viele der Schauspielenden zuvor in Budapest gewirkt. Eisenbach übernahm bald die künstlerische Leitung der Gesellschaft, fungierte als Regisseur und Dramaturg und wurde zu einem der beliebtesten Darsteller der Truppe.

Das Programm der Budapester Orpheumgesellschaft, die, als "Singspielhalle" geführt, in verschiedenen Hotelsälen auftrat, bestand aus Gesang und Tanz, kurzen Szenen und artistischen Darbietungen; ab 1890 wurden einaktige Possen gegeben. Prägend war der Gebrauch des "Jüdelns", eines mit zahlreichen jiddischen Begriffen angereicherten wienerischen Dialekts, auch "Jargon" genannt. Die Ausdrücke Jargon und Jargontheater waren so gebräuchlich, dass sie in der zeitgenössischen Presse nicht näher erläutert werden mussten. Die Budapester Orpheumgesellschaft genoss große Popularität – diese führte gar zu einer Erwähnung in Arthur Schnitzlers 1908 veröffentlichtem Roman "Der Weg ins Freie": Die Figur Graf Schönstein meint dort, in Bezug auf einen jüdischen Dramatiker, dass "Stücke von Juden überhaupt nur von der Budapester Orpheumgesellschaft aufgeführt werden" sollten.

Nicht nur der "Jargon" machte sie zu einer jüdischen Bühne, auch die Charaktere der von den "Budapestern" gegebenen Einakter waren zum Großteil in jüdischen Milieus verortet. Das brachte ihr immer wieder die Kritik ein, dem Antisemitismus Vorschub zu leisten. Fritz Löhner-Beda schrieb 1909, dass Heinrich Eisenbach "durch die ekelhaften Zoten und talentlosesten Schweinereien" das Haus fülle und "schweres Geld an den Schweinen (verdiene), die an seinen Produktionen Gefallen finden". Der Kunsthistoriker Hans Tietze brachte in seinem 1933 veröffentlichten Buch "Die Juden Wiens" das Genre mit jüdischer Selbstkritik in Zusammenhang: "die Jargonposse hat vor allem den Juden selbst Spaß gemacht. Während der Antisemitismus hochging, haben sie sich zwei Jahre lang jeden Abend im 'Schwarzen Adler' über die 'Klabriaspartie' krankgelacht (...)."

Die Budapester Orpheumgesellschaft spielte bis 1896 im Hotel "Zum Schwarzen Adler", in den Jahren, die – geprägt von antisemitischer Politik – 1897 schließlich in die Wahl Karl Luegers zum Bürgermeister Wiens mündeten.

Die von Tietze angesprochene "Klabriaspartie" war eines der bekanntesten einaktigen Theaterstücke der "Budapester"; bis 1925 soll es über 5.000-mal an internationalen Bühnen aufgeführt worden sein. Heinrich Eisenbach verkörperte im Stück den Simon Dalles (Dalles: jiddisch für Armut, Elend). Spannender als die Handlung – eine Runde des Kartenspiels Klabrias in einem Kaffeehaus – sind Rückschlüsse auf das Milieu, in dem das Stück angesiedelt ist. Nicht nur der Name des Charakters von Eisenbach, auch die Dialoge verweisen darauf, dass es stark von Armut geprägt ist. Der Kellner Moritz moniert: "Wenn ich zu e Gast sag': Sie ich will mei' Geld hab'n, sagt er: Ihne Geld können Sie ja haben, aber mein's nix." Auf Basis des Textbuchs allein ist der große Erfolg der "Klabriaspartie" heute schwer nachzuvollziehen und muss wohl in der Darstellung von Eisenbach und seiner Kollegenschaft begründet sein.

Bühnenleiter, Vortragskünstler und Anekdotensammler

1914 verließ Heinrich Eisenbach die Budapester Orpheumgesellschaft und gründete seine eigene Truppe, zu der ihm der Großteil der "Budapester" folgte. 1915 bezog "Eisenbachs Possen Ensemble" das Theater Max & Moritz in der Annagasse in Wien I, wo es bis nach Eisenbachs Tod blieb. Das Max & Moritz war erstmals 1910 eröffnet worden, es verfügte über einen Tanzsaal und einen Aufführungsraum, der immerhin 400 Personen fasste, war also kein kleines Kellerkabarett. Eisenbach leitete das Max & Moritz gemeinsam mit zwei seiner Hauptautoren, Adolf Glinger und Otto Taussig, die es nach seinem Tod weiterführten.

Ab 1915 wirkte Eisenbach als Bühnenleiter des Max & Moritz Theaters und stand auch selbst oft auf der Bühne.
Foto: Bildarchiv Austria / ÖNB

1911, also noch vor der Übernahme durch Eisenbach, spielte Hans Moser am Max & Moritz. Eisenbach erkannte das komische Talent des jungen Schauspielers, engagierte ihn für die Budapester Orpheumgesellschaft und trug damit zu dessen späterem Erfolg bei. In einem Interview 1926 sagte Moser, Eisenbach sei vermutlich der Erste gewesen, "der etwas von mir gehalten hat. (...) Und so gern er es als Komiker natürlich hatte, wenn die Leute über ihn lachten, so merkwürdig gut hat er es vertragen, wenn neben ihm auch ich meine Erfolge hatte."

Neben seiner Tätigkeit als Bühnenleiter und Schauspieler gab Eisenbach kleine Heftchen heraus, "Heinrich Eisenbach's Anekdoten" (1905 bis 1909), in denen er Witze sammelte. Auch diese geben immer wieder Einblicke in die wienerisch-jüdische Lebenswelt, etwa am Beispiel der Konversion zum Christentum, zu der sich viele Juden und Jüdinnen aufgrund antisemitisch motivierter Diskriminierungen gezwungen sahen: "Schmule hat sich taufen gelasst. Drauf fragt ihn Itzig: 'Warum bist du Protestant geworden und nix Katholik?' Drauf sagt der Schmule: 'Weil bei dö Katholiken sind m'r scho' zu viel Juden!‘"

Gelegentlich übernahm Eisenbach auch Rollen am seriösen Theater. 1921 war er als Briefträger Klemm im Stück "Lolos Vater" von Adolf L'Arronge am Neuen Wiener Stadttheater zu sehen, wo er, wie die "Arbeiter-Zeitung" schrieb, zeigen konnte, "dass ihm auch die schauspielerische Kraft eigen ist, seelische Konflikte in ihren tragischen Wirkungen packend auszudrücken". Er gab Leseabende, bei denen er Passagen aus Werken von Schriftstellern wie Richard Beer-Hoffmann, Frank Wedekind oder Christian Morgenstern vortrug. Eisenbach wählte auch für die Lesungen Material mit Bezug zu jüdischen Themen, etwa die Erzählung "Rabbi Esra" von Wedekind.

Die jüdische "Wiener Morgenzeitung" – wie Löhner-Beda dem regulären Unterhaltungsprogramm Eisenbachs gegenüber sehr negativ eingestellt – lobte Eisenbachs Ausflüge in die Hochkultur: "Mit welchem Fleiß hatte er diesen Abend vorbereitet! Er rezitierte den Text zum größten Teil auswendig und war mit einer Hingabe bei der Sache, dass man merkte, wie sehr er diese Veranstaltung als 'Ehrenabend' empfand." Eisenbach habe es geschafft, dem "widerlichen Dunstkreis" seiner sonstigen Auftritte zu entkommen.

Von Karl Kraus geschätzt

Laut Karl Kraus war bei Eisenbach und seiner Kollegenschaft "das einzige reelle Theatervergnügen" in Wien zu finden.
Foto: ANNO / ÖNB

Einer der größten Bewunderer Eisenbachs war Karl Kraus, für den auch dessen reguläres Programm höchstes Lob verdiente. Immer wieder stellte er die "Budapester" polemisch dem Burgtheater gegenüber, wobei Letzteres stets schlechter abschnitt. Doch Eisenbachs Schauspielkunst wird auch über diesen Vergleich hinaus gewürdigt: Eisenbach und seine Kollegenschaft böten, so Kraus in der "Fackel", "das einzige reelle Theatervergnügen" in Wien. Ein ganzer Wiener Theaterjahrgang könne "vor einem Abend, an dem Herr Eisenbach gut aufgelegt ist, nicht bestehen." Eisenbach verstehe es, "mit einer Geste ein Drama in die Posse einzulegen, mit einem Blick den Wirbel der Heiterkeit abzustellen und das Publikum so zu zwingen, dass es die Träne, die vom Lachen kam, gleich beibehalten kann. Ein Possenreißer, der zum Erhabenen nicht einmal einen Schritt braucht."

In ihrem Nachruf auf den am 14. April 1923 in Wien an Krebs verstorbenen Künstler kam die "Arbeiter-Zeitung" zu einer ähnlichen Einschätzung: Eine Rettung Eisenbachs in "höhere Sphären" sei jedes Mal ein Irrtum gewesen, ernstes Material habe ihn gar dabei gehindert, seine Kunst voll zu entfalten, weshalb er stets zur jüdischen Possenbühne zurückgekehrt sei. Eisenbach selbst mag das anders gesehen haben. Im eingangs zitierten Interview ist eine gewisse Wehmut, sich nicht ausreichend als ernster Künstler etabliert zu haben, nicht zu verkennen. Allerdings: "Machen wir uns doch nichts vor, der Unterschied zwischen einem toten Schauspieler und einem begrabenen Hund ist kein besonders großer. Zwanzig Jahre nach meinem Tod wird es den Leuten, die von mir hören, ganz ungeheuer egal sein, ob ich ein 'seriöser' Schauspieler oder ein Wurstel war."

Eisenbachs Grab auf dem Friedhof Hietzing.
Foto: Christine Gruber

Heinrich Eisenbach wurde auf dem Friedhof Hietzing begraben, 1959 wurde das Grab ehrenhalber gewidmet und dauerhaft von der Stadt Wien übernommen. Sein Stil wurde – bis zum erzwungenen Ende dieser jüdisch-wienerischen Spielart des Unterhaltungskabaretts durch "Anschluss" und Nationalsozialismus, an die nach 1945 nur vereinzelt angeknüpft werden konnte – immer wieder als Referenz genannt, an Eisenbachs Einfluss auf das Genre erinnert.

Anton Kuh verwies in seinem Nachruf auf Eisenbachs Status als Angehöriger einer (diskriminierten und verfolgten) Minderheit: Als Außenseiter habe er einen schärferen Blick auf die Eigenheiten Wiens gehabt, das wiederum durch eine pluralistische Bevölkerung erst zu Wien gemacht wird. Eisenbach war "ein wahrhaftig völkerversöhnendes Element der alten Monarchie: er gab den Juden die Wiener preis, den Wienern die Juden und beiden (als Einlage:) Ungarn, Tschechen, Polen". Auch hundert Jahre später ist es noch immer notwendig, für eine vielfältige Gesellschaft einzutreten und daran zu erinnern, dass – wie Heinrich Eisenbachs Bühnenfiguren – das "echte Wien" seit jeher von Menschen unterschiedlichster Herkunft geprägt wurde. (Simon Usaty, 24.4.2023 )