Im Gastblog geht der Innsbrucker Rechtswissenschaftler Malte Kramme der Frage nach, was uns der Bericht des Club of Rome zu den "Grenzen des Wachstums" von 1972 über unser aktuelles Wachstum sagen kann.

Es ist jetzt 50 Jahre her, dass der Club of Rome die "Grenzen des Wachstums" verkündete. Aus Sicht der Forschungsförderung ein großer Erfolg. Die dem gleichnamigen Bericht vorhergehende Studie, erstellt am Massachusetts Institute of Technology (MIT) wurde von der Volkswagenstiftung durch eine Förderung von einer Million Mark ermöglicht. Gemessen an der Rezeption des Berichts, die mit seiner Veröffentlichung begann und bis zu diesem Vortrag reicht, gab es sicher kaum je Drittmittel, die besser investiert waren.

Doch ist die Rezeption des Berichts bis in die heutige Zeit auch wegen seines Inhalts gerechtfertigt? Und haben die Annahmen zu den Grenzen des Wachstums eigentlich noch eine Aussagekraft für das Zeitalter der Digitalwirtschaft, in dem wir uns befinden?

Als der NDW-Star Stephan Remmler 1986 seinen Hit "Alles hat ein Ende nur die Wurst hat zwei" komponierte, baute er dabei vermutlich nicht auf den 14 Jahre zuvor gewonnen Erkenntnissen des Club of Rome auf. Denn die Aussage, dass Wachstum Grenzen hat, ist zunächst einmal völlig banal. Alles Diesseitige, was Zeit und Raum unterworfen ist, ist begrenzt. Unbegrenztes und Ewiges ist nun mal erst jenseits dieser relativen Welt zu finden.

Was verrät ein Blick in die letzten Jahrzehnte über die Möglichkeiten, mit den begrenzten Ressourcen unseres Planeten besser umzugehen?
Foto: Getty Images/tommy

Annahmen des Berichts

Doch ob wir kurz vor dieser Grenze des Wachstums stehen oder ob wir erst ganz am Anfang des möglichen globalen Wirtschaftswachstums stehen, dessen Grenzen vielleicht erst in tausend, zehntausend oder hunderttausend Jahren erreicht sind, ist damit noch nicht gesagt. Jedenfalls in den vergangenen 50 Jahren waren diese Grenzen noch nicht zu spüren.

Zur Verteidigung der Studie ist aber festzuhalten, dass sie das auch nicht behauptet hat. Doch was waren ihre Kernaussagen?

  • Halte das exponentielle Wachstum von Wirtschaft und Erdbevölkerung an, seien die Grenzen des Wachstums von Bevölkerung und Wirtschaft in hundert Jahren erreicht. Dies führe dann zu einem "raschen und nicht aufhaltbaren Absinken der Bevölkerungszahl und der industriellen Produktion".
  • Eine Trendumkehr und damit ein ökologisches und wirtschaftliches Gleichgewicht, in dem die materiellen Grundbedürfnisse der Menschheit gesichert werden können, ist möglich.
  • Je eher die Menschheit diese Trendumkehr einleitet, desto größer sind die Chancen, dass sie gelingt.

Doch welche begrenzenden Faktoren für weiteres Wachstum identifiziert die Studie?

  • Begrenzte kultivierbare Landflächen und ein begrenztes Maß an Niederschlagsmengen und damit zur Verfügung stehendes Trinkwasser limitieren vor allem die Nahrungsmittelproduktion.
  • Sich erschöpfende Vorkommen von nicht regenerierbaren Rohstoffen setzen der industriellen Produktion Grenzen.
  • Eine Zunahme der Umweltverschmutzung durch verschiedenste Stoffe kann das Gleichgewicht wichtiger ökologischer Systeme zerstören. Dazu zählen auch CO2-Emissionen, mit den Folgen für das Klima, die 1972 noch nicht konkret abschätzbar waren. Hierzu heißt es: "Es ist unbekannt, wieviel Kohlendioxid oder Abwärme man freisetzen kann, ohne dass sich das Klima der Erde unwiederbringlich verändert (…)."Was das Zusteuern auf diese Kipppunkte angeht, haben wir heute schon ein viel besseres Wissen. Jedoch noch keine bessere Einsicht.

Wegen der Wechselwirkungen der Faktoren wird ein Modell, das nur eine so geringe Zahl an Faktoren berücksichtigt, schnell sehr komplex. Daher sind Prognosen, wie sie der Club of Rome getroffen hat, sehr schwierig.

Situation im Jahr 2023

Aber hinterher ist man ja immer schlauer. Heute können wir festhalten:

  • Es gab in den vergangenen 50 Jahren ein erhebliches Wirtschaftswachstum. Im letzten Jahr erschien ein Buch der Journalistin Ulrike Herrmann mit dem Titel "Das Ende des Kapitalismus". Sie plädiert darin, zur Beherrschung der Klimakrise und zur Schonung der natürlichen Lebensgrundlagen, die Wirtschaftsleistung um 50 Prozent kontrolliert zu schrumpfen. Damit befände man sich im Jahr 1978. Die Zahl bezieht sich auf Deutschland und damit auf ein Land, das in den vergangenen Jahrzehnten ein im Vergleich zu Indien, China oder Südkorea nur sehr geringes Wirtschaftswachstum erlebt hat.
  • Zum Bevölkerungswachstum: 1972 waren 3,8 Milliarden Menschen auf der Welt, in diesem Jahr sind es 7,8 Milliarden Menschen.

Wie schaut es mit den begrenzenden Faktoren aus? Die Nahrungsmittelproduktion ist noch nicht an ihre Grenzen gestoßen. Im Gegenteil: Die Autoren und Autorinnen des Berichts hatten keine gesicherten Daten, nahmen aber an, dass rund ein Drittel der damaligen Erdbevölkerung unterernährt seien. Aus dem Jahresbericht 2022 zu den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen geht hervor, dass 10 Prozent der Weltbevölkerung unter Hunger leiden. Hierbei ist zwar unklar, ob identische Definitionen zugrunde liegen. Einheitliche Messgrößen lagen aber dem Abschlussbericht zu den Millenium Development Goals (MDG) aus dem Jahr 2015 zugrunde. Die MDG sind die Vorläufer der derzeit geltenden UN-Nachhaltigkeitsziele (SDG). Aus dem Bericht ergibt sich, dass die absolute Zahl der an Hunger leidenden Menschen trotz steigender Weltbevölkerung von 991 Millionen im Jahr 1990 auf 780 Millionen im Jahr 2016 zurückgegangen ist. Gemessen an der jeweiligen Bevölkerungszahl stellt dies einen Rückgang von 23,3 Prozent auf 12,9 Prozent dar.

Bei der Umweltverschmutzung zeigt sich ein geteiltes, wenn auch insgesamt düsteres Bild: Das Problem des Sauren Regens etwa wurde durch die massive Reduktion von Schwefeldioxidemissionen in Europa sowie Nord- und Südamerika entschärft. Für Asien ergibt sich aber weiterhin ein Anstieg.

Auch die Emission von Fluorkohlenwasserstoffen hat dank des Montrealer Übereinkommens zum Schutz der Ozonschicht erheblich abgenommen. Ausschlaggebend dafür war, dass technische Lösungen zur Substitution der Fluorkohlenwasserstoffe verfügbar waren.

Allerdings hat die fortwährende Emission von Treibhausgasen, allen voran Kohlendioxid und Methan, zu einer erheblichen Erwärmung des Weltklimas geführt, die weiter schnell voranschreitet mit ganz erheblichen negativen Folgen, wie dem Ansteigen des Meeresspiegels, Dürre in vielen Landstrichen der Erde und einer signifikanten Zunahme von Extremwetterereignissen. Einzelheiten hierzu können dem Sechsten Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) entnommen werden.

Bedrohte Lebensgrundlagen und Biodiversität

Erheblich verschärft hat sich auch das Problem der anderweitigen Zerstörung von Lebensgrundlagen zur Gewinnung von Rohstoffen oder durch die Ausbreitung menschlicher Siedlungen. Dies führt derzeit zu einem Artenstreben in einem derart erschütternden Ausmaß und mit Folgen, die jene des Klimawandels womöglich wie eine Kleinigkeit erscheinen lassen. Denn es sind irreversible Folgen, während sich die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre langfristig wieder zum Besseren wenden könnte. Die IUCN (International Union for Conservation of Nature) geht von etwa 74.420 Wirbeltierarten aus. Davon sind 10.739 Arten in der von ihr geführten Roten Liste in einer Bedrohungskategorie aufgeführt. Insgesamt sind 42.108 Arten vom Ausstreben bedroht.

Dies trotz der Tatsache, dass bereits im Jahr 1973 das Washingtoner Artenschutzübereinkommen unterzeichnet wurde und im Jahr 1992 die Biodiversitätskonvention, an der sich fast alle Staaten der Erde beteiligen. Die Biodiversitätskonvention ist so etwas wie die Klimarahmenkonvention, eben nur für Biodiversität. Beide Rahmenkonventionen verbindet nicht nur ihr gemeinsames Geburtsjahr. Auch die Biodiversitätskonvention sieht regelmäßige COPs, Conferences of the Parties, vor. Im vergangenen Jahr fand die COP 15 in Montréal statt, wo mit dem "Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework" eine Vereinbarung getroffen wurde, um das Ruder doch noch herumzureißen. Bis 2023 sollen 30 Prozent der Landflächen und 30 Prozent der Meeresflächen unter Schutz gestellt werden ("30 by 30").

An dem Abkommen beteiligen sich fast alle Staaten der Erde – nur die USA nicht, weil diese schon bei der Biodiversitätskonvention nicht mit dabei sein wollen. Der Heilige Stuhl ist ebenfalls nicht mit von der Partie, was aber sicherlich leichter zu verschmerzen ist. Das Abkommen wird übrigens auch als "Paris Agreement" für Biodiversität bezeichnet, wobei fraglich ist, ob das Grund zur Hoffnung gibt. Aber die Parallelen sind da: beide Abkommen sind auf ihrem Feld ambitioniert. Es ist zu hoffen, dass es mit der Umsetzung besser klappt als beim Pariser Klimaschutzabkommen. Bekanntermaßen hakt es dort. Wenn die bisher von den Staaten gemeldeten Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt werden, wird selbst das Ziel von zwei Grad Celsius deutlich verfehlt.

Der Blick in die Zukunft

Solange die hier beschriebenen natürlichen Grenzen des Wachstums nicht erreicht werden, wird mit einer Verringerung des Wachstums nicht zu rechnen sein. Grund dafür ist nicht allein die Lust an übermäßigem Konsum im globalen Norden, sondern bereits der Umstand, dass ein großer Teil der Erdbevölkerung in Armut lebt und nach Lebensumständen strebt, die es erlauben, materielle Grundbedürfnisse zu sichern.

Erdbewohner wie wir, deren materielle Grundbedürfnisse bereits gesichert sind, sind auch nicht in der Position, dieses Streben infrage zu stellen. Ausdruck dieses berechtigten Anliegens sind auch die UN-Nachhaltigkeitsziele, die SDGs. Anders als man meinen könnte, geht es hier nicht primär um ökologische Nachhaltigkeit, sondern um soziale Nachhaltigkeitsziele, konkret: um die Bekämpfung von Armut und der damit zusammenhängenden Folgen. Um Ziele wie "Zero Hunger, Good Health and Well-Being, Quality Education, Clean Water and Sanitation, Affordable and Clean Energy" zu erreichen, bedarf es der Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen, mithin von wirtschaftlichen Leistungen, die bei ihrer Zunahme im Vergleich zu einer vorhergehenden Betrachtungsperiode zum Wirtschaftswachstum beitragen.

Bezeichnenderweise lautet das achte SDG auch explizit "Decent Work and Economic Growth". Sofern unser Planet dieses Wachstum überhaupt noch hergibt, ist es entscheidend, dass es ökologisch nachhaltig erfolgt. Hier stellt sich jetzt die Frage, ob der Wandel von einer analogen Industriewirtschaft zu einer Digitalwirtschaft die ökologischen Probleme eher verschärfen wird oder zu ihrer Lösung beitragen wird. Diese Frage ist Gegenstand des zweiten Teils dieses Beitrags, der Anfang kommender Woche erscheint. (Malte Kramme, 21.4.2023)