Im Gastblog betrachtet der Geologe und Bibliothekar Thomas Hofmann drei Kriminalfälle – Opfer wie auch Täter waren unter anderem renommierte Wissenschafter.

Es hätte ein feierlicher Festakt auf dem Zentralfriedhof werden sollen am 30. Juni 1932. Zahlreiche Prominente, darunter auch Bürgermeister Karl Seitz, und das Who's who aus der Welt der Wissenschaft hatten sich am späten Vormittag eines Donnerstages am Ehrengrab des Botanikers Richard Wettstein versammelt. Anlass war die Enthüllung des Grabsteins des Gelehrten, der am 10. August 1931 als 68-Jähriger gestorben war. Wettstein, Leiter des Botanischen Gartens und des Botanischen Instituts am Rennweg, hatte höchste Stellen an der Universität bekleidet. Er war Dekan (1909/10), Rektor (1913/14), Mitglied zahlreicher internationaler Fachorganisationen, aber auch beim Deutschen Klub, der bekannt war für seine deutschnationalen und antisemitischen Positionen.

Der Tatort vom 30. Juni 1932: das Grab von Professor Wettstein auf dem Wiener Zentralfriedhof.
Foto: ANNO

Doch zurück nach Wien-Simmering zum Zentralfriedhof, zu Gruppe 14 C, Grab Nr. 3. Auf der einen Seite hatte der Wiener Männergesangsverein Aufstellung genommen, auf der anderen die Festgäste, darunter auch der Zoologe Camillo Schneider, der einen guten Platz für die Ausübung seines Plans gesucht hatte.

Als Othenio Abel, Rektor der Uni Wien, seine Rede gehalten hatte, schrie Professor Schneider: "Du Schuft, jetzt kommt die Abrechnung!", und gab einen Schuss auf Abel ab. Doch der verfehlte ihn. "Im nächsten Moment hatte Bürgermeister Seitz, der unmittelbar neben Abel gestanden war, den rechten Arm des Täters am Handgelenk gepackt und, während die Waffe noch rauchte, zu Boden gedrückt. Schneider rief dem Bürgermeister zu: 'Tun Sie mir nicht weh!', und versuchte seinen rechten Arm freizubekommen. Bürgermeister Seitz antwortete: 'Ich will Ihnen gar nicht weh tun, ich will Ihnen nur die Waffe wegnehmen.' Gleichzeitig packte Professor Tandler den Attentäter von rückwärts am Kragen und hielt ihn fest, bis ihn der rasch herbeieilende Kriminalbeamte festnahm." (Neue Freie Presse, 1. Juli 1932).

Abel und Schneider: Keine unbeschriebenen Blätter

Nicht zuletzt durch die Arbeiten von Klaus Taschwer wurde die Vita des Paläontologen Othenio Abel, der von 1875 bis 1946 lebte, in den letzten Jahren neu bewertet. Seine wissenschaftlichen Meriten als Begründer der Paläobiologie stehen außer Zweifel. Abel hatte an der Universität Wien studiert, bei Eduard Suess 1899 dissertiert und dann an der k. k. geologischen Reichsanstalt (heute: Geosphere Austria) seine erste Anstellung gefunden. Seine universitäre Karriere begann 1904 mit einem Lehrauftrag, 1907 folgte ein Extraordinariat für Paläontologie, 1917 ein Ordinariat, ehe er 1927/28 Dekan der Philosophischen Fakultät und 1932/33 schließlich Rektor wurde. Diese hohen Funktionen nützte Abel einmal mehr aus, um seine antisemitischen Agitationen als überzeugter Nationalsozialist und Parteimitglied der NSDAP im Rahmen der sogenannten Bärenhöhle, einer Professorenclique, zu deren Feindbild Juden gehörten, in vollem Umfang durchzuführen.

Der Attentäter, Camillo Schneider, und sein Opfer, Othenio Abel.
Foto: ANNO/ Gemeinfrei

Camillo Schneider (1867 bis 1943), ein gebürtiger Deutscher aus Sachsen, hatte in Leipzig und München Naturwissenschaften mit Schwerpunkt Zoologie studiert, im Jahr 1890 erfolgte seine Promotion. Im Wintersemester 1890/91 begann er als Assistent am II. Zoologischen Institut der Universität Wien. Freilich verlief seine Karriere nicht so steil nach oben wie bei Abel. Schneider, stets vielseitig und breit interessiert, wandte sich unter anderem dem Okkultismus zu und sah in Abel einen Schuldigen, der seine Berufung als Professor für Zoologie an der Universität Wien verhinderte. Daher auch sein Ausruf: "Du Schuft, jetzt kommt die Abrechnung!"

25. April 1933: Mord und Selbstmord in der Singerstraße

"Sicherlich war der gelehrte Magnat ein Ungar mit jeder Faser seines Wesens", schreibt Franz Eduard Suess 1933, Sohn von Eduard Suess (1831 bis 1914), in einem Nachruf über Franz Baron Nopsca (1877 bis 1933). Der in Siebenbürgen geborene Nopsca hatte in Wien das Theresianum besucht und bei Eduard Suess und Viktor Uhlig Paläontologie studiert. Bald gehörte er "zu den Wiener wissenschaftlichen Kreisen" und machte sich als Experte für Dinosaurier einen Namen, der bis in unsere Tage Gewicht hat.

Doch damit nicht genug. Nopcsa war ein Rastloser mit breitem Interessengebiet, der auch als Balkanforscher mit Fokus auf Albanien reüssierte. Davon zeugen 154 Veröffentlichungen in Deutsch, Ungarisch, Englisch und Französisch. Wenngleich das Gros paläontologische (99) und geologische (32) Themen zum Inhalt hat, widmen sich 23 Arbeiten der Albanologie.

Der Mörder und Selbstmörder, Baron Franz Nopcsa, in albanischer Tracht um 1915.
Foto: Gemeinfrei

Die Südosteuropaexpertin Adelheid Wölfl beschrieb in dem Artikel "Franz Nopcsa: Balkanreisender, Dinosaurierforscher und Möchtegernkönig" die schillernde Persönlichkeit des exzentrischen Aristokraten. Nopsca hatte in Bajazid Elmas Doda, einem zehn Jahre jüngeren Albaner, der ihm bei einem Raubüberfall das Leben gerettet hatte, einen Lebensmenschen gefunden. In den letzten Jahren hatte Nopsca neben gesundheitlichen Problemen (Vagotonie) auch Geldsorgen.

Der Tatort vom 25. April 1933: das Haus Singerstraße 12 (mittleres Haus), fotografiert von Bruno Reiffenstein.
Foto: Wien Museum

Seinen Abgang aus dieser Welt in seiner Innenstadtwohnung in der Singerstraße 12 hatte Nopcsa penibel geplant. Seinem Freund, der nach außen hin als Sekretär agierte, hatte er Schlafmittel ins Essen gegeben, ehe er ihn mit einem Kopfschuss aus einem Revolver tötete. Nach der Bluttat nahm sich Nopsca sein Leben.

Das Drama im Spiegel der Zeitungen

Als Reaktion überboten sich die Zeitungen in dramatischen Schlagzeilen. "Sensationelle Bluttat in der Innern Stadt", titelte die Illustrierte Kronen Zeitung. Sachlicher war die Neue Freie Presse am 25. April: "Mordtat eines ungarischen Aristokraten in Wien". Noch am Tag der Tragödie, dem 25. April, hatte das Österreichische Abendblatt reißerische Worte gefunden, "Albaniens Thronanwärter erschießt seinen Freund", und auch gleich Details seines Privatlebens veröffentlicht, ohne jede Spur von Pietät.

"Diese Freundschaft war so tief, dass viele Eingeweihte behaupteten, dass auch homosexuelle Beziehungen zwischen den beiden geherrscht haben sollen. Über den Sekretär spricht man hingegen weniger günstig. Er soll ziemlich widerlich gewesen sein und große Neigungen zum Trunk besessen haben. (...) Doch der Baron hing so an ihm, dass er stets wieder ein Auge zudrückte." Behauptete dieses Blatt, dass "Nervenzerrüttung" und keineswegs "wirtschaftliche Schwierigkeiten" als Motiv infrage kamen, ist in anderen Medien die Lesart etwas differenzierter.

Laut Neuer Freier Presse vom 26. April hatte Nopcsa seine Bedienerin, die auch die Bluttat entdeckt hatte, seit vier Monaten nicht bezahlt. Den Verkauf seiner wertvollen Bibliothek hatte er bereits in die Wege geleitet und sie um 3.000 Reichsmark dem preußischen Unterrichtsministerium in Berlin angeboten. Sein Motiv hatte er in einem von ihm unterfertigten Schreiben an die Polizei dargelegt: "Die Ursache meines Selbstmordes ist zerrüttetes Nervensystem. Dass ich auch meinen langjährigen Freund und Sekretär Herrn Bajazid Elmas Doda im Schlafe und ohne dass er vorausgeahnt hätte erschossen habe, liegt darin, dass ich ihn krank, elend und ohne Geld nicht auf der Welt zurücklassen wollte, da er dann zu viel gelitten hätte. Ich wünsche, verbrannt zu werden."

22. Juni 1936: Das Attentat auf der Philosophenstiege

Vom 650-Jahr-Jubiläum der Universität Wien im Jahr 2015 blieben neben Feiern, fundierten Festschriften und Büchern auch Seiten im Internet, darunter "Der Mord an Prof. Moritz Schlick". Gibt es weder beim Grab Wettsteins im Zentralfriedhof noch in der Singerstraße sichtbare Erinnerungen an die Attentate der 1930er-Jahre, ist es hier anders. 1993 wurde im Gebäude der Universität (Universitätsring 1) an der Stelle der Bluttat, im Marmor der Philosophenstiege, folgende Inschrift angebracht: "Moritz Schlick, Protagonist des Wiener Kreises, wurde am 22. Juni 1936 an dieser Stelle ermordet. Ein durch Rassismus und Intoleranz vergiftetes geistiges Klima hat zur Tat beigetragen."

Der Tatort vom 22. Juni 1936: die Philosophenstiege in der Universität Wien.
Foto: Hofmann

Was war geschehen? Folgt man den Schlagzeilen, lesen sie sich relativ sachlich und nüchtern. "Mord im Wiener Universitätsgebäude!", überschrieb die Illustrierte Kronen Zeitung den Bericht am 23. Juni 1936 im Inneren des Blattes, dessen Cover die gezeichnete Szene des Mordes samt Porträts von Mörder und Opfer schmückte.

Die Titelseite der "Illustrierten Kronen Zeitung" vom 23. Juni 1936 zeigt Details der Bluttat.
Foto: ANNO

Es war ein altbekanntes Motiv. Ein missverstandener Schüler rächt sich an seinem Lehrer. Dr. Hans Nelböck (1903 bis 1954) hatte nach Absolvierung des Gymnasiums in Wels in Oberösterreich ab 1925 bei Professor Moritz Schlick studiert und 1930 über "Die Bedeutung der Logik im Empirismus und Positivismus" dissertiert. Schlick, ein gebürtiger Deutscher (Jahrgang 1882), war nach Studien in Berlin, Heidelberg, Göttingen und Lausanne, Habilitation (1911) in Rostock und Ordinariat (1921) in Kiel 1922 einem Ruf nach Wien gefolgt.

Er gilt als Begründer (1924) des "Wiener Kreises", einer Vereinigung von Philosophen und Wissenschaftern aus allen Bereichen. Hielten dessen Mitglieder den logischen Empirismus hoch, waren den antisemitischen und reaktionären Kreisen diese Thesen ein Dorn im Auge. In diesem Spannungsfeld sind Schlick auf der einen Seite und Nelböck auf der anderen Seite zu betrachten. Dazu kommt noch eine gestörte Persönlichkeitsstruktur Nelböcks und die Eifersucht um eine Frau.

Auslöser waren die tristen Verhältnisse Nelböcks, der sich um eine Stelle an der Volkshochschule Ottakring in Wien bewarb. Das war aus seiner Sicht nur Plan B, denn eigentlich wollte er an der Universität unterrichten. Doch der Weg war ihm dort wegen eines Disziplinarverfahrens verwehrt. Grund waren frühere Attentatsdrohungen gegen Schlick, die dazu geführt hatten, dass Nelböck in psychiatrischer Behandlung war. Doch auch die VHS hatte davon erfahren, und so wurde aus der Stelle nichts. Nelböck sah in seinem Wahn alleine Schlick als Verhinderer.

Er suchte Rache, lauerte seinem Lehrer auf und erschoss ihn mit vier Schüssen aus einer Browning aus nächster Nähe. Schlick stürzte nach dem ersten Schuss zu Boden, der Mörder schoss noch dreimal auf den gefallenen Gelehrten. Nach der Bluttat, die einer Hinrichtung gleichkommt, verharrte Nelböck ruhig am Tatort. "Ja, ich bin der Täter! Machen Sie mit mir, was Sie wollen." (Thomas Hofmann, 25.4.2023)