"Das Geschäft wurde 1976 von einem Bankdirektor und einem Versicherungsmanager gegründet. Ganz einfach deshalb, weil es weit und breit keine Vinothek in Wien gab. Damals musste man in Sachen Wein noch Feinkostgeschäfte aufsuchen, zum Beispiel den Meinl am Graben. Das war lang vor meiner Zeit. Ich kam vor 25 Jahren ins Geschäft. Doch lassen Sie mich ein wenig ausholen. Aufgewachsen bin ich in einer Gastronomie-Familie in Oberösterreich. Es war der ausdrückliche Wunsch, dass auch ich in dieser Branche unterkommen sollte. Ich hätte lieber Mathematik studiert. Das hat man mich aber nicht lassen.

Also besuchte ich die Hotelfachschule Bad Leonfelden. Mit 17 war ich mit der Ausbildung fertig und landete danach am Arlberg im Hotel Goldener Berg in Oberlech, einem Haus, das sich als sehr weinaffin herausstellte. Binnen kürzester Zeit wurde auch ich dort zum Weinliebhaber und absolvierte 1990 die Ausbildung zum Diplom-Sommelier. Ich war mit 21 der Jüngste in ganz Österreich, der diese Prüfung abgelegt hat. Den Job als Sommelier habe ich sehr gerne ausgeübt. Um es kurz zu machen, ich bin dann der Liebe wegen ans andere Ende Österreichs, also nach Wien, gezogen. Weit weg von den Bergen und Seen, die mir bis heute fehlen. Sonst ist ja alles da.

Ludwig Köstler vor der Vinothek St. Stephan.
Foto: Michael Hausenblas

Am 1. April 2003 hab ich dann das Geschäft hier im Erzbischöflichen Palais übernommen. Die Miete war und ist immer noch recht moderat, dadurch können wir auch normale Preise anbieten. Würde im ersten Bezirk heute jemand eine neue Vinothek aufmachen, könnte er sich die Miete wohl kaum mehr leisten.

Im Verkauf arbeiten wir zu viert, dann gibt es noch eine Dame im Sekretariat sowie eine Aushilfskraft. Das Geschäft verfügt über 90 Quadratmeter Verkaufsfläche, hinzu kommen 25 Quadratmeter Büro und Trockenlager. Oben auf der Galerie befinden sich die Produkte, die wir nicht auf Temperatur halten müssen, zum Beispiel Gläser. Insgesamt führen wir 1.800 verschiedene Produkte. So ad hoc könnte ich jetzt nicht sagen, wie viele Flaschen lagernd sind. Da müsste ich im Computer nachschauen.

Welchen Wein ich am liebsten trinke? Die Frage muss korrekterweise lauten, welchen Wein zu welcher Tageszeit und zu welchem Anlass? Nein, Scherz beiseite. Ich liebe Wein. Ich mag sehr gerne heimische Weißweine diverser Rebsorten. Man muss aus diesem Land nicht raus, wenn man einen guten Weißwein sucht. Da darf man ruhigen Gewissens patriotisch sein. Natürlich führen wir als internationale Vinothek auch Weißweine anderer Regionen.

In Sachen Rotwein ist Österreich noch immer ein kleines Land, ich sage, der heimische Rotwein, der wirklich gut ist, von dem ist halt relativ wenig auf dem Markt. Da darf man schon über den Tellerrand hinausschauen. Wir verfügen über ein sehr großes Rotweinsortiment, hauptsächliche europäische Ware, und haben auch eine große Affinität zu Single-Malt-Whisky.

Die Wichtigkeit der Stammkunden

Ja, ich trinke täglich mein Glas Wein. Allerdings nicht während der Arbeit, außer vielleicht an einem Samstag, wenn Bekanntschaft hereinschneit. Ich übe primär einen Bürojob aus, wenn es allerdings darum geht, etwas zu verkosten, dann probiert man schon mit. Einen Tropfen. Ich empfinde mich ja nach wie vor als Sommelier. Auch abends muss ich fit sein, denn zu dieser Zeit bin ich oft in Sachen Kundenzustellung unterwegs.

Man kann schon sagen, dass wir primär von Stammkunden leben. Ich würde meinen, ich kenne jeden Zweiten, der ins Geschäft kommt, persönlich. Unser ältester Kunde ist heuer im März 100 Jahre alt geworden. Wenn es ihm nicht möglich ist vorbeizukommen, stelle ich ihm seinen Rotwein zu. Ich habe Kundschaft, die hier bereits während ihres Studiums eingekauft hat und mittlerweile in Pension geht. Zum Teil kommen sogar schon die Enkel von ihnen zum Einkaufen.

Die mir am wenigsten am Herzen liegende Kundschaft ist die Sorte der Beratungsresistenten. Jemand stellt mir eine Frage, ich beantworte sie, und dann passiert nichts. Nichts. Dann kenn ich mich nicht aus, was er oder sie eigentlich will. Unterm Strich soll die Kundschaft kaufen, was ihr schmeckt, nicht, was mir taugt.

Verändert hat sich vor allem der Markt, ich denke an Wein & Co, Spar und natürlich den riesigen Onlinehandel. Wobei ich sagen muss, dass Wein & Co, aber auch andere viel Schwellenangst genommen haben. Eigentlich brachten diese Eröffnungen eine Befruchtung des Marktes. Leute wurden zum Weintrinken animiert, ihr Interesse für Wein begann zu wachsen.

Bedeutungswandel

Das Kaufverhalten hat sich insofern verändert, als es immer mehr en vogue wurde, eine Flasche Wein zu Hause zu haben. Früher empfing man Gäste, servierte ein gutes Essen, und dazu gab es halt Bier oder vielleicht einen Wein aus der Literflasche. Rot oder Weiß. Die Menschen machen sich heute bei weitem mehr Gedanken über Wein bei allen möglichen Anlässen. Ich spreche von Qualität und Vielfalt. Mittlerweile legen sich die Leute auch einen Vorrat an, sei es in Form eines Kellers oder eines kleinen Weinschranks. Je nach Platz.

Ich betrachte mich als Gegner von Redewendungen wie 'Früher war alles besser'. Vor den Zeiten des Internets war die Beratungssituation eine andere. Die Kundschaft ist heute zwar weitblickender, aber die Personen selbst waren vor dreißig Jahren so wie heute. Die einen sind offener und experimentierfreudiger, die anderen halt weniger bis gar nicht. Mittlerweile kommt es halt vor, dass jemand mit dem Smartphone neben dir steht, dir ein Foto eines 500 Euro teuren Bordeaux unter die Nase hält und wissen möchte, warum dieser in Frankreich 70 Euro weniger kostet als bei mir. Das ist mir erst heute passiert. Ich hab dem Mann mitgeteilt, dass für österreichische Weine in Frankreich vielleicht auch ein anderer Preis verlangt wird. Vergleiche solcher Art gab es früher nicht, jetzt sind sie generell da.

Natürlich hat sich die Gesellschaft verändert, das miteinander Kommunizieren ist teilweise verloren gegangen. Aber ich bin in einem Wirtshaus aufgewachsen, ich setz mich gern mit den Leuten zusammen, da wird schon mal fünf Stunden geplaudert. Ohne Unterbrechung. Sich anzuschweigen habe ich nie gelernt." (Michael Hausenblas, 23.4.2023)