Am 27. April wird der ehemalige Teamchef Josef Hickersberger 75 Jahre alt. Feierlichkeiten lehnt er strikt ab, für ein Gespräch nimmt er sich natürlich Zeit. Hickersberger hat viel zu erzählen, das 0:1 gegen die Färöer wird der Amstettener allerdings niemals verarbeiten. "Das war ein Tiefstpunkt." Bezüglich des Älterwerdens ist er "ein furchtloser Mensch". Auf seine Karriere als Fußballer blickt er zufrieden zurück, auch als Trainer verzeichnete der "Färöer-Pepi" Erfolge. "Ich habe meinen Traum gelebt."

STANDARD: Alles Gute, wie feiern Sie den 75er?

Hickersberger: Gar nicht, da ist nix mehr zu feiern.

STANDARD: Wir kennen einander eine halbe Ewigkeit, da darf und muss man sich schon nach Privatem erkundigen. Haben Sie irgendwelche Wehwehchen, etwa beim Aufstehen?

Hickersberger: Es ist alles im Rahmen, mit Ausnahme der Sprung- und Kniegelenke. Hochspringer werde ich keiner mehr. Ich habe ein künstliches Kniegelenk, das funktioniert aber ausgezeichnet. Zum Glück gibt es keine Hürden, die ich noch überwinden müsste.

STANDARD: Wie schaut ein typischer Tag im Leben des Josef H. aus?

Hickersberger: Ich muss nicht zeitig in der Früh aufstehen, ausgenommen, ich gehe am Vormittag golfen. Das Handicap ist mir egal, ich spiele ja keine Turniere mehr, es soll Spaß machen. Turniere dauern eine Ewigkeit. Warum sollte ich so viel Zeit auf dem Golfplatz verbringen? Eine Verschwendung. Da lese ich lieber. Und zwar richtige Bücher.

STANDARD: Ah, Sie sind der.

Hickersberger: Ja, das heißt allerdings auch, dass ich alt werde. Momentan lese ich Der Pavian, ein Thriller von Anna Karolina Larsson, richtig spannend.

STANDARD: Und Freunde treffen?

Hickersberger: Kaum, ich habe nicht mehr viele.

Hickersberger, der Spieler.
Foto: imago sportfotodienst

STANDARD: Verfolgen Sie den Fußball?

Hickersberger: Natürlich, ich schaue mir regelmäßig Partien im Fernsehen an, nationale und internationale. Ich mache jetzt einfach unbezahlte Werbung für Sky. Ins Stadion gehe ich aber nicht mehr.

STANDARD: Auch wenn es schmerzt und der Zeitpunkt unpassend ist, aber es ist eine verdammte journalistische Pflicht, über den 12. September 1990 in Landskrona zu sprechen.

Hickersberger: Mir dämmert was.

STANDARD: Am Tag davor habe ich Sie bei der Pressekonferenz gefragt, was eigentlich passiere, sollte Österreich gegen die Färöer verlieren. Ich wurde von der ahnungslosen Kollegenschaft ausgelacht. Sie haben gesagt, das sei wirklich eine selten blöde Frage. Zu Ihrer Verteidigung: Stürmer Toni Polster ist von einem 10:0-Erfolg ausgegangen. Trotzdem: Wäre nicht rund 33 Jahre später eine kleine Entschuldigung angebracht, weil so blöd war die Frage ja wirklich nicht?

Hickersberger: Im Nachhinein gesehen hätte ich bei dieser Frage gewarnt sein müssen. Weil es die Möglichkeit gibt, dass man ein Fußballspiel verlieren kann, auch gegen die Färöer. Jetzt bin ich älter, ein bisserl g’scheiter – um nicht zu sagen weiser – geworden. Nun weiß ich, es gibt keine sicheren Siege.

STANDARD: Ist das nun eine Entschuldigung?

Hickersberger: Es ist eine Ausrede. Aber wahrscheinlich muss ich mich entschuldigen, das tue ich hiermit.

STANDARD: Jetzt ist mir leichter. Um das leidige Thema abzuschließen: Konnten Sie, der Färöer-Pepi, irgendwann über das 0:1 lachen?

Hickersberger: Nein. Nein. Nein. Der Zeitpunkt ist noch immer nicht da, und er wird auch nie kommen. Ich will nicht einmal darüber nachdenken. Das war kein Tiefpunkt, sondern ein Tiefstpunkt.

Hickersberger, der Trainer.
Foto: imago sportfotodienst

STANDARD: Was finden Sie lustig?

Hickersberger: Gegen einen guten Witz habe ich keine Einwände.

STANDARD: Hatten Sie je einen Leitsatz, irgendeinen Kalenderspruch, der Ihnen getaugt hat?

Hickersberger: Nein, ich hatte immer nur Terminkalender, da war kein Platz für Sprüche. Datum, Uhrzeit, wann und wo, sonst nix.

STANDARD: Wer oder was hat Sie geprägt?

Hickersberger: Abgesehen vom Elternhaus hat mich der Fußball mit all seinen Emotionen geprägt. Für Siege gab es Applaus und Prämien, für Niederlagen Pfiffe und nichts.

STANDARD: Blicken wir auf Ihre Kindheit, Ihre Jugend in Amstetten zurück. Der Vater war Sandalenfabrikant, Sie haben maturiert, ein Jusstudium begonnen, trotzdem den Beruf Fußballer gewählt. Herzens- oder Vernunftentscheidung?

Hickersberger: Es war doch eher eine Vernunftentscheidung. Ich hatte als junger Fußballer mitbekommen, dass man, ein bisserl Talent vorausgesetzt, relativ gut verdienen kann. Und ich war überzeugt, dass es mehr Spaß macht als der Job des Rechtsanwalts in irgendeiner Kanzlei. Ich habe es nie bereut.

STANDARD: Sie hätten auch die Sandalenfabrik übernehmen können.

Hickersberger: Wahrscheinlich. Aber es gab keinen Druck, obwohl der Vater dreimal pro Woche gesagt hat: "Bua, lern was G’scheites, die Fußballvereine werden dir nix zahlen." Jahre später wollte er wissen, was ich eigentlich verdiene. Ich zeigte ihm einen Lohnzettel. Er war erstaunt: "Was, so viel verdienst du im Jahr?" Ich antwortete: "Papa net im Jahr, im Monat." Das Thema hatte sich somit erledigt.

Hickersberger, der Anzugträger.
Foto: imago sportfotodienst

STANDARD: War Geld also der Hauptantrieb?

Hickersberger: Nein, um Gottes willen, das war nur eine erfreuliche Nebenerscheinung.

STANDARD: Waren Sie lieber Fußballer oder Trainer?

Hickersberger: Als Trainer hast du viel mehr Verantwortung, du musst dich um alles kümmern. Als Spieler warst du Teil einer Mannschaft, hast versucht, das Bestmögliche auf deiner Position rauszuholen. Es war beides schön und reizvoll.

STANDARD: Hatten Sie Vorbilder?

Hickersberger: Zu Beginn meiner Laufbahn hatte ich Ernst Ocwirk als Trainer, er hat viel verlangt, war ein Vorbild, hat im Fußball viel erreicht, hatte in Tankstellen investiert. Ich habe dort während meiner Zeit bei der Austria die Tankstellenberichte kontrolliert, bin nachher zum Training gefahren. Als Kind habe ich keine großen Fußballer gesehen, das Fernsehen gab es ja noch nicht, man konnte sich nichts abschauen, musste also sein eigenes Vorbild werden.

STANDARD: Die meisten Spieler, die unter Ihnen trainiert haben, schwärmen von der sozialen Kompetenz, dem Fachwissen, der Art zu kommunizieren. In den Medien wurden Sie auch Sir Josef genannt.

Hickersberger: Sir Josef gefällt mir besser als Färöer-Pepi. Dass viele Spieler mich schätzen, ist schön. Würden mich die meisten schimpfen und als Ahnungslosen bezeichnen, wäre das sehr bitter.

STANDARD: Immer wieder sind Sie durch Ihren trockenen Humor aufgefallen. 2008 wurden Sie mit dem deutschen Fußball-Kulturpreis ausgezeichnet. Für einen Spruch während der EM: "Wir haben nur unsere Stärken trainiert, deswegen war das Training heute nach 15 Minuten abgeschlossen." Ist so ein Preis vielleicht wertvoller oder nachhaltiger als irgendein Titel in den Vereinigten Arabischen Emiraten?

Hickersberger: Da muss ich differenzieren. Man freut sich über diese kulturelle Auszeichnung sehr, aber ein Titel in den Emiraten war finanziell betrachtet deutlich wertvoller. Davon konnte man zehn Jahre gut leben.

Hickersberger, der Teamchef.
Foto: imago sportfotodienst

STANDARD: Waren diesen Sprüche spontan oder vorbereitet?

Hickersberger: Spontan. Überlegt und vorbereitet habe ich die Taktik.

STANDARD: Sehr schön war auch: "Nicht die Besten, die Richtigen sollen spielen."

Hickersberger: Den Satz unterschreibe ich bis ans Lebensende.

STANDARD: Ihr Wikipedia-Eintrag umfasst beachtliche 14 ausgedruckte DIN-A4-Seiten. Was finden Sie erwähnenswert? Worauf hätten Sie gerne verzichtet?

Hickersberger: 14 Seiten sind unfassbar, wie kommen die da drauf? Wichtig waren die ersten Jahre als Spieler bei der Austria, besonders war, dass ich dann als ehemaliger Austrianer die Laufbahn bei Rapid beenden durfte. Das ist wie summa cum laude. Du wirst mit Rapid als Spieler und später als Trainer Meister, viel mehr geht nicht. Ich stand in Cordoba in der Startelf, ein Vergnügen. Ich hatte übrigens nicht den Wunsch, ein zweites Mal Teamchef zu werden. Aber ich konnte nicht Nein sagen. Wie so oft im Leben. Die Heim-EM 2008 ist um ein paar Jahre zu früh gekommen. Auf Färöer, Sie werden es nicht glauben, hätte ich gerne verzichtet. Als Fußballer habe ich meinen Traum gelebt, ich war in der deutschen Bundesliga. Was heute fast Normalität ist, war damals eine Rarität.

STANDARD: Die WM in Katar wurde heftig kritisiert. Sie haben dort als Trainer gearbeitet, auch in Bahrain und den Emiraten. Ein weiterer Kosename war Scheich Pepi. Heutzutage wäre Ihnen ein Shitstorm gewiss. Was hat Sie, von der Gage abgesehen, am arabischen Raum fasziniert?

Hickersberger: Wenn man nicht dort war, kann man nicht urteilen. Mich haben andere Länder, Kulturen und Sitten extrem interessiert. Ich wollte immer rauskommen aus Amstetten, die Welt sehen. Das ist mir gelungen.

STANDARD: 2013 haben Sie aufgehört. Warum?

Hickersberger: Ich hatte das Gefühl, es ist der richtige Zeitpunkt.

STANDARD: Ist der heutige Fußball abgehoben?

Hickersberger: Es ist eine Weiterentwicklung, aber die Summen sind astronomisch, schwer nachvollziehbar. Es ist nicht mein Problem.

STANDARD: Zum Geburtstag bekommen Sie ein paar leere Zeilen geschenkt, die Sie nach Belieben füllen können. Gibt es etwas, das Sie gerne mitteilen möchten?

Hickersberger: Nein, lassen wir die Zeilen lieber leer, ich bin kein Ratgeber. Trotzdem, ein sehr nettes Geschenk.

STANDARD: Wie gehen Sie mit dem Älterwerden um?

Hickersberger: Beim Älterwerden bin ich ein furchtloser Mensch.

STANDARD: Wie feiern Sie den 80er?

Hickersberger: Wie den 75er, gar nicht. Zum 100er würde ich aber eine Party schmeißen. (Christian Hackl, 22.4.2023)