Menschen, die in Armut leben, werden von Sozialmärkten und Tafeln unterstützt.

Foto: IMAGO/Wolfgang Maria Weber

Im Regierungsprogramm versprach die türkis-grüne Regierung, die Armut in Österreich halbieren zu wollen. Von diesem Ziel ist man weiter entfernt denn je: Im Vorjahr lebten 201.000 Menschen in Österreich in Armut – 41.000 mehr als noch 2021. Das zeigen neue Berechnungen der Statistik Austria. Mehr als 17 Prozent gelten als armuts- oder ausgrenzungsgefährdet, darunter 353.000 Kinder und Jugendliche.

Während die Armutsgefährdung relativ stabil blieb, stieg besonders die absolute Armut von 1,8 auf 2,3 Prozent.

Fleisch, Fisch oder vegetarisch

Was aber bedeutet absolut arm? Um die Tragweite des Problems zu verstehen, muss man dahinterstehenden Begrifflichkeiten kennen. Als absolut arm gelten Personen, die sich sieben von 13 Merkmalen eines normalen Alltags nicht leisten können. Dazu zählt unter anderem, die Miete pünktlich zu zahlen, jeden zweiten Tag Fleisch, Fisch oder eine vergleichbare vegetarische Speise zu essen und die Wohnung angemessen warm zu halten. Am häufigsten sind Einelternhaushalte und alleinlebende Frauen betroffen.

Die Armutsgefährdung hingegen wird vom Haushaltseinkommen bestimmt. Armutsgefährdet ist man, wenn das Haushaltseinkommen weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens beträgt. 2022 lag diese Schwelle bei 1.392 Euro. Demnach waren mehr als 1,3 Millionen Menschen armutsgefährdet – das sind 20.000 mehr als noch im Jahr 2021.

Materielle und soziale Armut

Die Armutsgefährdung ist also ein relativer Indikator. "Eigentlich ist es ein Maß der Ungleichheit", sagt Martin Schenk von der Armutskonferenz und der Diakonie Österreich. Für ihn ist wichtig, dass man die beiden Indikatoren zusammen betrachtet: "Man muss die materielle und die soziale Armut zusammendenken."

Auch die Statistik Austria, die die jährliche Erhebung für das Projekt EU-SILC (European Community Statistics on Income and Living Conditions) durchführt, weist darauf hin, dass aus der Armutsgefährdung nicht ersichtlich ist, ob die Haushalte mit ihrem verfügbaren Einkommen auskommen. "Je nach tatsächlicher Lebenssituation können Haushalte mit dem gleichen Einkommen einen unterschiedlichen LebensStandard erzielen, etwa je nachdem, ob sie zur Miete oder in Eigentum wohnen, ob sie Gesundheits- oder Pflegekosten tragen müssen oder nicht."

Pandemie spürbar

Wichtig ist es bei all dem also, zwei Faktoren auseinanderzuhalten: die tatsächliche materielle Armut, die über Befragungen ermittelt wird – und die relative Armutsgefährdung, die sich aus den Einkommensdaten des EU-Statistikdienstes Eurostat ergibt. Ein Detail zu letzteren Daten: Sie stammen noch aus dem Jahr 2021. Die zeitliche Diskrepanz führt dazu, dass die aktuell veröffentlichten Statistiken auch von der Pandemie geprägt sind und die langandauernde Teuerung kaum erfassen.

Neben absoluter Armut und Armutsgefährdung kennt die Statistik noch die Kategorie "Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung". Darunter fallen – neben armen und armutsgefährdeten Haushalten – auch all jene, die nur in geringem Maß in das Erwerbsleben eingebunden sind. Das bedeutet, weniger als 20 Prozent des Erwerbspotenzials des Haushalts werden ausgeschöpft.

Rauch zufrieden mit Hilfsmaßnahmen

Insgesamt sind davon in Österreich 1,56 Millionen Menschen betroffen – 17,5 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) betonte am Donnerstag, dass die soziale Lage in Österreich in einem Jahr mit enorm hoher Inflation "weitgehend stabil" geblieben sei. "Das zeigt, dass wir mit unseren Hilfsmaßnahmen den richtigen Weg gegangen sind."

Höhere Sozialleistungen

Rauch plant überdies weitere Maßnahmen gegen die Teuerung. Gemeinsam mit Vizekanzler Werner Kogler wolle er den Lebensmittelhandel einladen, um zu klären, warum Produkte um das Doppelte oder sogar Dreifache teurer geworden seien, erklärte Rauch in der ZiB 2. Außerdem will der Sozialminister heuer besonderes Augenmerk auf den Kampf gegen Kinderarmut legen. "Armutsbekämpfung bleibt ein zentraler Auftrag an die Politik. Jeder Mensch in Armut ist einer zu viel."

Schenk betont im STANDARD-Gespräch das Faktum, dass als Hilfe gegen die Teuerung alle Sozialleistungen angehoben wurden – außer Notstandshilfe, Arbeitslosengeld und Wohnbeihilfe. Die Sozialhilfe wurde nur für die untersten Beitragsbezieher erhöht. "Das wirkt sich nicht gut auf die Armutszahlen aus, denn gerade diese Hilfen verteilen am stärksten nach unten."

Strukturell ansetzen

Auch das gewerkschaftsnahe Momentum-Institut verwies darauf, dass das Sozialsystem jährlich fast eine Million Menschen vor Armut schützt. Gäbe es keine Sozialleistungen, wäre knapp ein Viertel der Bevölkerung (2,3 Millionen) armutsgefährdet.

Die Caritas, die täglich mit der zunehmenden Armut im Land konfrontiert ist, fordert indes, die Ausgleichszulage von 1.110 Euro an die Armutsgefährdungsschwelle von 1.392 Euro anzupassen. Einmalzahlungen würden das Problem nicht abfedern, es brauche strukturelle Maßnahmen wie eine Reform der Sozialhilfe. (Magdalena Frei, 21.4.2023)