Andreas Babler bei einer Rede im Hanuschhof.
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Gäbe es eine Skala für geschliffene politische Ansprachen – Andreas Babler führte sie wohl nicht an. Der Traiskirchener Bürgermeister, der ab kommendem Montag mit Pamela Rendi-Wagner und Hans Peter Doskozil um den SPÖ-Vorsitz rittert, redet, wie es viele arbeitende Menschen mit deutschsprachigem Hintergrund im Wien nahen Niederösterreich eben tun.

"Schichtspezifische" Sprache

Er nuschelt sich vielfach über die Unterschiede von Mitlauten hinweg und verschluckt gern die Selbstlaute. "A" wird zu "o", "ei" zu "a". Zudem redet er schnell, macht dabei wenige Punkte und neigt in Gesprächen zu Abschweifungen. Armin Wolfs Interview mit Babler in der ZiB 2 vor bald zwei Wochen war in der Originalfassung eines der längsten seiner Art.

Eine solche Ausdrucksweise erschwere dem aufstrebenden Sozialdemokraten, der die Wut und das "Ang’fressen"-Sein von Menschen aus zunehmend abgehängten Schichten ansprechen will, eine weiterführende Politkarriere, befindet die Kommunikationsstrategin und Sprachausbildnerin Tatjana Lackner. "Das ist kein Dialekt, wie ihn etwa Verfassungsministerin Karoline Edtstadler oder Gesundheitsminister Johannes Rauch beherrschen und situationsangepasst in Salzburg respektive in Vorarlberg auch verwenden. Bablers Sprache ist vielmehr schichtspezifisch", sagt sie.

Publikumsabhängig

Für einen Traiskirchener Bürgermeister passe das gut – für einen Bundeskanzler hingegen keineswegs. Zwar sei der umgangssprachliche Redestil des roten Vorsitzkandidaten wohl authentisch, meint Lackner. Doch sie bezweifle, dass er ihn bewusst, also je nach Publikum, einsetzen könne. "Einen Sprachfehler kann man relativ rasch beheben. Eine Verbesserung des Sprachniveaus hingegen braucht Jahre", fügt sie hinzu – nicht ohne zu betonen, dass sie mit alldem "keinesfalls die von Babler vertretenen Inhalte" meine.

Peter Plaikner, Kommunikationsstratege und Medienberater, schließt sich Lackners hartem Urteil nicht an. Er traue Babler eine zielgruppenspezifische Sprachverwendung durchaus zu, sagt er. Tatsächlich zeichnen Weggefährten des Traiskircheners, die ihn an der Donauuniversität Krems kennengelernt haben, ein wandlungsfähiges Bild des roten Vorsitzkandidaten. Dieser machte dort seinen Master in politischer Kommunikation. Er reiste in die USA, um den Wahlkampf des späteren US-Präsidenten Barack Obama vor Ort zu verfolgen.

Tirolerische Erfolgsgeschichte

Dass ein Mensch zwischen Dialekten und Redestilen hin- und herwechseln könne, wisse er aus persönlicher Erfahrung, sagt Plaikner: "Mein Vater ist Tiroler und spricht auch so. Meine Mutter ist Norddeutsche und drückt sich entsprechend aus. Schon als Kind beherrschte ich beide Idiome."

Einer politischen Karriere sei eine solche Deutschvielsprachigkeit keineswegs abträglich. Fritz Dinkhauser zum Beispiel, der ehemalige Fraktionsvorsitzende der ÖVP-nahen Arbeitnehmervertretung ÖAAB und Vizepräsident der Bundesarbeitskammer, habe in ausgeprägtem Tirolerisch eine Erfolgsgeschichte hingelegt.

Tatsächlich pflegte der inzwischen 83-jährige Dinkhauser in seiner aktiven Zeit in der Öffentlichkeit ein ausgeprägtes "Provinzler-Image". Durch die Gründung einer eigenen Liste für die Tiroler Landtagswahlen 2008, mit der er damals die zweitmeisten Stimmen errang, vertiefte er es zusätzlich. "Privat jedoch ist Dinkhauser ein höchst feinsinniger Mensch, der sich ohne besonderen Dialekt hervorragend auszudrücken versteht", sagt Plaikner.

Sprachliche Chamäleons

Schilderungen wie diese werfen eine Frage auf: Ist ein Politiker oder eine Politikerin, der oder die in Österreich etwas werden will, im Idealfall ein Mensch mit sprachlichem Verstellungsvermögen, mit der Fähigkeit, von einem Dialekt oder einem landläufigen Idiom problemlos in die Hochsprache und wieder zurück zu wechseln? Eine kurze gedankliche Überprüfung des landes- und bundespolitischen Personals in der Vergangenheit und heute lässt das fast vermuten.

Vielen in Erinnerung geblieben ist zum Beispiel Jörg Haider, Urvater des österreichischen Rechtspopulismus, den Plaikner retrospektiv als rednerisches "Chamäleon" bezeichnet. Auf Wählertour in Kärnten sprach er tiefsten Dialekt, in Fernsehdiskussionen setzte er seinem Hochdeutsch, wenn überhaupt, nur leichte lokalsprachliche Andeutungen hinzu.

Haiders schauspielerähnliches Politikverständnis drückte sich sogar in seiner Kleidungswahl aus. Trug er morgens einen Anzug mit Krawatte und hatte Termine in ländlichen Regionen, so nahm er in seinem Wagen einen Trachtenanzug mit und zog sich um.

Sympathie und sozialer Strukturwandel

Ohne Wechsel des Gewandes, aber dafür rednerisch höchst anpassungsfähig, gebärte sich als niederösterreichischer Landeshauptmann auch Erwin Pröll. Sonst eher schriftsprachlich unterwegs, begegnete der ÖVPler seinen Landsleuten bei Besuchsterminen in Dialekt. Unter den heute aktiven Politikerinnen und Politikern fällt diesbezüglich zum Beispiel die Salzburger FPÖ-Chefin Marlene Svazek auf, die in Bierzelten gern ins Volkstümliche verfällt.

Sowie, last but not least, Bundespräsident Alexander Van der Bellen: "Wenn er im Kaunertal oder sonst wo in Tirol unterwegs ist, wechselt er automatisch ins Tirolerische", sagt die Kommunikationsexpertin Lackner.

Wie aber ist eine solche Nähe selbst von politischem Spitzenpersonal zum Dialekt zu erklären? Neben persönlichen Vorlieben und Einstellungen drückt sich darin laut dem Sprachwissenschafter Manfred Glauninger an der Uni Wien das Werben um Sympathie bei Wählerinnen und Wählern vor dem Hintergrund einer allgemeinen Diversifizierung der Sprachgewohnheiten aus. Diese wiederum hätten mit dem sozialen Strukturwandel in der österreichischen Gesellschaft zu tun.

Tote Dialekte

Einerseits würden sich die Sprachgewohnheiten im Land zunehmend Standardisieren, vor allem bei jungen Menschen und im Kontext der Kommunikation im Internet. Andererseits gebe es durchaus noch dialektale Sprechweisen. Dabei würden sich West- und Ostösterreich aber unterscheiden: "In Ostösterreich, vor allem Niederösterreich und Wien, würde ich weniger von lokalen Dialekten als von verschiedenen Umgangssprachen reden."

Die klassischen, kleinräumigen Dialekte früherer Jahrzehnte hätten sich praktisch aufgelöst, sagt Glauninger: "Früher war zum Beispiel von bäuerlichen Dialekten die Rede, von der Sprache der Menschen vom Land. Das existiert als solches heute nicht mehr. Im heutigen Österreich arbeiten kaum vier Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft." Das Gleiche gelte für den einstigen Dialekt der Wiener Arbeiterschaft, die "Mundl-Sprache", wie der Sprachwissenschafter sie nennt – und dabei an eine Hauptrolle in der Fernsehserie Ein echter Wiener geht nicht unter aus den 1970er-Jahren denkt.

Keine "Mundls" mehr

"Die aktuelle Arbeiterschaft, das sind die Migrantinnen und Migranten", sagt Glauninger. Diese wiederum haben mangels österreichischer Staatsbürgerschaft oft kein Wahlrecht. Sprachmerkmale, die Migrationsgeschichten reflektieren, sind unter Politikerinnen und Politikern daher nur wenig verbreitet. Aber es gibt sie. Glauninger: "Justizministerin Alma Zadićs Hochdeutsch zum Beispiel hört man ihre Geschichte an."

Die SPÖ wiederum ist laut dem Germanisten in einem sprachlichen Niemandsland verfangen. Laut dem linken Vordenker und Verteilungsforscher Thomas Piketty seien sozialdemokratische Parteien heute, trotz ihrer proletarischen Vergangenheit, vor allem für akademisch gebildete Kreise attraktiv. Dort rede man in etwa so wie die Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner, ergänzt Glauninger.

Babler und sein Mitbewerber für diesen Job, der Burgenländer Hans Peter Doskozil, versuchten nun, diese Bahnen zu verlassen – Babler, indem er die Verteilungsfrage wieder in den Mittelpunkt stelle. Der Traiskirchener wolle Menschen ansprechen, die zuletzt gar nicht oder aber, aus Wut, die FPÖ gewählt hätten. Der Sprachstil, in dem Babler das versuche, entspreche dieser Absicht, sagt Glauninger. (Irene Brickner, 22.4.2023)